whk3405/27.10.2005
Nie wieder gefakte Zahlen über homophobe Gewalt in Berlin?
Schwules Antigewaltprojekt MANEO verzichtet endlich auf rassistische Kriminalstatistiken / whk: Ab jetzt nur noch deutsche Opfer beim Schwulen Überfalltelefon?
Am Freitag vergangener Woche veröffentlichte das schwule Antigewaltprojekt MANEO auf seiner Homepage www.maneo.de den "Jahresreport 2004" über schwulenfeindliche Gewalttaten in Berlin. Hierzu erklärt das whk:
Mit dem am vergangenen Freitag im Internet veröffentlichten "Jahresreport 2004" über antischwule Gewalt in Berlin hat das schwule Antigewaltprojekt MANEO viel zu spät auf die massive Kritik aus der Homoszene reagiert. Nachdem sich der öffentliche Druck von schwulen Migrantengruppen und des whk auf MANEO wegen dessen rassistischer Täterreports in den letzten Wochen nochmals verstärkt hatte, verzichtet der Report nun erstmals auf Angaben zu mutmaßlichen "nicht-deutschen" Tätern. Die von MANEO verfolgte Strategie, die wohlbegründeten Einwände vor allem linker Homo- und Migrantengruppen an den Jahresreports dauerhaft zu ignorieren und tapfer zu beschweigen, ist nicht aufgegangen.
Neben dem politischen Signal an die Szene ist die Entscheidung des Antigewaltprojekts auch ein erfreulicher Beitrag zur Umweltschutz: Statt mit 66 Seiten wie noch beim Jahresreport 2003 kommt der aktuelle Bericht für das Jahr 2004 mit lediglich 19 Seiten aus. Der Verzicht auf die mit bunten Tortendiagrammen bebilderten diskriminierenden Mutmaßungen zur ethnischen Herkunft möglicher Täter ersparte MANEO demnach in diesem Jahr das Abfassen von ganzen 47 Seiten rassistischen Papiermülls. Hilfreich dürfte dabei die Ankündigung des whk gewesen sein, den Jahresreport 2004 von einem versierten Kriminalisten auf Seriosität und Plausibilität prüfen zu lassen. Ein solches Gutachten hätte die vom whk belegten, geradezu irrsinnigen Zahlentricks der MANEO-Statistiken von unabhängiger Seite bestätigt. MANEO hätte damit zweifellos seine weitere Finanzierung durch den Berliner Senat aufs Spiel gesetzt.
Unverständlich ist dem whk nach wie vor, warum der beim Jugendsenat angesiedelte und für die MANEO-Förderung zuständige "Fachbereich für gleichgeschlechtliche Lebensweisen" noch im August gegenüber dem whk nachdrücklich erklärte, die MANEO-Statistiken seien "glaubwürdig" und sogar "unverzichtbar". Und das, obwohl die schon auf den ersten Blick getrimmten Ergebnisse auffällig von sämtlichen anderen kriminalwissenschaftlichen Untersuchungen nicht nur des Senats zur Gewaltbereitschaft von männlichen Jugendlichen mit muslimischem oder anderem Migrationshintergrund abwichen. Das whk hatte gegenüber dem Senat eingewandt, die Analyse und vor allem die Verbreitung und von Täterbeschreibungen sei ausschließlich Sache der polizeilichen Verfolgungsbehörden und nicht von Laien eines ehrenamtlichen Homoprojekts vorgenommen werden dürfe.
Umso irritierender ist, daß im "Jahresreport 2004" zwar die von Gewaltopfern gegenüber MANEO geäußerten Angaben zur mutmaßlichen Nationalität schwulenfeindlicher Täter verschwunden sind, das Projekt es aber andererseits immer noch nicht für nötig hält, die Nationalität von Opfern homophober Übergriffe zu protokollieren, die sich an das schwule Antigewaltprojekt wenden. Nur so könnten Angaben über das außer- wie auch innerhalb der Schwulenszene vorhandene Potential von rassistischer oder rechtsextrem motivierter Gewalt gegen schwule Männer mit Migrationshintergrund getroffen werden. Das whk hatte wiederholt kritisiert, daß in den MANEO-Jahresreports Migranten aufgrund der einseitig ausgerichteten Statistiken immer nur als Täter vorkamen, niemals jedoch als Opfer. Ausweislich des "Jahresreports 2004" muß konstatiert werden, daß MANEO weiterhin nur deutsche Opfer schwulenfeindlicher Gewalt kennt.
Hoffnungsvoll stimmt immerhin, daß MANEO in den Statistiken künftig nur noch antischwule Vorfälle zu zählen beabsichtigt, die sich tatsächlich in Berlin (bzw. "in unmittelbarer Umgebung") ereignen. Um die Zahl mutmaßlicher "nicht deutscher" Täter nach oben zu manipulieren, hatte MANEO bislang Vorfälle mitgezählt, die sich im Ausland ereigneten. Ließ sich zudem eine höhere Schwulenfeindlichkeit in Berliner Stadtteilen mit hohem Migrantenanteil durch die eigenen Erhebungen trotz kreativer Zahlenklauberei dennoch nicht belegen, interpretierte das Projekt sie in den Zusammenfassungen einfach nochmals um. All dies war seit langem öffentlich bekannt (vgl. www.whk.de/whk1705.htm sowie www.whk.de/whk3105.htm).
Nach wie vor einige Rechenkünste erfordert es, aus dem Jahresbericht 2004 ein Bild über das tatsächliche Ausmaß der MANEO bekannt gewordenen antischwulen Übergriffe abzuleiten. Von 369 "laufenden Fällen" stuft MANEO lediglich knapp Hälfte (183) als Fälle von antischwuler Gewalt (ASG) ein und das trotz recht großzügiger Auslegung des Gewaltbegriffs. Allerdings vermeidet MANEO jeden Hinweis darauf, daß es sich bei diesen ASG-Fällen laut eigener Statistik zu fast 60 Prozent um typische Armutsdelikte wie Diebstahl oder Raub handelt. Demnach gibt es für von MANEO als schwulenfeindlich ausgegebenen Fälle mehrheitlich eher soziale als schwulenfeindliche Motive. Allenfalls die übrigen gut 40 Prozent (maximal 80 Fälle) legen Homophobie als Tatmotiv zumindest nahe: Körperverletzung (46), Beleidigung/Beschimpfung (25), Tötung (3) sowie je 6 Fälle in den Bereichen sexuelle Nötigung/Vergewaltigung, Sachbeschädigung sowie "Anfragen zu Polizeimaßnahmen". Letzteres meint offenbar Polizeirazzien an den offiziell überwachten Schwulentreffpunkten. Ohne die MANEO gemeldeten Übergriffe bagatellisieren zu wollen, darf Berlin damit im Vergleich zu anderen europäischen Metropolen als ein relativ sicherer Ort für schwule Männer gelten.
Leider vermeidet der MANEO-Jahresreport 2004 jegliche Erwähnung der Kritik an den Statistiken und unterschlägt selbst Hinweise auf diverse kritische Berichte aus der Homo-Presse. Stattdessen gibt MANEO im Bericht ohne genaue Quellen an, im Vergleich zu 2003 hätten MANEO-Meldungen 2004 "wieder mehr Resonanz in den schwulen Printmedien" gefunden (S. 14). Der bereits vor einer Woche im Internet veröffentlichte Report fand bisher keinerlei Widerhall in Szenemedien.
Für Rückfragen: 0180/4444945 (Dirk Ruder)