whk3105/16.08.2005
Berliner Senat: "Phänomen" des schwulenfeindlichen Ausländers "unverzichtbar"?
Fachbereich für gleichgeschlechtliche Lebensweisen bezeichnet gefakte Statistiken des Schwulen Überfalltelefons MANEO als "nicht wissenschaftlich", aber "glaubwürdig"
Der Fachbereich für gleichgeschlechtliche Lebensweisen der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport hält die unseriösen Statistiken des von ihm geförderten Schwulen Überfalltelefons für "glaubwürdig" und sieht daher keinen Anlaß, von einer Weiterförderung des Projektes abzusehen. Hierzu erklärt das whk:
Der Berliner Senat hält die seit Jahren in der Kritik der Homoszene stehenden und offenkundig zuungunsten mutmaßlich nicht-deutscher Täter nach oben manipulierten Statistiken des von ihm geförderten Schwulen Überfalltelefons MANEO allen Ernstes für einen "glaubwürdigen" und "unverzichtbaren" Beitrag zur Dokumentation antihomosexueller Gewalt in Berlin. Dies geht aus einem an die Redaktion der whk-Zeitschrift Gigi gerichteten Schreiben des beim Jugendsenat angesiedelten Fachbereichs für gleichgeschlechtliche Lebensweisen vom 10. Mai hervor, das der AG Schwulenpolitik des whk erst jetzt bekannt wurde. Demnach beabsichtigt der Senat, das umstrittene Projekt ungeachtet heftiger Kritik aus der Homoszene in den kommenden Jahren weiter zu fördern.
Die MANEO-Jahresberichte stehen seit gut zehn Jahren wegen ihrer unwissenschaftlichen Grundlage und der tendenziell ausländerfeinlichen Ausrichtung in der Kontroverse. Die whk-Zeitschrift Gigi hatte erst im Januar diesen Jahres enthüllt, wie das Projekt mit geradezu abenteuerlichen statistischen Tricks immer wieder einen angeblich besonders hohen Ausländeranteil bei schwulenfeindlichen Gewalttätern in der Hauptstadt suggeriert, indem es beispielsweise auch Übergriffe auf Berliner mitzählt, die sich im Ausland (!) ereignen. Zudem behauptete MANEO in seinem zuletzt veröffentlichen Jahresbericht für 2003 unter anderem, der Zahl der homophoben Übergriffe von mutmaßlichen "Tätern mit Migrationshintergrund" sei in den Berliner Stadtvierteln mit hohem Ausländeranteil am höchsten und finde vor allem in der Umgebung von Szenelokalen statt, obwohl sich eine derartige Behauptung anhand der von MANEO selbst vorgelegten Zahlen absolut nicht belegen läßt. Die meisten Übergriffe etwa ein Viertel aller dem Überfalltelefon gemeldeten Fälle ereignet sich nach dessen eigenen Statiskiken vielmehr in der Wohnung des Opfers. (vgl. Gigi Nr. 35, Januar/Februar 2005, S. 18f.)
In dem zweiseitigen Schreiben an die whk-Zeitschrift beruft sich der Leiter des Homo-Gleichstellungsbereichs, Claus Nachtwey, indes auf eben jene manipulierten Täterzahlen. So sei zwar "in den letzten Jahren die jeweils ca. 180 Fälle homophober Gewalt" auflistende MANEO-Statiskik "relativ konstant geblieben", allerdings würden davon im bislang nicht veröffentlichten Jahresbericht für 2004 allein "105 Fälle auf Täter mit Migrationshintergrund" verweisen. Der Fachbereich bezeichnet den in auffälligem Kontrast zu sämtlichen Senats-Gewaltstatistiken stehenden hohen Anteil von mutmaßlich nicht-deutschen Tätern in den MANEO-Statistiken als "Phänomen" und attestiert dem Projekt ungerührt, es leiste einen "ausreichenden" (sic!) Beitrag zur Beratung von Opfern antihomosexueller Gewalt".
Zudem habe die Dokumentation antihomosexueller Gewalttaten bei MANEO "nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Aufarbeitung", sondern solle "lediglich die Opfer- und Täterzahlen in ihrem Umfeld darlegen." Daher gebe es für das Homoreferat des Senats "derzeit keinen Grund, die Glaubwürdigkeit der Daten anzuzweifeln", so Nachtwey. Für das whk stellt sich damit die Frage, weshalb der Berliner Senat ein Projekt fördert, dessen Jahresberichte schlichtweg zu nichts zu gebrauchen sind und die überdies vor allem bei Migrantengruppen der Homoszene wiederholt für Unruhe und Widersruch sorgten. Das whk fordert den Berliner Senat auf, endlich zu den massiven Zweifeln an den MANEO-Statistiken Stellung zu nehmen.
Das whk erinnert den für die Förderung von MANEO zuständigen SPD-Senator Böger in diesem Zusammenhang nochmals daran, daß das auflagenstärkste Homomagsazin Siegessäule bereits vor Jahren auf den Abdruck monatlicher MANEO-Gewaltreports verzichtet hat, und zwar explizit mit Verweis auf deren rassistischen Gehalt. Nicht zuletzt anhand der Jahresberichte des Berliner Überfallte hatte der schwule Stern-Redakteur Werner Hinzpeter in seinem Buch "Schöne schwule Welt" bereits 1997 detailliert nachgeweisen, mit welchen statistischen und rhetorischen Zaubereien in den Antigewaltberichten gearbeitet wird, die immer wieder neue Bedrohungszenarien für Homosexuelle konstruieren. So konstatierte Hinzpeter beispielsweise, dem Berliner Überfalltelefon gelinge es im Jahresbericht für 1995 mit Hilfe "absurder" Statistiken "sogar, einen Anstieg (der Fallzahlen antischwuler Gewalt whk) zu beklagen, obwohl die registrierte Zahl der Meldungen in den Jahren 1994-1995 gleich geblieben war."
Hinzpeter bilanzierte schon vor Jahren, den Überfalltelefenen werde "die Übertreibung leicht gemacht", da "ihren Ausführungen in der Regel niemand widerspricht". Es ist bestürzend, daß der Berliner Senat sich seit Jahren weigert, den Widerspruch aus der Szene zur Kenntnis zu nehmen. Erst zu Beginn diesen Jahres hatte das schwule Internetportal Queer.de auch dem Berliner Antigewaltprojekt einen "verengten Tunnelblick" vorgeworfen: "Der Eindruck der 'Experten' (bei den Schwulen Überfalltelefonen whk), homophobe Gewalt sei bei 'Migrationshintergrund' höher", scheine bei deren Arbeit "immer eine Rolle zu spielen. Seit Jahren wird das behauptet und mit unprofesionellen und vor allem unzureichenden Statistiken belegt."
Die vor fünf Jahren vom Lesben- und Schwulenverband LSVD mit Unterstützung des Bundesfamilienministeriums erarbeitete wissenschaftliche Studie "Haßverbrechen. Neue Forschung über Positionen zu antihomosexueller Gewalt" bescheinigte MANEO wegen zahlreicher fachlicher Mängel zudem eine deutliche Eingeschränkheit bei der kriminalpräventiven Arbeit, da das Schwule Überfalltelefon bei der Erarbeitung seiner Statistiken weder den nationalen und internationalen Forschungsstand berücksichtige, noch den von ihm verwendeten antihomosexuellen Gewaltbegriff irgendwo explizit definiere. So subsummiere das Projekt etwa unter dem Begriff "Diskriminierende Gewalt" sowohl "HIV-, Paar-, Alters-Diskrimnierung" als auch "Polizekontrollen"(!). Wie er Autor der Studie kommentiert, sei durch diese "nicht systematischen" und wiederholt veränderten Klassifizierungen "eine Vergleichbarkeit mit anderen Daten eingeschränkt". Den Abdruck seines umstrittenen Erhebungsfragebogens hatte MANEO für die Studie übrigens ausdrücklich untersagt.
Für einen politischen Offenbarungseid hält das whk angesichts dessen den Wunsch des Gleichstellungbereichs, das whk möge der Behörde die Ergebnisse eines vom whk beabsichtigten kriminalwissenschaftlichen Gutachtens über das fachliche Niveau des seit zwei Monaten überfälligen MANEO-Jahresreports für 2004 zukommen zu lassen. Nach Ansicht des whk gehört es durchaus zur den normalen Kontrollaufgaben einer Behörde, die von ihr finanzierten Statistiken auf ihre Seriosität und Stichhaltigkeit zu prüfen insbesondere dann, wenn diese immer wieder in öffentlicher Kritik stehen. Es ist nicht Aufgabe des whk, dem Senat Gutachten über Projekte zu finanzieren und zugänglich zu machen, für die der Senat seit 1990 schon viel zu viel Geld zum Fenster hinausgeworfen hat.
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