whk0204/13.02.2004
Es gärt beim Homoverband LSVD
Geschäftsführerin angeblich gefeuert, Buchhalter geht, Mitarbeitern Anmeldung bei der Berufsgenossenschaft verweigert, konservative Mitglieder kündigen "Sturz" des Schatzmeisters an, um "weiteren Schaden" zu verhindern
Am gestrigen Donnerstag erhielt die whk-Zeitschrift "Gigi" ein anonymes Schreiben zu internen Vorgängen beim Lesben- und Schwulenverband (LSVD). Hierzu erklärt die AG Schwulenpolitik des whk:
Das mit "Sperrvermerk: 12.02.04" und weiblichem Pseudonym versehene Schreiben war "exklusiv und vorab" an die vom whk herausgegebene Zeitschrift Gigi adressiert. Weder deren Redaktion noch das whk sehen sich in der Lage, seine Echtheit zu überprüfen. Das Dokument deckt sich allerdings in zentralen Details mit Informationen, die dem whk bereits früher bekannt wurden. Angesichts seiner politischen Brisanz hält die AG Schwulenpolitik die Unterrichtung der Öffentlichkeit für geboten.
Im Kern berichtet das im Stil einer offiziellen Pressemitteilung abgefaßte Schreiben von einer eskalierenden Krise im LSVD-Bundesverband: "Wohl am vergangenen Wochenende hat der Bundesvorstand seine Geschäftsführerin Gabriele Meixner gefeuert. Buchhalter Uwe Düllberg, erst vor einem knappen Jahr in Köln gestartet, nahm 'freiwillig seinen Hut." Düllberg hatte laut LSVD-Rundgespräch (Ausgabe Juni 2003) am 15. März 2003 "die Führung der Vereinsfinanzen" "unter Anleitung des Bundesschatzmeisters" übernommen sowie Controllingfunktionen in "Bezug auf die Projekte des Familien- und Sozialvereins im LSVD". Sein Stellenprofil umfaßte auch die Verwaltung öffentlicher Fördergelder.
Als Grund wird angegeben, der umstrittene langjährige Bundesschatzmeister Jacques Teyssier wolle mit diesem Schachzug auf dem Verbandstag Ende März "seine Wiederwahl sichern". Nach ihrer Kündigung habe Meixner "den LSVD bereits verlassen" müssen. Sie habe im LSVD "zu viele Steine umgedreht und zu viele Fragen gestellt. Selbst in ihrer Funktion als Vorstandsfrau des LSVD-Familien- und Sozialvereins, der Finanzschaltzentrale des Bundes, bekam sie keinen Einblick in die Finanzen." Zwischen Meixner und Teyssier herrsche demnach "seit Monaten Funkstille", weil Meixner den Bundesvorstand "allzu häufig mit unangenehmen Fragen genervt" habe. Über den Familien- und Sozialverein erhält der LSVD-Bundesvorstand hohe Zuwendungen aus dem Bundesfamilienministerium, über die nur er allein verfügen darf und über deren Verwendung infolge der dubiosen Parallelstruktur einfache LSVD-Mitglieder kein Auskunftsrecht haben.
Unmut beim Vorstand, dem auch Teyssiers Lebenspartner, der Parlamentarische Grünen-Geschäftsführer Volker Beck, angehört, habe ferner hervorgerufen, daß Meixner verbandsintern nach einem Nachfolger für Teyssier suchte. Wie das whk in seiner Pressemitteilung vom 23. Januar 2004 enthüllte, ermittelt die Staatsanwaltschaft Köln derzeit wegen Verdachts des Subventionsbetrugs gegen Teyssier sowie zwei weitere LSVD-Verantwortliche. Endgültig "zum Risiko" geworden sei sie durch ihr Drängen, der Vorstand solle endlich ehrenamtliche und einige fest angestellte Mitarbeiter bei der zuständigen Verwaltungs-Berufsgenossenschaft anmelden. Eine Informantin hatte die whk-Zeitschrift bereits im September 2003 darauf aufmerksam gemacht, daß eine Mitarbeiterin der Kölner Geschäftsstelle gemobbt werde, nachdem sie das Fehlen dieser gesetzlich vorgeschriebenen Versicherung aufgedeckt habe.
Für das whk unterstreichen diese neuen Vorwürfe abermals, daß es sich beim Umgang des LSVD mit Steuergeldern um ein undemokratisches Prinzip und keineswegs bloß "Schlamperei" handelt, wie die Staatsanwaltschaft Köln immer noch glaubt. Angesichts dessen sollten die Ermittlungen intensiviert werden. Dem Bundesfamilienministerium rät das whk dringend, sämtliche Zuwendendungen an den LSVD sofort einzustellen, zumal es ohnehin höchst fragwürdig ist, wenn eine Bundesregierung personell wie inhaltlich parteinahe Lobbyvereine finanziert.
Für das whk kündigt sich in dem Schreiben allerdings auch abermalige konservative Wende in der bürgerlichen Homobewegung an. So heißt es in dem Schreiben, einzelne LSVD-Mitglieder erwögen ernsthaft einen Austritt, "wenn Teyssier die Wahl erneut gewinnen sollte". Teyssier-Kritiker aus den Landesverbänden Hessen, Bayern und Sachsen-Anhalt arbeiteten "mit Hochdruck" daran, "den Bundesvorstand Ende März umzubauen und eine neue Ära einzuleiten". Zu ihnen gehört offenbar auch der sachsen-anhaltinische Landessprecher Martin Pfarr, der nach whk-Informationen den Bundesvorstand schon auf dem Verbandstag im Februar 2002 "wegen der Vorstandskrise" zum Rücktritt aufgefordert hatte. Der hatte sich damals demonstrativ vor Schatzmeister Teyssier und seinen umstrittenen Finanzbericht gestellt. Acht Delegierte enthielten sich seinerzeit bei der Entlastung des Schatzmeisters.
Der Verdacht liegt nahe, daß mit dem anonymen Brief ein darin erwähnter "liberaler Kreis" von CDU- und FDP-nahen LSVD-Mitgliedern die Übernahme des bislang bündnisgrün dominierten Verbandes auf dem kommenden Bundesverbandstag vorbereitet. Das Schreiben schließt mit der Ankündigung, jene liberalen Mitglieder wollten "Teyssier im März stürzen" und so "den LSVD vor weiterem Schaden bewahren". Ein solcher nochmaliger Rechtsruck beim homosexuellen Bürgerrechtsverband hielte den Verband auch nach einem absehbaren Regierungswechsel im Fahrwasser einer dann schwarz dominierten Koalition.
Rückfragen: 0162/6673642 (Dirk Ruder)