whk2003/05.11.2003
"Siegessäule" bestätigt latenten Rassismus
Redaktion des Berliner Homo-Stadtanzeigers denunziert antirassistische Kritik als "ideologisch verengt", "dogmatisch" und "stalinistisch"
In einer Presseerklärung vom 3. November übte das whk scharfe Kritik am aktuellen Cover des lesbisch-schwulen Berliner Stadtmagazins "Siegessäule", auf dem in großen Lettern "Türken raus!" prangt. Zu den Reaktionen darauf erklärt die Berliner Regionalgruppe des whk:
Die Erklärung des whk, dieser lediglich mit der türkischen Nationalflagge unterlegte Titel liefere "dem rassistischen Mob die Parole" und wirke somit wie ein politisches Hetzplakat, hat vor allem in antirassistischen Kreisen für Zustimmung und teils spontane Aktionen gesorgt. So gab es beim whk Anrufe von MigrantInnen, die angaben, in den für sie erreichbaren Auslagestellen die aktuellen Stapel des Anzeigenblattes komplett entsorgen zu wollen oder dies bereits getan zu haben. In linken und sogar schwulen Kneipen wird derzeit nach Informationen des whk überlegt, nicht nur das aktuelle Heft zu entfernen, sondern die "Siegessäule" generell nicht mehr auszulegen und darin auch nicht mehr zu inserieren. Bereits am Dienstagabend sind nach unserer Kenntnis sämtliche in der Berliner Lesbenberatung ausliegenden Hefte entsorgt worden. Die Lesbenberatung hat ihren Sitz auf derselben Etage wie die "Siegessäule". Das whk steht mit seiner Kritik also keineswegs allein da.
Nicht gerechnet hatte das whk mit der heutigen Stellungnahme der "Siegessäule". Gegenüber dem Internetportal "queer.de" gaben Manuela Kay und Peter Polzer an, ihr Cover sei "bewußt als Provokation und Wortspiel" gemeint. Wir fragen uns besorgt: Als Provokation für wen? Als Spiel mit welchen Worten? "Türken raus!" assoziiert keineswegs dasselbe wie etwa "Türken kommen raus". Aber Kay und Polzer setzen noch eins drauf: "Wir freuen uns, die Diskussion um ein Miteinander von Deutschen und Menschen anderer Kulturen angeregt zu haben", behaupten sie patzig und zeigen damit, daß dieses Cover mitnichten ein Versehen war, sondern ideologisch unterfüttert ist. Ihre saubere Unterscheidung von "Deutschen" und "Menschen anderer Kulturen" bestätigt exakt den Vorwurf des latenten Rassismus, der sich hinter ihrem Untertitel "Vom Coming-out in zwei Kulturen" verbirgt: Hunderttausende, oft hier geborene Deutsche stammen nämlich aus jenen für das "Siegessäule"-Personal so "anderen Kulturen".
Zur antirassistischen Kritik fällt Kay und Polzer nichts anderes ein als Ausfälle gegen das whk: Dieses sei "einer weiteren Diskussion leider nicht würdig", denn "unser Sarkasmus und in der Regel politisch-provokant-freche Stil" übersteige "offensichtlich den ideologisch verengten Horizont des schwul-lesbischen Splittergrüppchens whk". Die "Siegessäule"-Leser verfügten "über mehr Reflexionsvermögen" als das durch "seine dogmatische Propaganda im stalinistischen Stil à la 'Wer nicht für uns ist, ist gegen uns'" bekannte whk, so Kays und Polzers Denunziation beim "queer.de"-Mitarbeiter Norbert Blech. Daß Antirassismus für die "Siegessäule" eine "ideologische Verengung" und ein "stalinistisches Dogma" darstellt, hätten sie nicht zu betonen brauchen.
Einem "Splittergrüppchen" anzugehören wird hingegen langgediente Schwulenaktivisten wie Herbert Rusche und Andreas Meyer-Hanno erstaunen. Rusche ist Vorstand des Schwulen Landesverbandes Hessen (SLH) und wurde, bevor er erstes offen schwules Mitglied des Bundestages wurde, bei einem Schußwaffenattentat von Neonazis verletzt. Professor Andreas Meyer-Hanno rief die Homosexuelle Selbsthilfe (HS) und die Hannchen-Mehrzweck-Stiftung (HMS) ins Leben, die in den letzten Dekaden viele Homo-Projekte finanziell überhaupt erst möglich machten sowie für viele Lesben und Schwule Rechtsbeistand vor Gericht bezahlten. Meyer-Hannos von den Nazis ermordetem Vater setzte man in Berlin unlängst einen "Stolperstein".
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