whk1803/03.11.2003
"Siegessäule" raus!
whk: Größtes Berliner Homo-Blatt liefert mit seinem November-Titel dem rassistischen Mob die Parole
Am Wochenende wurde in Berlin die November-Ausgabe des lesbisch-schwulen Stadtmagazins "Siegessäule" verteilt, das in übergroßen Lettern "Türken raus!" titelt. Dazu erklärt die Berliner Regionalgruppe des whk:
Pünktlich zum Jahrestag der Reichspogromnacht setzt die "Siegessäule" mit "Türken raus!" eine Losung auf ihre Titelseite, wie sie fast wortgleich in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 auf Tausende Türen, Schaufenster und Häuserwände in Deutschland geschmiert wurde. Die Folgen sind bekannt.
Diese Schlagzeile illustriert erneut den historischen wie politischen Instinkt der "Siegessäule"-Redaktion. Zwar wurde klein der Untertitel "Vom Coming-out in zwei Kulturen" daruntergesetzt, doch entschärft dieser die Aussage keineswegs. Vielmehr unterfüttert er sie inhaltlich. Signalisiert doch jenes "zwei Kulturen" nichts anderes, als daß die randständige "türkische" und die dominierende "deutsche" Kultur nicht zusammengehören und unweigerlich zu Konflikten führen. Die sehr deutsch im Befehlston daherkommende Schlagzeile wird in ihrer Wirkung auch nicht dadurch gebrochen, daß etwa sympathische "türkischstämmige" Menschen abgebildet werden. Im Gegenteil wird sie noch verstärkt, indem man sie auf eine nationale Symbolebene hebt, denn unterlegt sind sie allein mit der türkischen Nationalflagge. Das macht die Titelseite der "Siegessäule" zum politischen Hetzplakat.
Dieses Plakat wurde verteilt gerade in einer Situation, in der die Stimmung in der Schwulenszene gegenüber Migranten oder hier Geborene mit türkischem Hintergrund massiv angeheizt wird. Diese sehen sich als Gruppe durch dubiose Berichte von Schwulen Überfalltelefonen und Szenemedien und von dort ausgehend in der Tagespresse seit Wochen als potentielle homophobe Gewalttäter dargestellt, als allgemeine Gefahrenquelle für Lesben und Schwule. In diese Kerbe stößt nun die "Siegessäule" und liefert mit ihrem Titel dem rassistischen Mob nicht mehr und nicht weniger als die Parole.
Daß sich diese Art historisches Bewußtsein gerade zu NS-Gedenktagen Bahn bricht, ist bei der "Siegessäule" leider kein Einzelfall. Erinnert sei an den Aufmacher zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar 1999. Ahistorisch einen "Homocaust" suggerierend, setzte die Redaktion damals das Foto einer Gedenktafel auf ihr Titelblatt. Diese Tafel hängt nicht irgendwo, sondern an jener Neuen Wache in Berlin, an der Nazi-Opfern und ihren Mördern gleichermaßen gedacht wird.
Das Berliner whk fordert vom Jackwerth-Verlag die sofortige Einsammlung der verteilten 43000 Exemplare von den knapp 700 Auslagestellen. Eine offizielle Entschuldigung für diese politische Verantwortungslosigkeit zu fordern hält es hingegen für wenig erfolgversprechend.
Rückfragen: 0180/4444945.