whk1505/09.04.2005
Schluß mit dem Mythos!
Ein würdiges Gedenken den Nazi-Opfern: whk ruft zum Boykott des künstlerischen Wettbewerbs zu einem nationalen Gedenkort für homosexuelle NS-Opfer auf
Am Freitag endete im früheren Preußischen Landtag zu Berlin ein zweitägiges Auftakt-Kolloquium zur Entscheidungsphase des künstlerischen Wettbewerbs "Gedenkort für homosexuelle NS-Opfer" in Berlin. Hierzu erklärt das whk:
Wenn das Kolloquium eines überdeutlich vor Augen führte, so den erreichten Grad an Verlogenheit und Geschichtsvergessenheit einer staatstragenden und staatsgetragenen Homo-Bürgerbewegung.
Als der die Mahnmals-Initiative mitverantwortende heutige Lesben- und Schwulenverband (LSVD) anläßlich des Christopher Street Days 1994 an der auf Geheiß Helmut Kohls Opfern und Tätern gleichermaßen gewidmeten Neuen Wache einen Kranz niederlegen wollte, bewirkte dies den von zahlreichen Aktivisten und Gruppen der Homoszene unterzeichneten Protestaufruf "Ein würdiges Gedenken den homosexuellen Opfern des Nationalsozialismus!". Dessen Mitinitiatoren waren Aktivisten, die, wie der jetzige Sprecher der Gedenkort-Initiative Albert Eckert, heute gemeinsam mit dem LSVD nichts anderes betreiben als das, was sie damals zu Recht kritisierten: "Wie bereits 1985, als am gleichen Tag SS-Männern in Bitburg und KZ-Opfern in Bergen-Belsen gedacht wurde, werden wieder Nazi-Schergen mit ihren Opfern gleichgesetzt eine Verhöhnung der Ermordeten."
Warum ein solches Denkmal zwangsläufig in eine Verhöhnung münden muß, wurde auch auf diesem Kolloquium zugunsten eines einseitigen Opfer-Mythos konsequent ignoriert. Zwar würdigte Andreas Pretzel von der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft vor Dutzenden Historikerinnen und Historikern Manfred Herzer als den "Geschichtsschreiber der Schwulenbewegung". Herzers zwanzig Jahre alte Ermahnung im Schwulenblatt Siegessäule, man übergehe mit Schweigen "die offensichtliche Tatsache, daß die große Mehrheit" der Homosexuellen "genau wie die anderen deutschen Männer und Frauen zu den willigsten Untertanen und Nutznießern des Nazistaates gehörte", überging aber auch er und mit ihm alle anderen Experten mit beredtem Schweigen.
Dabei liegen heute, gerade auch dank Pretzels Forschungen, hinreichend biographische Fakten und Erkenntnisse darüber vor, daß viele Rosa-Winkel-Opfer zuvor auch Täter und willige Vollstrecker waren sei es bei der Organisierung des industriellen Massenmords, bei der Realisierung eines Angriffs- und Vernichtungskriegs, innerhalb der Nazi-Propaganda und NS-Kultur, sei es als Profiteure von Juden-Deportationen und Arisierungen. Allein der Umstand, daß es ultimative Tötungsbefehle nur für sich homosexuell betätigende Angehörige von Polizei und Gestapo, SS und Wehrmacht gab, sollte die Unmöglichkeit des seriösen Gedenkens mittels eines Mahnmals klarmachen, das, indem es eine absurde Ethnisierung homosexuellen Handelns vornimmt, alle sonstigen Unterschiede verwischt. Vor diesem Hintergrund ist es auch außerordentlich fragwürdig, wie explizit sich das Projekt inhaltlich wie stadträumlich auf die Existenz der Mahnmale für die ermordeten Juden sowie Sinti und Roma bezieht und beruft. Damit nimmt es eine seit Jahrzehnten virulente geschichtsfälschende und im Kern antisemitisch motivierte Analogisierung der Verfolgung dieser Gruppen im öffentlichen Bewußtsein zumindest billigend in Kauf, wenn es diese nicht gar in nationalem, staatlichem Interesse bewußt fördert.
So müssen sich sowohl die Protagonisten der Initiative "Gedenkort" als auch die Beteiligten jenes LSVD, dem unauffällige Deutschnationale leichter beitreten könnten als bekannte langjährige, aber kritische Schwulenaktivisten, fragen lassen: Wie wollen Sie verhindern, daß moderne, "aufgeklärte" Neonazis, bei denen sich schwule Kneipen und Datingportale wachsender Beliebtheit erfreuen, in einem ausdrücklich zum nationalen Gedenkort deklarierten Mahnmal für ermordete Homosexuelle nicht an jedem 1. Juli eine würdige Kranzabwurfstelle für den SA-Chef Ernst Röhm erkennen? Wie wollen Sie verhindern, daß sie dort auf ausländische Gäste treffen, die deportierter und ermordeter französischer, niederländischer oder polnischer Männer gedenken, oder auf Sozialdemokraten und Kommunisten stoßen, die einen umgebrachten pädophilen Genossen und Widerstandskämpfer ehren? Wie wollen Sie verhindern, daß im Opfer zugleich dem Täter die späte Ehre von Volk und Vaterland zuteil wird? An dem Willen muß stark gezweifelt werden unter dem Eindruck dessen, daß ausgerechnet ein von einem Wehrmachtsgericht nach §175 verurteilter Frontoffizier beim Kolloquium als ehrenwertes Rosa-Winkel-Opfer beispielhaft präsentiert wurde.
Diese Fragen, die sich auch an jene Bundestagsabgeordneten richten, die nach verklärenden, teils implizit homosexuellenfeindlichen Befürwortungsreden dieses Mahnmal am 12. Dezember 2003 beschlossen, wären logischerweise nur durch eine Aufhebung des Mahnmals durch sich selbst zu beantworten. Das liegt aber nicht im Sinne seines Auftraggebers. Oder mit den bedenkenswerten Worten der Kolloquiumsreferentin Prof. Dr. Gabi Dolff-Bonekämper gefragt: "Was bedeutet es, wenn der Staat dieses Mahnmal finanziert?" Der nicht weniger als der Rechtsnachfolger des "Dritten Reiches" ist. Sie nachträglich zu stellen, war aber wohl auch nicht opportun: Die Frist zur Einreichung von Entwürfen war bereits Ende Januar abgelaufen, was jedwede weitere grundlegende Diskussion um den künstlerisch umzusetzenden Inhalt, den schließlich der Deutsche Bundestag in einem Gesetz bestimmte, rein formal und letztlich unsinnig erscheinen läßt.
Die Konsequenz kann nur darin bestehen, sich dem Projekt zu verweigern, das gesamte Konzept dieses "Gedenkortes" als historische Entgleisung und moralische Zumutung für die tatsächlichen Opfer zu verwerfen und sich dem Reinwaschungsdrang einer wiedererstarkten "Selbstbewußten Nation" mit politischem Anstand zu widersetzen. Das heißt vor allem auch, sich jenem deutschen Wesen entgegenzustellen, an dem wieder einmal die Welt genesen soll und das sich während des Kolloquiums in einer vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte unsäglichen pädagogischen Arroganz gegenüber dem Ausland gebärdete: Anhand dieses Mahnmals solle Deutschland etwa einem ägyptischen Präsidenten demonstrieren, wie ein Staat anständig mit Homosexuellen umgeht, so der von Albert Eckert wie von LSVD-Sprecher Günter Dworek expressis verbis verkündete Wunsch der Initiatoren.
Rückfragen: 0180/4444945 (Eike Stedefeldt)
Folge-Presseerklärung:
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