whk1605/17.04.2005
Holocaust-Mahnmal: Schwules Überfalltelefon biegt rechts ab
Berlins Schwules Überfalltelefon stellt das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas inhaltlich wieder öffentlich in Frage / whk: Mehr als nur ein Mißverständnis
Für den 1. Mai 2005 lädt das wegen seiner latent rassistischen Anti-Gewalt-Berichte umstrittene, senatsgeförderte Berliner Schwule Überfalltelefon "Maneo" zur Matinee über das Holocaust-Mahnmal in den Infoladen "Mann-O-Meter" ein. Dazu erklärt das whk:
Allein der Titel der von der regierungsnahen tageszeitung (taz) präsentierten und von deren stramm rechten Flügelmann Jan Feddersen moderierten Matinee ist skandalös: "Ist das Holocaustmahnmal schon alles für uns Vergangenheitsbewältigung und die Schwulen, ein Mißverständnis?" Damit kehrt Maneo zurück ins Jahr 1999. Seinerzeit war nach dem Bundestagsbeschluß zum Bau eines Mahnmals für die ermordeten Juden Europas eine mit antisemitischen Stereotypen durchsetze Empörungswelle über den angeblichen Ausschluß der "eigenen" Opfergruppe aus diesem Mahnmal durch die Schwulenszene gerollt. Das Mahnmal wurde offen angegriffen, seine Berechtigung in Frage und die Verfolgung Homosexueller gleichgestellt mit der von Juden, Sinti und Roma.
Sechs Jahre später lädt Maneo den Historiker Günter Grau als Experten, der 2004 in einem Akt fachlichen Suizids die Begriffe "Endlösung" und "Homosexuellenfrage" kombinierte, und kündigt wörtlich an: "Am 10. Mai wird in einem Staatsakt am Brandenburger Tor das lang umstrittene Holocaustmahnmal 'eröffnet': Die Geste des symbolischen Gedenkens der Deutschen an die Naziverbrechen, das steingewordene Eingeständnis einer Geschichte, die in Deutschland zwischen 1933 und 1945 möglich war. Das Gedenken gilt vor allem den Juden und das ist, gemessen an den Opferzahlen des Holocausts, auch gemessen an der absichtsvoll antisemitischen Politik der Nazis, gerecht so. Aber 'verschwindet' mit dieser staatsoffiziell begründenden Symbolik nicht zugleich auch das Erinnern an die anderen Opfergruppen, die nicht minder verfolgt wurden tausendfach tödlich, wie bei Juden mit dem Vorsatz, das, was sie sind, was sie verkörpern, auszulöschen: Schwule Männer und jene, die den Nazis als Zigeuner galten, beispielsweise? Kann ein Mahnmal für die homosexuellen Naziopfer, die Männer mit dem Rosa Winkel, ersetzen, was im Holocaustmahnmal nicht zur Geltung kommt oder kommen kann?"
Diese Annonce strotzt mit ihren stets auf ein "Ja" hinauslaufenden Suggestivfragen vor historischen Relativierungen, Faktenverdrehungen und Herabwürdigungen. Wieder darf das Wort "umstritten" nicht fehlen, natürlich wird das Stelenfeld nicht eröffnet, sondern "eröffnet". Und natürlich werden dort Deutsche symbolisch Verbrechen "der Nazis" gedenken, als ginge es nicht um Verbrechen zig Millionen Deutscher an der Menschheit, sondern als seien 1933 aus heiterem Himmel kleine braune Marsmännchen im Reich gelandet und 1945 wieder abgereist. Generös gesteht Maneo den Juden ihr Denkmal noch zu, weil sechs Millionen Ermordete infolge einer nicht, wie bei den einfachen "Volksgenossen", unbewußten, sondern "absichtsvoll" antisemitischen "Politik der Nazis" wohl oder übel akzeptiert werden müssen. Aber nur unter Hinweis auf die "anderen Opfergruppen, die nicht minder verfolgt wurden".
Um ihr den Holocaust verharmlosendes "nicht minder verfolgt" zu untermauern, mißbrauchen die Veranstalter eiskalt Sinti und Roma als Tarnung für ihre ahistorische Gleichmachung von Opfergruppen, Verfolgungsmotiv und Verfolgungspraxis. Sie behaupten allen Ernstes, Juden seien verfolgt worden "mit dem Vorsatz, das, was sie sind, was sie verkörpern, auszulöschen". Als bestehe der Unterschied zu Homosexuellen nicht gerade darin, daß die Juden selbst ausgerottet werden sollten und eben nicht irgendeine Eigenschaft, deren Träger sie angeblich waren. Es kommt einem Kunststück gleich, so zu tun, als seien die wesentlichen Fragen nicht längst geklärt: Gab es für Homosexuelle eine Wannsee-Konferenz, einen Ausrottungsbefehl? Nein. Gab es bei ähnlichem Bevölkerungsanteil wie dem jüdischen sechs Millionen und nicht sechstausend ermordete Homosexuelle? Konnten schwule Männer bei Wehrmacht, SS und Polizei dienen, solange sie nicht gegen §175 verstießen? Ja. Gab es lesbische BDM-Führerinnen? Ja. Nahmen auch homosexuelle "Volksgenossen" am Vernichtungskrieg und industriellen Massenmord teil? Ja. Darüber wäre endlich zu informieren; was indes Maneo diskutieren will, entzieht sich jeder seriösen Debatte.
Es fragt sich, was die Veranstalter noch wollen. Daß der Bundestag am 12. Dezember 2003 einen "Gedenkort für homosexuelle NS-Opfer" in unmittelbarer Nähe und gedanklicher Verbindung zum Holocaust-Mahnmal beschloß, war bereits ein Erfolg von dessen maßgeblich aus der Schwulenszene heraus erfolgten Denunziation als "einseitig" und "die Juden" privilegierend. Aber selbst die in ihm sich abzeichnende Geschichtslüge, nämlich das Verschweigen der tausendfachen Täterschaft auch homosexueller Männer und Frauen, genügt offenbar noch nicht: "Kann ein Mahnmal für die homosexuellen Naziopfer, die Männer mit dem Rosa Winkel, ersetzen, was im Holocaustmahnmal nicht zur Geltung kommt oder kommen kann?"
Die Frage ist ganz leicht zu beantworten: Am Mahnmal für die ermordeten Juden Europas wird man ab 10. Mai 2005 mehr ermordeter homosexueller Nazi-Opfer gedenken können als man es an jedem nationalen Homo-Gedenkort wird jemals tun können. Und vor allem wird man am Holocaust-Mahnmal nicht gleichzeitig auch homosexuellen Tätern die Ehre erweisen müssen.
Rückfragen: 0180/4444945 (Eike Stedefeldt)