whk0504/03.04.2004
"Gigi" nicht auf dem Index
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien lehnt Indizierung der whk-Zeitschrift ab / Pfarrgemeinde scheitert mit Antrag wegen Verbreitung von KinderpornographieDie Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hat auf ihrer 539. Sitzung am 4. März in Bonn von einer Indizierung der whk-Zeitschrift "Gigi" (Heft Nr. 27 vom September/Oktober 2003) abgesehen. Zu der seit heute schriftlich vorliegenden Entscheidungsbegründung erklärt die AG Schwulenpolitik des whk:
Mit der Entscheidung, von einer Indizierung der whk-Zeitschrift Gigi abzusehen, verpaßte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) katholischen "Kinderschützern" einen deutlichen Dämpfer. Die dem Bundesfamilienministerium unterstellte BPjM hatte das Gigi-Heft Nr. 27 vom September 2003 auf Anregung der Pfarrgemeinde St. Laurentius im münsterländischen Senden überprüft. Das Pfarramt glaubte, in dem darin abgedruckten "Stefan"-Text jugendgefährdende bzw. kinderpornographische Inhalte entdeckt zu haben. Tatsächlich beschreibt in dem fiktiven Beitrag ein erwachsener Ich-Erzähler rückblickend Freundschaften, die er als Kind zu zwei erwachsenen Männern hatte. Sexuelle Erlebnisse in diesen Beziehungen werden sowohl als positiv-bereichernd als auch körperlich schmerzhaft und negativ dargestellt.
In der heute beim whk eingegangenen schriftlichen Begründung bewertet die Bundesprüfstelle die im Kontext eines Strafverfahrens erfolgte Dokumentation des Textes in jugendschutzrechtlicher Hinsicht als einen "Fall von geringer Bedeutung". Daher sei von einer Indizierung des betreffenden Hefts nach §18, Absatz 4 des Jugendschutzgesetzes abzusehen. Als Grund nennt die Bundesprüfstelle die vergleichsweise geringe Auflage sowie die Tatsache, daß das betreffende Heft zum Zeitpunkt der Antragstellung durch die Sendener Pfarrgemeinde nicht mehr auf dem Markt erhältlich gewesen sei.
Zudem sei Gigi für Kinder und Jugendliche aufgrund des zielgerichteten Vertriebswegs über Abonnements und über "spezielle" (gemeint sind u.a. schwule) Buchläden nicht erreichbar: "Die Zeitschrift richtet sich an ein Publikum, das sich über spezielle Fragen wie z.B. Trans- und Intersexualität, Lesben- und Schwulenbewegung, Lebensform und Politik, informieren will", so die Bonner Prüfstelle. Ausführlich verweist die BPjM in diesem Zusammenhang auf die Begründung des Bundes lesbischer und schwuler Journalistinnen (BLSJ) für den Sonderpreis des Felix-Rexhausen-Preises 2001. Das whk-Periodikum sei "eine ausgezeichnete Zeitschrift".
Ebenso prüfte das zwölfköpfige Gremium unter Vorsitz der Leitenden Regierungsdirektorin Elke Monssen-Engberding, "ob die Befürchtung gerechtfertigt ist, daß auch künftige Ausgaben u.U. jugendgefährdenden Charakter haben werden": "Das 12-Gremium der Bundesprüfstelle hat der Verfahrensbeteiligten deutlich gemacht, daß sie den beanstandeten Beitrag im Sinne des Jugendschutzes als problematisch ansieht und darum gebeten, gerade die Themenbereiche Sexualität zwischen Erwachsenen und Minderjährigen besonders sensibel zu behandeln." Es sei von der Redaktion sicherzustellen, "daß zukünftige Ausgaben der Zeitschrift solche Inhalte in dieser expliziten Form nicht mehr darstellen" und "Artikel in dieser Form nicht mehr erscheinen werden".
Die Redaktion Gigi stellte in diesem Zusammenhang klar, daß sie unabhängig arbeite und selbstverständlich keinerlei Weisungen aus dem Bundesfamilienministerium akzeptiere. Seitens der Redaktion seien gegenüber der Bundesprüfstelle beim Anhörungstermin am 4. März in Bonn auch keine Zusagen über mögliche künftige Artikel und die Art der Darstellung bestimmter Themen gemacht worden. Man stimme jedoch mit dem BPjM darin überein, daß eine sexualpolitische Zeitschrift der reißerischen und tendenziösen Berichterstattung in Massenmedien eine an Fakten orientierte sachliche Darstellung entgegenzusetzen habe. Keinesfalls dürfe ein seriös arbeitendes Medium die Debatte sensibler oder strittiger Fragen einem fragwürdigen Prinzip gesellschaftlicher Opportunität opfern, so die Gigi-Redaktion.
Unterdessen nimmt das whk mit Genugtuung zur Kenntnis, daß die BPjM mit ihrer Entscheidung de facto der Staatsanwaltschaft Berlin folgte, die den anonym verfaßten "Stefan"-Text bereits im Oktober 2003 als nicht einmal pornographisch eingestuft und das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren eingestellt hatte (AZ: 75 AR 32/03, vgl. auch Pressemitteilung des whk vom 2. November 2003). Wegen desselben Textes hatte das Landgericht Trier hingegen im März 2003 zwei Männer wegen Verbreitung von Kinderpornographie zu Haftstrafen von acht Monaten ohne beziehungsweise zu sechs Monaten mit Bewährung verurteilt. Gigi hatte mehrfach über den skandalösen Prozeß berichtet und den sanktionierten Text schließlich abgedruckt, um eine Debatte anzuregen und "auf dessen bestürzende Harmlosigkeit aufmerksam" zu machen.
Als besorgniserregend wertet das whk unterdessen die ungenierte Zusammenarbeit katholischer und rechter Gruppierungen bei der Anregung von Indizierungsverfahren. So habe die Pfarrgemeinde St. Laurentius bei ihrem Indizierungsantrag in Sachen Gigi eng mit der dubiosen "Kinderschützer"-Sekte "C@rechild e.V." aus Münster kooperiert, die das betreffende Gigi-Heft im September 2003 eigens in Berlins schwulem Buchladen "Prinz Eisenherz" als Beweisstück erwarb. Nach dem Vorbild rechter Gruppierungen veröffentlicht der sogar als gemeinnützig anerkannte Verein "C@rechild" auf seiner Internetseite schwarze Listen. Darauf finden sich außer Namen von Bundestagsabgeordneten u.a. auch die von "verdächtigen" Mitarbeitern und Abonnenten der Gigi, die der Verein offenbar einem Milieu potentieller Kindermöder zurechnet.
Für das whk steht außer Frage, daß es diesen Gruppierungen wie schon in den 60er Jahren nicht um Jugendschutz, sondern vor allem um Störmanöver gegen die sexuelle Emanzipation geht. Neben Gigi hatte die Sendener Pfarrgemeinde nämlich auch eine Indizierung von Rüdiger Lautmanns soziologischer Studie "Die Lust am Kind" und Frank Goykes Kriminalroman "Knabenliebe" angeregt, worüber die BPjM ebenfalls am 4. März verhandelte. Seit Kardinal Meisners inquisitorischer Forderung, Europa müsse die Homosexualität "ausschwitzen", hält die Amtskirche offenbar alle Druckerzeugnisse für verbotswürdig, die nicht den Freigabestempel des Vatikans tragen.
Zu den vier Indizierungsschwerpunkten der Bundesprüfstelle gehören "Gewalt", "Verherrlichung der NS-Ideologie", "Rassenhaß" und "sexualethisch desorientierende Medien". Unklar bleibt nach der Nicht-Indizierung vom 4. März, ob Gigi sich künftig dennoch mit dem Qualitätssiegel "sexualethisch desorientierend" schmücken darf.
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