whk0205/17.01.2005
Gründungsdokument eines Anstandsamtes
whk lehnt Koalitionsentwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes ab: emanzipationspolitisch kontraproduktiv
Am 21. Januar 2005 findet im Bundestag die 1. Lesung des Koalitionsentwurfs für ein "Gesetz zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien" statt. Dazu erklärt das wissenschaftlich-humanitäre komitee (whk):
Als bundesweite sexualpolitische Assoziation kann das whk die allgemeine Euphorie im Hinblick auf ein vor allem den zivilrechtlichen Bereich betreffendes Antidiskriminierungsgesetz (ADG) keineswegs teilen. Hierfür gibt es prinzipielle wie auch konkrete, den vorliegenden Entwurf betreffende Gründe.
Generell sind ADG Notbehelfe, wie man vor kaum 15 Jahren in der Schwulenbewegung noch wußte. Im Wesen konservativ, sollen sie Symptome lindern, um im Wirtschaftssystem selbst liegende Ursachen sozialer, politischer und ökonomischer Benachteiligungen nicht antasten zu müssen. ADG zementieren Demokratiedefizite, statt sie abzubauen. Eine die menschlichen Beziehungen zivilisierende Antidiskriminierungspolitik müßte hingegen allgemeinen Wohlstand und die Schließung der Schere zwischen Arm und Reich zum Inhalt haben. Es sind jedoch dieselben Parteien, die heute ein ADG favorisieren beziehungsweise es unter dem Druck der EU vorlegen, welche die Gesellschaft durch ungekannten Sozialabbau und schamlose Umverteilung von unten nach oben spalten und so erst jene Konflikte forcieren, die ein ADG sinnvoll erscheinen lassen. Dem ist eine zynische Logik inhärent: Indem es die Individuen latent aufeinanderhetzt, ihre Ansprüche gegen Gesellschaft und Staat auf eine private Ebene lenkt sowie ein allgemeines Klima des Verdachts, der Vorverurteilung und Denunziation schürt, verschleiert es undemokratische Eigentumsverhältnisse und sichert somit Macht. Insofern fördert das ADG den Versuch oder die latente Drohung, mittels tatsächlicher oder angeblicher Diskriminierung Kasse zu machen. Seine Fokussierung auf Schadenersatz entspricht zwar der Verwertungslogik im Kapitalismus, hat aber mit Demokratie nichts zu tun. Hinzu kommt, daß ein unverzichtbares Funktionselement eines jeden ADG das der sozialen Kontrolle und Disziplinierung ist.
Gerade im das whk besonders interessierenden Bereich läßt der vorliegende Entwurf in zahlreichen, hier nur beispielhaft kommentierbaren Passagen eine entsprechende Ideologie und Interessenlage deutlich werden: den Drang zur nach eineindeutigen Kriterien von Sexualität und Geschlecht formierten Gesellschaft. Daß bei den in Artikel 1, Abschnitt 1, § 1 aufgeführten Benachteiligungsgründen eine "sexuelle Identität" konstruiert wird, statt von sexueller Präferenz oder sexueller Praxis auszugehen, ist Resultat der aggressiven Identitätspolitik konservativer Homoverbände. Sie entspricht deren Identifikation mit dem politischen Gegner und ist insofern opportun, als sie die von ihm gesetzte Norm "Heterosexualität" als überlegen anerkennt und ebenso wenig antastet wie das bipolare Geschlechterbild. So heißt es im Entwurf, durch den Begriff der sexuellen Identität "erfaßt werden homosexuelle Männer und Frauen, ebenso wie bisexuelle, transsexuelle oder zwischengeschlechtliche Menschen". Die Urheber hätten in ihrer Aufzählung gut auf "Mann" und "Frau" verzichten können, dies hätte jedoch die Norm verwischt und alle genannten Gruppen zu gleichberechtigten "Menschen" erhoben.
Noch aufschlußreicher ist die Subsumierung von Trans- und Intersexuellen (der wissenschaftliche Terminus wird offenkundig vermieden) unter den Diskriminierungsgrund "sexuelle Identität" statt unter "Geschlecht". Ob nur aus Dummheit oder aber Überzeugung, ist unerheblich; in jedem Fall vermeidet dies die gesetzliche Anerkenntnis von mehr als zwei Geschlechtern und verunmöglicht in der Folge Schadenersatzklagen Intersexueller gegen ihre noch immer legale Verstümmelung und Unfruchtbarmachung im Kindesalter zwecks "Geschlechtsvereindeutlichung".
Verräterisch ist auch die so absurde wie politisch nützliche Vermischung von "Diskriminierung" und "Belästigung". Sich belästigt zu fühlen, bedeutet noch längst nicht, benachteiligt zu werden. Um tatsächliche Verletzungen der körperlichen und seelischen Integrität eines Menschen im nachhinein zu ahnden oder ihnen vorzubeugen, gibt es das Strafrecht und ggf. das Bürgerliche Gesetzbuch. Um so deutlicher wird vor diesem Hintergrund und in dem, was aus der Verbindung von "Benachteiligung" und "Belästigung" folgt, der zentral auf die Sexualität gerichtete sittenpolitische Impetus, der das ADG wie das Gründungsdokument eines Anstandsamts erscheinen läßt. Letztlich ermuntert es mit einem Schwall nebulöser Begriffe und fragwürdiger (Nicht-) Definitionen dazu, jeder zwischenmenschlichen Handlung oder Geste eine (unerwünschte, sprich: "belästigende") sexuelle Motivation überzustülpen. Bereits die Verwendung kaum justiziabler Abstrakta wie "Würde" in der Definition etwa des Terminus' "Belästigung" führt das Konzept ad absurdum, Grundprobleme menschlicher Kommunikation juristisch sanktionierbar zu machen.
Das whk ist nicht naiv genug, auf eine halbwegs objektive Anwendung des ADG zu hoffen, denn diese unterliegt einem gesellschaftlichen Mindestkonsens darüber, wer diskriminiert werden darf und wer nicht. Solange die Mehrheit in Bevölkerung, Medizin und Politik nur zwei Geschlechter kennen will, wird sich kein Intersexueller auf das Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts berufen und Schadenersatz für seine Verstümmelung bei Ärzten und Eltern einklagen können. Keine offen zu ihrer pädophilien Neigung Stehende wird sich wegen des Diskriminierungsverbots der sexuellen Identität erfolgreich wehren können gegen die Zeitung, die ihre Adresse verbreitet hat oder gegen den Vermieter, der ihr wegen des darauffolgenden "Kinderschützer"-Aufmarschs vor dem Haus die Wohnung kündigt, oder auch nur gegen den Presserat, der ihre Beschwerde zurückweist, solange kein Konsens darüber herrscht, daß Pädophilie eine legitime Orientierung ist und als solche etwas grundlegend anderes als deren ggf. strafbares Ausleben in einer konkreten sexuellen Handlung. Es wird auch kein schwuler Rentner unter Berufung auf seine sexuelle Identität die Erhöhung des Beitrages zur Pflegeversicherung wegen Kinderlosigkeit ab Mai 2005 abwenden können.
Doch das ADG geht noch weiter, indem es profitable Diskriminierungsformen explizit zuläßt und damit legitimiert. Paradebeispiel sind Versicherungskonzerne, die aufgrund von Behinderungen, Krankheiten oder für besondere "Risikogruppen" den Abschluß eines Vertrages verweigern oder nur zu extrem erhöhten Prämien abschließen. Dieses dürfte weiterhin z. B. schwule Männer wegen des angeblich erhöhten HIV-Infektionsrisikos betreffen, ganz abgesehen davon, daß Individuen hierbei identitätspolitischer Logik folgend in pauschale Sippenhaft genommen werden.
Auffällig ist ferner, daß im Entwurf naheliegende Diskriminierungsmotive fehlen wie "Lebensweise" oder "Familienstand". Denn die angebliche Gleichstellungspolitik der Bundesregierung, die bestimmte Lebensformen massiv benachteiligt, würde als solche kenntlich, justiziabel und teuer für den Staat, sofern nichteheliche Lebensgemeinschaften, auch von mehr als zwei Personen, oder Alleinlebende sich darauf berufen könnten.
Durchschaubar ist in Hinsicht auf die Handhabung des ADG im Rechtsalltag auch die Definition sogenannter Antidiskriminierungsverbände, die als solche erst anerkannt werden, wenn sie über mindestens 75 Mitglieder verfügen. Was wie eine bürgerrechtspolitische Tonnenideologie anmutet, privilegiert letztlich vergleichsweise wenige große, staatlich subventionierte, regierungs- und parteinahe Lobbyvereine und stärkt somit ein allgemeines politisches Korruptionsverhältnis. Laut § 24 Abs. 4 können sie sogar finanziell davon profitieren, indem individuelle Schadenersatzansprüche an sie abgetreten werden dürfen.
Für eine antimilitaristische Assoziation geradezu grotesk ist die Tatsache, daß der Gesetzentwurf in Artikel 2 ein "eigenständiges Gesetz zum Schutz der Soldatinnen und Soldaten vor Diskriminierungen" enthält für einen Bereich, dessen Geschäftsgrundlage die Diskriminierung, die latente Drohung mit Gewalt, der unmittelbare körperliche und psychische Zwang, die Ungleichheit im Sinne von Unterordnung, Befehl und Gehorsam sowie die Gleichschaltung in Form von Entindividualisierung sind und der Diskriminierungsfreiheit erfahrungsgemäß am konsequentesten durch Tötungshandlungen herzustellen imstande ist.
Alles in allem warnt das whk vor Illusionen: Dieses ADG wird die gesellschaftliche Situation nicht verbessern, es wird zum Preis des massiven Eingriffs in Rechtsgüter wie Privatautonomie und Vertragsfreiheit bestenfalls eine Form der Diskriminierung durch eine andere ersetzen. Für eine Emanzipation im Sinne akzeptierenden Miteinanders verschiedener Seins- und Verhaltensweisen sowie des Gestaltens von deren positiven Wechselwirkungen ist das Projekt untauglich. Es wird eher zu staatlich normierter Gleichmachung führen und letztlich beschleunigte Weiterverschärfungen in anderen politischen und Rechtsbereichen flankieren, insbesondere in der Kriminalpolitik und dem inzwischen diktaturtauglichen Sexualstrafrecht.
Als Ausdruck und Instrument repressiver Toleranz enthält es überdies einen gern verschwiegenen Fallstrick für jene, die es zu schützen vorgibt: Es ist nämlich keine Einbahnstraße und wird in Zukunft trotz des einschränkenden § 21 prinzipiell beispielsweise homosexuellenfeindlichen Personen und/oder Gruppen ermöglichen, sich in geschützte Räume und Organisationen benachteiligter Gruppen und/oder Personen einzuklagen. Dies wird die über Jahrzehnte erkämpften Freiräume unter enormen Existenzdruck setzen. Zur Disposition stehen damit vor allem Frauen-, Homosexuellen- oder MigrantInnen-Vereine, also Orte der politischen Willensbildung, Selbstverständigung und Opposition. Hierzu paßt auch, daß bei der Aufzählung der Diskriminierungsgründe in Artikel 1, Abschnitt 1, § 1 das potentielle Opfer Ausgangspunkt ist. Nur so ist erklärbar, daß die Koalition sich in den Erläuterungen wortreich vom aus EU-Richtlinien übernommenen Begriff "Rasse" distanzieren muß. Wäre von der Diskriminierungshandlung beziehungsweise von deren vermeintlichem Urheber ausgegangen worden, hätte es weit konkreter "Benachteiligung aufgrund rassistischer, sexistischer, homophober ... Vorurteile" lauten können. So jedoch deklariert der Gesetzgeber in einem Antidiskriminierungsgesetz (!) die zu Schützenden zum Problem und eben nicht das Vorurteil.
Daß es Grund genug gibt, den rot-grünen Bürgerrechtsverwesern zu mißtrauen, untermauert schließlich am drastischsten Abschnitt 4, § 23 (Beweislast). Darin wird erstmals seit 1945 im deutschen Rechtssystem mit dem essentiellen Rechtsstaatsprinzip gebrochen, daß der Kläger die Schuld des Beklagten nachzuweisen hat und nicht dieser seine Unschuld beweisen muß.