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In Reaktion auf die Presseerklärung, mit der das whk am 6. Oktober 2006 gegen einen für den 10. Oktober geplanten Vortrag des berüchtigten Endokrinologen Prof. Dr. Günter Dörner am Institut für Geschichte der Medizin der Berliner Charité protestierte, lud dessen Direktor Prof. Dr. Volker Hess das whk am 9. Oktober per Email "wie alle Interessierten" ein, "im Anschluß an den morgigen Vortrag von Herrn Dörner über die Gründungsgeschichte des Instituts an der Charité die Möglichkeit zu einer offenen Diskussion zu nutzen". Da Prof. Hess offenkundig nichts verstanden hatte, mußte ihm die AG Schwulenpolitik des whk nochmals einige grundsätzliche Fragen zu Ethik und Moral erläutern.
An Prof. Dr. Volker Hess
Institut für Geschichte der Medizin
am Universitätsklinikum Charité
Ziegelstraße 5-9
10117 Berlin9. Oktober 2006
Sehr geehrter Prof. Dr. Hess,
ich danke Ihnen für die Einladung, der ich entnehme, daß Sie Prof. Dörners Forschungen zur Lösung sozialer Probleme mittels medizinischer Eingriffe für diskutabel halten und also dessen Vortrag zur Geschichte der Endokrinologie an der Charité wie geplant stattfinden wird, gegen welchen sich die von mir formulierte Presseerklärung des wissenschaftlich-humanitären komitees (whk) richtete.Womöglich ist Ihnen nicht bewußt, daß Prof. Dörner wegen seines terminatorischen Ansatzes in Bezug auf Homosexualität seit Jahrzehnten eine ganze soziale Emanzipationsbewegung gegen sich hatte - im Inland wie international. Insbesondere für die halb- und illegalen Gruppen der DDR-Lesben- und Schwulenbewegung war er eine persona non grata. Wenn Sie in den 70er und 80er Jahren in diesen Gruppen nach dem Namen eines lebenden Wissenschaftlers fragten, der mit Homophobie in Verbindung gebracht wurde, dann hörten Sie zu allererst den Namen Dörner und so war es noch in den 90er Jahren. Dieser Name wurde NIE ohne den Vorsatz "Ratten" verwendet, worin sich nicht nur die Verachtung für einen unbelehrbaren politischen Gegner äußerte, sondern auch, daß sogar medizinischen Laien der gemeingefährliche Unsinn seiner Tierversuche und der Übertragung ihrer für sich schon fragwürdigen Ergebnisse auf Menschen ins Auge sprang.
Daß dieser Unsinn politisch nie den vitalen Interessen Homosexueller und eines Existenzrechts der Homosexualität als solcher dienen konnte, lag klar auf der Hand. Daß die inhumane Ideologie hinter Dörners Forschungen weiter virulent ist und seine angeblichen Entdeckungen auch heute noch für Homophobe jedweder Couleur wichtigen Referenzwert haben, macht sie noch lange nicht seriös, sondern zeigt allenfalls ihre fortbestehende Gefährlichkeit sowie die Verlogenheit einer angeblich gewachsenen gesellschaftlichen Toleranz. Denn eine aufgeklärte Wissenschaft in einer aufgeklärten Gesellschaft verbannte die Frage nach der Ursache der Homosexualität, hinter der sich immer die nach ihrer Verhinderung und Auslöschung als unappetitliche Deviation verbarg und verbirgt, kurzerhand in den Orkus. Und eine kritische Medizingeschichte adelte ihre Protagonisten nicht, indem sie ihnen eine prominente Bühne zur Selbstbeweihräucherung und Rechtfertigung bietet.
Nein, ein Homosexueller mit Selbstachtung und Geschichtsbewußtsein oder auch nur einem in Selbstschutz geschultem Instinkt, sehr geehrter Herr Prof. Hess, kann mit keinem Prof. Dörner diskutieren. Es wäre eine Zumutung. Die eigene Existenz als sexuelles Individuum unter der Prämisse einer Hierarchisierung und Normierung sexueller Orientierungen ist nämlich schlichtweg nicht verhandelbar. Das hat mit Ethik und Moral zu tun oder einfach mit einem so altmodischen Begriff wie Würde.
Mit freundlichen Grüßen
Eike Stedefeldt
AG Schwulenpolitik des whk
Berlin