Dokumentation Start
Zurück zur Presseerklärung
An die TeilnehmerInnen des 15. Verbandstages des
Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland e.V.
im Bürgerzentrum Deutz
Tempelstraße 41-43
50679 Köln
Berlin, 28. März 2003
Vorwärts, Ihr seid noch nicht am Ziel!
Grußwort an den 15. Verbandstag des LSVDLiebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer des LSVD-Verbandstages,
liebe Mitglieder des LSVD,zum 15. Verbandstag sendet Euch die AG Schwulenpolitik des wissenschaftlich-humanitären komitees (whk) herzliche Grüße und wünscht Euch für die Tagung viel Erfolg.
Seit der Gründung im März 1990 in Leipzig hat der (L)SVD eine beachtliche Entwicklung vollzogen. Niemand wird bestreiten: Ohne das unermüdliche Engagement des LSVD sähe die Schwulen- und Lesbenszene unseres Landes heute anders aus. Etliche Vereinsgründungen gehen auf die Initiative von LSVD-Vorständlern zurück. So manches Projekt der Community wäre ohne die Beihilfe Eures Verbandes frühzeitig gescheitert. Nicht zuletzt konnte der LSVD durch viele politische Aktionen in den letzten Jahren eine breite Öffentlichkeit für das Thema Homosexualität interessieren.
Daß dies nicht alles gewesen sein kann, wißt Ihr am besten. Auf Eurem Verbandstag werdet Ihr deshalb eine Resolution Eures Bundesvorstands mit dem Titel "Wir sind noch nicht am Ziel!" verabschieden und darin betonen, daß es sich lohnt, "für das Ganze zu kämpfen". Dies ist eine beachtliche Feststellung. Auch das an Traditionen des Wissenschaftlich-humanitären Komitees von 1897 anknüpfende whk ist der Ansicht, daß Emanzipation nicht in Teilen erreicht werden kann, sondern durch die Emanzipation der gesamten Gesellschaft erkämpft werden muß. Wie der LSVD sieht auch das whk im unerschrockenen Eintreten für die (homo-)sexuelle Emanzipation eine Frage der Würde. Gegen zunehmende staatliche Repression, selbst wenn sie im ganz in Weiß mit einem Blumenstrauß daherkommt, ist das Kuscheln mit der Obrigkeit allerdings kein gutes Rezept. Hier sind Standhaftigkeit und Kampfgeist statt argloser Ja-Worte gefragt. Mit Genugtuung nimmt das whk daher zur Kenntnis, daß Ihr nach Jahren des Schwarzfahrens nunmehr auch ein "Ticket zur Gleichberechtigung" lösen wollt. Ihr seid auf einer guten Reise!
Für den LSVD geht es darum, in Zukunft gleichberechtigt und gemeinsam mit anderen Homo-Gruppen eine Koalition der Vernunft zu bilden, um die rot-grüne Rollback-Politik zu stoppen. Es ist diese furchtbare Politik, die Selbsthilfegruppen in den Ruin treibt und unangepaßte Sexualitäten kriminalisiert. Nie wieder darf es passieren, daß die kritischen Teile der Schwulen- und Lesbenszene von wichtigen Gesetzesvorhaben ausgeschlossen werden und der LSVD dazu schweigt. Auch die Enteignung schwuler NS-Opfer zugunsten einer kollektiven Entschädigung war kein Zeichen von Solidarität: Die individuelle Entschädigung für die den KZs entkommenen Rosa-Winkel-Häftlinge stand einst ganz oben auf der Agenda der Schwulenbewegung.
Davon will die Bundesregierung natürlich nichts wissen. Mehr noch: Sie zeichnet, wie am 4. Oktober 2002, Wissenschaftskonzepte mit höchsten Orden aus, die in typischer NS-Tradition darauf abzielen, Homosexualität auszumerzen. Wir bedauern zutiefst, daß eines Eurer Vorstandsmitglieder sein Bundesverdienstkreuz aus Protest gegen die gleichzeitig erfolgte skandalöse Ehrung Günter Dörners bislang nicht zurückgegeben hat. Er sollte es sich wert sein.
Freilich ist auf dem Weg zum Glück auch innerhalb des LSVD noch viel Arbeit zu leisten. Oder mit einem alten Schlagwort aus der DDR-Bürgerrechtsszene: Glasnost und Perestroika, Transparenz und Umbau stehen auf dem Programm. Es gilt, Euren aus der ostdeutschen Dissidentenbewegung entstandenen Verband in einen wahren Bürgerrechtsverein zu verwandeln, der intern Demokratie praktiziert und dessen Satzung Gruppen- und Einzelmitgliedschaften nicht gegeneinander ausspielt. Das Überleben des LSVD erfordert, seine Strukturen unabhängig zu machen von staatlichen Finanzen und damit staatlicher Einflußnahme. Denn eines wußten schon die Gründer des DDR-SVD: Nichts ist schlimmer als ein Homosexuellenverband, den die Regierung lenkt. Daß sich der Kampf für eine solche unabhängige Organisationen lohnt, haben Euch die Eure Ost-Gründerväter vorgemacht. Jetzt heißt es: Vorwärts und nicht vergessen!
Sicher werdet Ihr auf Eurem Verbandstag viele Fragen an den Bundesvorstand haben. Nach der Insolvenz Eures nordrhein-westfälischen Landesverbands wegen unsachgemäßer Verwendung von Landesgeldern im letzten Jahr habt Ihr viel an Vertrauen verloren. In Eurer Resolution wird es heißen, der LSVD lädt alle ein, mit Euch "die nächsten Aufgaben anzupacken". Nun müssen den Worten auch Taten folgen: Daß bei der Neugründung Eures NRW-Landesverbands vergangenes Wochenende interessierte Noch-nicht-Mitglieder, die beim Neuaufbau tatkräftig anpacken wollten, abgewiesen wurden, war noch kein Signal der Erneuerung.
Auch die Finanzaffäre um die Konkurs gegangene QUEER AG, die von zweien LSVD- Bundessprechern mitgegründet wurde, die ohne Euch zu fragen mindestens 400 Aktien im Namen Eures Verbandes kauften, ist nicht aufgearbeitet. Gewiß werdet Ihr den Verbandstag nutzen, den alten Seilschaften im Vorstand dafür die rot-grüne Karte zu zeigen. Vielleicht wird ja wie in den Vorjahren abermals jemand den Schatzmeister fragen, warum im Finanzbericht die Subventionen aus dem Bundesfamilienministerium nicht auftauchen und sich wundern, warum Ihr als einfache Mitglieder nicht berechtigt seid, Genaueres darüber zu erfahren. Bei der Aufklärung all dessen werdet Ihr als stimmberechtigte LSVD-Mitglieder zweifellos um jeden Zentimeter ringen müssen. Laßt Euch dabei nicht entmutigen, denn den neuen Vorstand wählt niemand anders als Ihr. Es liegt in Eurer Hand, den LSVD zu einem verläßlichen Partner in Sachen Homopolitik zu machen. Kämpft dafür!
-----
P.S.: Um Euren Kampf gegen alte Strukturen zu unterstützen, stiftet das whk exklusiv für LSVD-Mitglieder Spar-Abos seiner sexualpolitischen Zeitschrift Gigi. Näheres dazu findet Ihr auf www.gigi-online.de.