Dokumentation
Auf den von whk-Freundin Ortwin Passon an die Adressaten weitergeleiteten Offenen Brief des whk reagierte als erste die Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag. Die Aufmerksamkeit sei hier insbesondere auf den Umstand gelenkt, daß das Schreiben zu der vom whk geforderten Entschädigung von Wehrmachtsdeserteuren und Opfern des §175 kein einziges Wort enthält nicht einmal betreffend die entsprechenden NS-Opfer. Damit fehlt jede Aussage zu der Kernforderung des Offenen Briefes. Eine kurze Kommentierung enthalten die Mitteilungen des whk vom März/April 2002.
Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag
Ludwig Stiegler, MdBBerlin, 18. Februar 2002
Rehabilitierung von Wehrmachts-Deserteuren und Opfern des §175
Sehr geehrter Herr Passon,ich danke Ihnen für Ihr Schreiben vom 8. Februar d. J. und dem hiermit übersandten offenen Brief, mit dem Sie eine umgehende Rehabilitation und materielle Entschädigung von Wehrmachts-Deserteuren und Opfern des § 175 StGB einfordern.
Wir kommen diesen Forderungen mit unserem kürzlich eingebrachten Koalitionsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege weit entgegen.
Durch entsprechende Ergänzungen des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile werden
- Verurteilungen homosexueller Männer zur NS-Zeit
- Verurteilungen nach dem Militärstrafgesetzbuch wegen Desertation/Fahnenflucht (insb.: Übergabe an den Feind, Unerlaubte Entfernung, Desertion, Dienstpflichtverletzung aus Furcht, Feigheit...)
generell aufgehoben. Die bisherige vielfach als diskriminierend empfundene Einzelfallprüfung vor Aufhebung entsprechender Urteile entfällt damit.
Eine Aufhebung von nachkonstitutionellen Urteilen nach § 175, 175a Nr. 4 StGB mußte aus verfassungsrechtlichen Gründen unterbleiben. Der Gewaltenteilungsgrundsatz gestattet es dem Gesetzgeber nicht, Entscheidungen einer anderen Staatsgewalt aufzuheben. Das Bundesverfassungsgericht hat darauf hingewiesen, daß Gesetze, die rückwirkend in die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen eingreifen, den Grundsatz der Gewaltenteilung berühren (BVerfGE 72, 302, 328). Einer Aufhebbarkeit nochkonstitutioneller Urteile durch Gesetz steht ferner das zur Gewährleistung von Rechtssicherheit verpflichtende Rechtsstaatsprinzip entgegen. Stünden rechtskräftige Urteile zur Disposition des Gesetzgebers, so wäre die Sicherheit des Rechts nicht mehr gewährleistet. Hier endet die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers.Ich darf Ihnen versichern, daß wir dieses wichtige Gesetzgebungsvorhaben zügig vorantreiben werden, damit auch dieser Bereich von NS-Unrecht endlich bereinigt wird.
Mit freundlichem Gruß
Ludwig Stiegler