Dokumentation
Antwort der NRW-Datenschutzbehörde auf die Gigi-Anfrage vom 11. Juni zu den Aktionen des Düsseldorfer Ordnungsamtes gegen Klappenbesucher
Datenschutz Stadt Düsseldorf; Behandlung personenbezogener Daten in Ordnungswidrigkeitenverfahren
Ihr Schreiben vom 11. Juni 2003
Sehr geehrter Herr Ruder,
Frau Sokol dankt Ihnen für Ihr Schreiben. Sie hat mich gebeten, Ihnen zu antworten. Die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (LDI NRW) hat aktuell keine Prüfungen der Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten durch das Düsseldorfer Ordnungsamt durchgeführt. Weder haben uns Eingaben von Betroffenen der von Ihnen beschriebenen
Ordnungswidrigkeitenverfahren erreicht, noch gab es in jüngster Zeit eine generelle Datenschutzüberprüfung des Düsseldorfer Ordnungsamtes durch die Landesbeauftragte. Zu den konkret von Ihnen angesprochenen Sachverhalten kann ich daher keine Stellungnahme abgeben.Allgemein möchte ich zunächst ausführen, dass Informationen über das Sexualleben einer Person gemäß § 4 Abs. 3 des Datenschutzgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (DSG NRW) einem besonderen Schutz unterliegen. (Den Wortlaut der Vorschrift im Einzelnen können Sie auf unserer Homepage www.ldi.nrw.de nachlesen.) In der Regel muss danach die Verarbeitung der Daten in einem qualifizierten Gesetz geregelt sein, dass besondere Garantien für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung enthält und den Zweck der Datenverarbeitung festlegt. Auf Ihre Fragen im Einzelnen kann ich Ihnen folgende Antworten geben:
1. Die Durchführung von Ordnungswidrigkeitenverfahren richtet sich nach den Vorschriften des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG) und den sinngemäß anzuwendenden Vorschriften über das Strafverfahren (§ 46 OWiG). Im Ordnungswidrigkeitenverfahren ist der betroffenen Person im Rahmen der Anhörung nach § 55 OWiG rechtliches Gehör (Art. 103 des Grundgesetzes) zu gewähren. Unter Anhörung wird allgemein die Gelegenheit zur Äußerung verstanden. Ihr Zweck besteht darin, der betroffenen Person die Möglichkeit zu gewähren, sich gegen den Verdacht einer Ordnungswidrigkeit zu verteidigen. Die Befugnis, im Anhörungsverfahren Angaben zur Person der oder des Betroffenen zu erheben, ergibt sich aus § 163 b der Strafprozessordnung (StPO) i.V.m. § 111 OWiG. Danach kann die Behörde einzelne oder alle der in § 111 OWiG genannten Personalien (Namen, Ort und Tag der Geburt, Familienstand, Beruf, Wohnort Wohnung, Staatsangehörigkeit) verlangen. Die personenbezogenen Daten unterliegen einer Zweckbindung, d.h. die Daten dürfen nur für Zwecke weiterverarbeitet werden, für die sie erhoben worden sind (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 2 des Datenschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen - DSG NRW -).
Über eine vom Ordnungsamt der Stadt Düsseldorf seit Sommer 2002 veranlasste routinemäßige Speicherung von Angaben zu Personen, die Aufschlüsse über eine mögliche sexuelle Orientierung der Betroffenen (Rosa Listen) geben könnten, liegen hier keine Erkenntnisse vor. Eine Speicherung solcher Angaben in Listen, isoliert von dem jeweils konkreten Ordnungswidrigkeitenverfahren, dürfte unzulässig sein, weil es an einer Rechtsgrundlage für eine solche Datenverarbeitung fehlt.
2. siehe 1, zweiter Absatz.
3. Wie einleitend ausgeführt unterliegen nach dem DSG NRW Angaben über das Sexualleben einem besonderen Schutz.
4. Eine Datensammlung über das Sexualleben und somit auch über die sexuelle Orientierung von Personen ist unzulässig (siehe 1). Von einer zielgerichteten Datensammlung über das Verhalten vieler Personen zu unterscheiden sind einzelne Ordnungswidrigkeitenverfahren, in denen die Erhebung von Angaben über das Sexualleben einer einzelnen Person Gegenstand des Tatbestandes ist. Die im einzelnen Verfahren erhobenen Angaben über das Sexualleben der Betroffenen darf aber nicht im Sinne einer Datensammlung (rosa Liste) mit vergleichbaren Informationen aus anderen Verfahren
verknüpft werden.
5. Für den Aufgabenvollzug der Polizei im Rahmen von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gelten die Reglungen der StPO. Sofern es zur Aufklärung einer Straftat geboten ist, kann eine Verwendung von Angaben über die sexuelle Orientierung einer Person zulässig sein. Hier
kommen insbesondere Handlungen nach den §§ 174 bis 184 c des Strafgesetzbuchs in Betracht. Soweit die Speicherung von Daten aus derartigen Strafverfahren zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung erforderlich sind, ist die Polizei befugt, insoweit rechtmäßig erlangte
personenbezogene Daten in Akten oder Dateien zu speichern. Rechtsgrundlage hierfür ist § 24 des Polizeigesetzes Nordrhein-Westfalen.
6. Die Datenverarbeitung öffentlicher Stellen, somit auch die Speicherung personenbezogener Daten in Form von Datensammlungen, kann durch die LDI NRW aus Anlass von Bürgereingaben oder auch durch - angemeldete oder unvermutete - Informations- und Kontrollbesuche überprüft werden.
7. und 8. Zur Führung sog. Rosa Listen durch die Polizei wurde durch den damaligen Landesbeauftragten für Datenschutz NRW im Zeitraum bis zum 31.12.1990 mehrfach festgestellt, dass bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen keine derartigen Datensammlungen geführt werden. Wir sind anlässlich von Eingaben Betroffener sogar darauf aufmerksam gemacht worden, dass die Polizei im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgabenerfüllung grundsätzlich ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis zu Homosexuellen pflegt, ihre Lebensweise achtet und auf Emotionen Rücksicht nimmt. Auf die sexuelle Orientierung hinweisende Datensammlungen der nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzbehörde sind hier nicht bekannt.
9. Bei der Durchführung von Bußgeldverfahren ist die Übermittlung personenbezogener Daten der Betroffenen, die den Gegenstand des Verfahrens betreffen, durch Gerichte, Staatsanwaltschaften und Verwaltungsbehörden nach § 49a Abs. 1 Satz 1 OWiG zulässig, wenn die Kenntnis der Daten aus der Sicht der übermittelnden Stelle für Entscheidungen in Bußgeldsachen einschließlich der Entscheidungen bei der Vollstreckung von Bußgeldentscheidungen oder in Gnadensachen erforderlich ist. Für bestimmte, nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilende Sonderfälle sieht Absatz 2 dieser Vorschrift weitere Übermittlungsvoraussetzungen vor. Nach § 49a Abs. 1 Satz 4 OWiG
unterbleibt die Übermittlung, soweit für die übermittelnde Stelle offensichtlich ist, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen an dem Ausschluss der Übermittlung überwiegen. Diese Vorschriften verdeutlichen, dass ein genereller Zugriff von Behörden auf Daten aus Bußgeldverfahren von Ordnungsämtern nicht besteht. Eine solche Verfahrensweise wäre mit den Grundsätzen des
Datenschutzes auch unvereinbar.
10. Bei der Gewährung von Sozialhilfe sind Einkünfte einer mit der Antrag stellenden Person in wirtschaftlicher Gemeinschaft lebenden weiteren Person zu berücksichtigen. Die Frage ob zusammenlebende Personen eine wirtschaftlichen Gemeinschaft bilden, ist grundsätzlich unabhängig von der Frage der sexuellen Orientierung. Insoweit ist nicht erkennbar, welche Informationen das Sozialamt aus den Ordnungswidrigkeitenverfahren nutzen könnte. Ein Rückgriff durch die Sozialämter wäre deshalb datenschutzwidrig.
11. Daten aus Bußgeldverfahren dürfen drei Jahre aufbewahrt werden. Maßgeblich hierfür ist der Eintritt der Verfolgungsverjährung (vgl. §§ 31 ff. OWiG). Die Speicherfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem die Akten abgeschlossen worden sind.
12. Personenbezogene Daten sind nach § 19 Abs. 3 DSG NRW zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig oder ihre Kenntnis für die speichernde Stelle zur Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. In bestimmten Fällen kann eine Löschung unter den in Satz 2 dieser Vorschrift genannten
Voraussetzungen unterbleiben, jedoch sind die Daten dann zu sperren.
13. Betroffene können sich an die speichernde Stelle wenden und bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen (siehe Antwort 12) eine Löschung ihrer Daten verlangen.
14. und 15. Der LDI NRW liegen hierzu keine Erkenntnisse vor.
Abschließend möchte ich Sie bitten, uns zu informieren, sofern sie konkrete Hinweise darauf haben, dass in nordrhein-westfälischen Behörden Informationen über die sexuelle Orientierung unzulässig verarbeitet werden. Sollten Ihnen Beschwerden von einzelnen Personen hierzu vorliegen, sollten
Sie diese darüber informieren, dass ihnen nach § 25 DSG NRW das Recht zusteht die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit anzurufen und um Überprüfung des Sachverhalts zu bitten. Soweit Sie weitere Fragen hierzu haben, können Sie diese auch telefonisch mit mir unter der o.a. Rufnummer klären. Sollten Sie einen Artikel zu diesem Thema verfassen, würde es mich sehr freuen, wenn ich diesen zur Kenntnis bekommen könnte.Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag(Bettina Gayk)