whkSüdbaden0200/30. 05. 2000
Corpus Christi: CDU leistet rechter Gewalt Vorschub
Der CDU-Kreisvorsitzende und Freiburger Stadtrat Klaus Schüle forderte in der "Badischen Zeitung" vom 29.5.2000 die Absetzung der am 18. 7. geplanten Aufführung des Theaterstücks "Corpus Christi" des US-amerikanischen Pulitzer-Preisträgers Terrence McNally im Großen Haus des Freiburger Stadttheaters. Das Stück verletze seiner Ansicht nach "in hohem Maß" und "in einer unerträglichen Art und Weise" das "religiöse Empfinden sehr vieler Christen". Hierzu erklärt Claas Sudbrake, Sprecherin der whk-Regionalgruppe Südbaden:
In Karlsruhe und Ulm, d.h. in zweien von insgesamt fünf Spielstätten in BaWü, die ursprünglich die Aufführung in Solidarität mit der Heilbronner Inszenierung geplant hatten, wurde das "Skandalstück" bereits wieder aus dem Spielplan gekippt. Allen voran in den entscheidungstragenden Gemeindegremien: Abgeordnete der CDU, die sich wie so oft nicht scheuen, gewaltbereiten Rechtsextremen den Rücken zu stärken, wenn deren reaktionäre Ziele nur nahe genug an den eigenen sind. Gesehen hat von den so beleidigten "sehr vielen Christen" das Stück kaum jemand. Es reicht, zu wissen, daß Jesus und die Apostel als "trinkfreudige Homosexuelle" dargestellt werden. Völlig unwichtig dabei die Intentionen des Autors: Was ein rechter Gläubiger ist, dem genügen ein, zwei Schlüsselreizwörter, um zu wissen, daß es da nur mal wieder um eines gehen kann: "Religion in den Dreck zu ziehen".
Umgekehrt treten gerade Religionsanhänger und nicht nur fanatische die Rechte Andersfühlender und Andersdenkender "in hohem Maß" und "in einer unerträglichen Art und Weise" mit Füßen und das bereits seit zweitausend Jahren. Dabei geht es für Lesben, Schwule und Transen beileibe nicht nur um Gefühle: Immer noch und immer wieder schlagen in aller Welt religiös motivierte Folterer und Mörder gnadenlos zu, wenn sie die Dogmen ihrer Religion durch abweichende Sexualität und Lebensstil gefährdet sehen. So werden immer wieder in islamischen Ländern z.B. "ehebrecherische" Frauen gesteinigt und Todesurteile an Anderssexuellen vollstreckt. Doch auch im "aufgeklärten Westen" geschehen tagtäglich Gewalttaten an Homo- und Transsexuellen, die zum großen Teil auf das Konto religiöser Hetze gehen. Über Terrence McNally, den Autor des Stückes, wurde im vergangenen September von der islamisch-fundamentalistischen Splittergruppe Al-Muhajiroun sogar ein religiöses Todesurteil verhängt, die erste offizielle "Fatwa'' seit Salman Rushdie. Auch in Heilbronn eskalierten die maßgeblich von den erzkonservativen Parteien "Bibeltreuer Christen" und "Christlichen Mitte" getragenen Demonstrationen, zu denen sich auch Mitglieder der vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften Deutschland-Bewegung des ehemaligen Friedensforschers Alfred Mechtersheimer gesellten: Nach wiederholten Bombendrohungen gegen das Theater gipfelten die Proteste zuletzt in anonymen Morddrohungen gegen den Heilbronner Oberbürgermeister Helmut Himmelsbach sowie den Intendanten Klaus Wagner. Auch tätliche Ausschreitungen mit Verletzten blieben nicht aus, als ein Schlägertrupp junger syrisch-orthodoxer Christen ohne Vorwarnung eine Gegendemonstration der Heilbronner Aidshilfe angriff.
Natürlich distanzieren sich die meisten der protestierenden Christen und ihre demokratischen Vertreter aus den C-Parteien von der Gewaltanwendung, natürlich definieren sie sich nicht über ihre Intoleranz, ihre Lust- und Menschenfeindlichkeit. Indes: Die Entscheidungen von Ulm und Karlsruhe gegen die Aufführung von "Corpus Christi", wie sie jetzt auch Klaus Schüle für Freiburg fordert, signalisieren nicht nur die Kapitulation vor den gewaltbereiten Extremisten, sondern bedeuten auch Bestätigung, wenn nicht sogar Anstiftung zu Haßtaten. Dies zumindest sollte auch ein verantwortlicher Politiker wie Schüle aus der Anti-Doppelpaß-Kampagne seiner eigenen Partei vom Frühjahr 1999 gelernt haben: Dieser folgte nicht nur in den neuen Bundesländern ein Anstieg von rassistisch motivierten Überfällen, die von mindestens einem der Opfer mit dem Leben bezahlt wurde. Erinnert sei an Guben.
So wirr die Argumentationen Schüles in dessen Pressemitteilung auch anmuten, deutlich wird vor allem wieder eines: Es geht gegen Minderheiten gleichgültig ob sexuelle oder nichtdeutsche. Wie sonst ist seine Forderung zu verstehen, das Stück dürfe nicht "mit öffentlichen Mitteln" unterstützt werden, weil "die Gesellschaft und der Staat auf christlichen Grundwerten" beruhen? Wo bleibt hier die gesetzlich verankerte Trennung von Staat und Kirche? Geht es vielleicht nur vordergründig um den Schutz heiliger Werte und religiöser Gefühle? Ist nicht vielmehr auch mal wieder die Sauberhaltung deutscher Kultur und deutschen Christentums vor unreinen Einflüssen gemeint, "unmoralischen" und nichtchristlichen ausländischen gleichermaßen? Ist der CDU-Protest gegen "Corpus Christi" somit nichts anderes als die Fortführung einer rassistischen Politik mit anderen Mitteln?
Nicht das Theaterstück, sondern der CDU-Protest dagegen ist das Schauerspiel, bei dem diesmal auch die Homophobie-Trumpfkarte endlich mal wieder ausgespielt werden kann. An willigen Statisten wird es der CDU auch diesmal nicht fehlen. Der Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg hat offensichtlich begonnen. Auf welchem Rücken die CDU ihn austragen will, ist einmal mehr klar geworden.
Das whk fordert deshalb die Leitung des Freiburger Theaters sowie die verantwortlichen Politiker und Gremien der Stadt auf, an ihrer Entscheidung festzuhalten und die Aufführung des Gastspiels 'Corpus Christi' in Freiburg zu gewährleisten und zu unterstützen - aus den oben aufgeführten Gründen und als Signal zur Solidarität mit den Künstlern und den im Stück angesprochenen Minderheiten.