whk2605/02.08.2005
"Rosa Listen": Bundesregierung stellt sich dumm
Rot-Grün hat angeblich "keine Kenntnis" über Speicherung des Personenmerkmals "homosexuell" bei Sicherheitsbehörden / whk: Halbherziges Demeti der fragwürdigen Speicherungspraxis stellt im Prinzip eine Bestätigung dar
Zu der ungewöhnlich knappen und ausweichenden Erklärung der Bundesregierung, sie habe keine Kenntnis über Speicherungsmöglichkeiten des Personenmerkmals "homosexuell" in den Datenbanken von Sicherheitsbehörden, erklärt das wissenschaftlich-humanitäre komitee (whk):
Die angesichts des "Rosa Listen"-Skandals von den zuständigen Stellen zur Schau gestellte Ahnungslosigkeit nimmt immer groteskere Züge an. Nachdem sich das Innenministerium Nordrhein-Westfalens bis heute weigert, mitzuteilen, wie viele mutmaßlich homosexuelle Personen im Polizeisystem IGVP gespeichert bzw. auf öffentlichen Druck inzwischen gelöscht worden sind, nachdem das bayerische Innenministerium die kaum glaubhafte Zahl von angeblich weniger als 130 entsprechenden Datensätzen zugab und sich das Land Thüringen trotz der bekannt gewordenen Speichermöglichkeit sogar für vollständig "Rosa Listen"-frei erklärte, scheint nun auch die rot-grüne Bundesregierung in Sachen Homokarteien von einer Art Erkenntnis-Unlust befallen worden zu sein.
Wie die whk-Zeitschrift Gigi gestern aus Berliner Parlamentskreisen erfuhr, will die Bundesregierung keine Informationen darüber haben, ob ihr nachgeordnete Sicherheitsbehörden das Personenmerkmal "homosexuell" in Datenbanken speichern oder nicht. Dies jedenfalls geht aus einer Antwort der Bundesregierung an die datenschutzpolitische Sprecherin der FPD-Bundestagsfraktion, Gisela Piltz, hervor, die dem whk vorliegt. In der Anfrage vom 13. Juli 2005 hatte die liberale Bundestagsabgeordnete von der Regierung wissen wollen, "in welchem Umfang" die Bundesregierung "Kenntnis davon" habe, "daß deutsche Sicherheitsbehörden bei der Erfassung der Personalien von Verdächtigen auch eine Rubrik 'homosexuell' führen" und "wenn ja", bei "welchen Behörden dies der Fall" sei.
Die Bundesregierung erklärt hierzu, nach ihrer Kenntnis führe "keine Sicherheitsbehörde des Bundes bei der Erfassung der Personalien von Verdächtigen eine Rubrik 'homosexuell'. Ein entsprechendes Datenfeld existiert in keiner Datei." Für das whk ist mehr als auffällig, wie sehr die Regierung der Frage ausweicht. Während sich Piltz allgemein nach der Erfassungspraxis bei "deutschen Sicherheitsbehörden" erkundigt, wozu auch die Länderpolizeien und die Landesämter für Verfassungschutz gehören, grenzt die Bundesregierung ihre Antwort auf die "Sicherheitsbehörden des Bundes" ein. Zudem weist sie die Feststellung der FPD-Bundestagsabgeordneten, das Sicherheitsbehörden entsprechende Listen führen, an keiner Stelle explizit zurück und beruft sich statt dessen auf ihre Unkenntnis. Mit diesem halbherzigen und lustlosen Dementi hat die Bundesregierung die fragwürdige Speicherung von sexuellen Vorlieben unbescholtener Bürgerinnen und Bürger nach Ansicht des whk im Prinzip bestätigt.
Im Zusammenhang mit der möglichen und tatsächlichen Überwachung von Cruising areas und anderen Schwulentreffpunkten wie Bars und Saunen verlangte die FDP-Abgeordnete Gisela Piltz von der Bundesregierung außerdem Auskunft darüber, "in welchem Umfang" die Bundesregierung Kenntnis davon habe, "daß deutsche Sicherheitsbehörden Informationen darüber speichern", ob eine Person an einem Ort angetroffen wird, der behördenintern mit dem Zahlencode 901 ("Aufenthalt von Homosexuellen") verschlüsselt wird. Die knappe Antwort: "Nach Kenntnis der Bundesregierung speichert keine Sicherheitsbehörde des Bundes Informationen darüber, ob eine Person an einem Ort angetroffen wird, der behördenintern über einen Bezug zum Aufenthalt homosexueller Personen definiert wird." Auch hier schränkt die Bundesregierung ihre Antwort ausdrücklich auf Bundesbehörden ein und beruft sich erneut auf Nichtwissen.
Das whk fordert die Bundesregierung auf, sich umgehend und umfassend über die von ihr nicht bestrittene Erfassungpraxis durch das Personenmerkmal "homosexuell" in Bundes- und Landesbehörden zu informieren und noch vor der Bundestagswahl einen entsprechenden Bericht über Art und Umfang der Speicherung vorzulegen. Nach fast zwei Legislaturperioden lustloser und am Ende durchweg mißlungener Homosexuellenpolitik sollte Rot-Grün wenigstens ein einziges Mal unter Beweis stellen, daß der Regierung der Schutz der Bürgerrechte von Homosexuellen ein wirkliches und ernsthaftes Anliegen ist. Sämtliche nicht legal erhobenen Daten müssen unter Aufsicht der zuständigen Datenschutzbeauftragten umgehend gelöscht werden. Die Betroffenen sind über die Löschung der Daten schriftlich zu informieren.
Rückfragen: 0180/4444945