whk1905/16.05.2005
"Heute schon für morgen speichern"?
whk: Erneute Ausweitung der DNA-Analyse kriminalisiert gebärunwillige Frauen und sexuelle Minderheiten
Zu dem vor Pfingsten von Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) vorgestellten Gesetzentwurf zur erneuten Ausweitung der DNA-Anlayse erklärt das wissenschaftlich-humanitäre komitee (whk):
Aus sexualpolitischer Sicht ist die von der rot-grünen Bundesregierung geplante und von willigen Oppositionsparteien unterstützte Ausweitung der DNA-Analyse als ein wahrer Horrorkatalog zu bewerten. Die Äußerung von SPD-Bundesjustizministerin Zypries bei der Vorstellung des Koalitionsentwurfs "Wir speichern heute Genmaterial von Leuten, von denen wir annehmen, daß sie zukünftig Straftaten begehen werden", läßt erahnen, wohin die Reise geht: Wer morgens aus dem Bett steigt oder nicht allein in einem verschwindet, hat sich schon verdächtig gemacht.
Nach dem Willen der Bundesregierung soll künftig nicht nur bei schweren, sondern bei sämtlichen Vergehen mit "sexuellem Bezug" eine DNA-Probe möglich sein und überdies die Schwelle der Datenspreicherung insgesamt gesenkt werden. Da der im Koalitionsentwurf an keiner Stelle definierte "sexuelle Bezug" von den Behörden je nach Ort und Tatzeit ohne weiteres konstruiert werden kann, werden sich die Polizeidateien in den nächsten Jahren massenhaft mit vermeintlichen "Sextätern" oder sexuell verdächtigen Personen füllen, die gar keine sexuelle Straftat im eigentlichen Sinne begangen haben.
Ferner sollen fürderhin DNA-Proben von Verdächtigen archiviert werden können, selbst wenn diese im jeweiligen Verfahren freigesprochen (!) wurden. Demzufolge schützt nach Ansicht des whk in Zukunft selbst eine gerichtlich erwiesene Unschuld nicht mehr davor, dauerhaft in Polizeidateien als potentieller Sextäter geführt zu werden. Dies beträfe nicht nur zu Unrecht einer sexuellen Straftat beschuldigte pädophile oder schwule Männer, sondern beispielsweise auch in Ehescheidung befindliche Väter und Mütter, denen die Gegenseite Kindesmißbrauch unterstellt, um dem beschuldigten Partner auf diese Weise das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder vorenthalten zu können.
Da zudem der "sexuelle Bezug" eines tatsächlichen oder vermeintlichen Vergehens immer auch über sexuelle Orientierungen oder Vorlieben der Betreffenden Auskunft gibt, dürften die Polizeidatein recht zügig flächendeckend an zuverlässige Informationen darüber erhalten, ob jemand beispielsweise hetero- oder homosexuell veranlagt ist. Das whk hat angesichts von DNA-Massentests in der Schwulenszene mehrfach auf die erneute Gefahr sogenannter "Rosa Listen" aufmerksam gemacht, in denen die Polizei traditionell Angaben zu mutmaßlich homosexuellen Personenen speichert. Ohne derartige unter demokratischen Verhältnissen in der Weimarer Republik angelegten Dateien wäre die Schwulenverfolgung im Nationalsozialismus unmöglich gewesen. Angesichts dessen ist es mehr als beunruhigend, daß Massentests mit dem Koalitionsentwurf nun auch noch auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und damit erleichtert werden sollen.
Kaum öffentlich thematisiert wurde bislang die durch DNA-Massentests forcierte Kriminalisierung von gebärunwilligen Frauen und Müttern. So berichteten bundesweite Medien in den letzten Tagen im Zusammenhang mit einer vermuteten Kindstötung von einem Massentest in der Umgebung des Leichenfundorts. Nach Angaben der Nachrichtenagentur dpa vom 2. Mai haben unlängst Ermittler im niederrheinischen Moers "auf der Suche nach der Mutter des Säuglings ... rund 2200 Frauen aus der Umgebung des Fundortes aufgefordert, eine Speichelprobe abzugeben." Dabei sei auch "eine 21 Jahre alte Frau aus Bocholt in Verdacht geraten, die zugegeben hatte, ein Kind entbunden und in einem Park in Berlin abgelegt zu haben ... Zudem hatte sich eine Frau gegen die richterliche Anordnung hartnäckig widersetzt und Beschwerde gegen den DNA-Test eingelegt", so dpa. Auch im nordrhein-westfälischen Mönchengladbach und im nur wenige Kilometer entfernten Krefeld hatte es in den letzten Tagen Berichte über direkt nach der Geburt getötete oder verstorbene Babys gegeben. Geht man von etwa zwanzig solcher Fälle pro Jahr in Deutschland aus, werden die Behörden wohl bald eine Extra-Datei für "verdächtige Frauen" anlegen müssen.Es scheint kein Zufall zu sein, daß der explizit gegen Armutsdelikte (wie etwa wiederholt begangenen Ladendiebstahl) gerichtete Gesetzentwurf verstärkt Frauen in Bedrängnis bringt, die aus Gründen sozialer Not darüber nachdenken, ein von ihnen ausgetragenes Kind nicht zu behalten. Anstatt Abtreibungen zu erleichtern und Babyklappen zu fördern, werden Frauen in Zeiten wirtschaftlicher Krise durch Massen-Gentests samt und sonders zu potentiellen "Rabenmüttern" gestempelt.
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