whk1602/2.12.2002
Großes Bundesverdienstkreuz: "Ratten-Dörners" anti-homosexuelle Versuche nun mit Johannes Raus Gütesiegel
Der Berliner Endokrinologe Prof. Günter Dörner wurde am 4. Oktober fern der Öffentlichkeit ausdrücklich für seine medizinischen Versuche geehrt, Homosexualität zu verhindern
Erst im November wurde einer größeren Öffentlichkeit bekannt, daß Bundespräsident Johannes Rau am 4. Oktober dem umstrittenen Endokrinologen Günter Dörner das Große Bundesverdienstkreuz verliehen hat. In der Laudatio hieß es, dieser habe mit seinen Experimenten zur "funktionellen Teratologie" dem von ihm zwischen 1962 und 1997 geleiteten Institut für Experimentelle Endokrinologie der Charité schon zu DDR-Zeiten nationales und internationales Profil verliehen. Hierzu erklärt die AG Schwulenpolitik des whk:
Die Ehrung für den seit über zwanzig Jahren von namhaften Sexualwissenschaftlern wegen dubioser Experimente abgelehnten Berliner Hormonforscher Günter Dörner ist eine offene Kampfansage an alle sexuellen Emanzipationsbestrebungen. Daß der sich selbst als homosexuell bezeichnende Volker Beck (MdB) bei der selben Zeremonie lediglich ein Verdienstkreuz für sein berufliches Engagement bekam, der in der Schwulenszene "Ratten-Dörner" Genannte jedoch gleich zwei Kategorien höher bewertet wurde, dürfte selbst konservativen Bürgerrechtlern wie Beck ihren Status in Rot-Grün-Deutschland klarmachen: Das war kein politischer Betriebsunfall. Frei und selbstbewußt gelebte Homosexualität soll verhindert werden, ob mittels "Homo-Ehe" oder der Lösung der Homosexuellenfrage im Mutterleib.
"Großes Bundesverdienstkreuz" das ist spätestens seit Bernt Engelmanns gleichnamigem Tatsachenroman Synonym für die Reinwaschung hoher NS-Funktionäre und -Profiteure. Mit dieser Ordensverleihung hat der Bundespräsident nicht nur einen Ost-Berliner Wissenschaftler, sondern eine ganze Riege furchtbarer Mediziner heim ins Reich geholt, denen Dörner schon in den 60er und 70er Jahren die "wissenschaftliche" Begründung für die Fortsetzung der schon an KZ-Häftlingen durchgeführten Experimente lieferte. So empfahl der bereits in Nazi-Deutschland tätige Kasseler Kriminologe Gustav Nass in den 70er Jahren Dörners Ideen als probates Mittel zur pränatalen Verhinderung "abnormen Sexualverhaltens verschiedener Art". Der Anhänger eines rassetheoretischen Determinismus' sah schon vor der Liberalisierung in den 60er Jahren eine Verschärfung des Sexualstrafrechts als zwingend notwendig an, womit nur die Rückkehr zur NS-Praxis in diesem Bereich gemeint sein konnte.
Auch Nass' Göttinger Kollege Fritz Roeder berief sich noch Mitte der 70er in einer vom hessischen Justizministerium mitherausgegebenen Schrift explizit auf Dörners Rattenexperimente bei der "Behandlung" homosexueller Straftäter durch hirnverstümmelnde Eingriffe: "Diese für uns entscheidenden tierexperimentellen Hinweise" stellten nach Roeders Ansicht "eine feste Grundlage für die Berechtigung" stereotaktischer Opera-tionen dar, weil sie es vermögen "pädophile sowie exhibitionistische Verhaltensweisen zu dämpfen oder sogar zu beheben". Es gibt Belege, daß "Patienten" der Operation nur zustimmten, um einer Zwangskastration zu entgehen.
Besonders deutlich läßt sich Dörners Einfluß im seinerzeit von Schulte-Tölle neu edierten Lehrbuch "Psychiatrie" nachweisen, in dem nicht mehr von der bloßen Anwendung bei Straftätern, sondern ganz allgemein von der Korrektur von "Fehlhaltungen" die Rede ist: "Angeregt durch tierexperimentelle Verhaltensforschung wurde die stereotaktische Ausschaltung des Sex-Behavior-Center bei pädophilen und homosexuellen Männern vorgenommen mit dem Erfolg, daß die Fehlhaltung korrigiert wurde. Möglicherweise ist von dieser Seite her auch Aufschluß über die Entscheidungsbedingungen der Homosexualität zu erwarten."
Anhaltende Kritik aus Sexualwissenschaft und Schwulenbewegung zwang Dörner immer wieder zu taktischen Manövern. So reklamierte er vor der Wende im Fernsehen der DDR allen Ernstes die dortige Liberalisierung als sein Verdienst und hatte damit manchmal sogar in der Szene Erfolg: "Es wäre dumm und kürzschlüssig, in Günter Dörner einen Schwulenhasser zu sehen, der uns wegspritzten (lassen) will. So etwas hat er früher einmal laut überlegt", verteidigte ihn 1991 Ralf Dose von der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft im Schwulenmagazin "Magnus". Damit distanzierte sich Dose klar von der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung, die Dörner zehn Jahre zuvor nachgewiesen hatte, sein Ziel sei "das Ausmerzen der Homosexualität mittels radikaler endokriner Eingriffe".
Das whk ruft sexualpolitisch aktive Gruppen auf, gegen die Auszeichnung Dörners beim Bundespräsidenten sowie dem ebenfalls zuständigen Berliner Bürgermeister Wowereit zu protestieren. Die sexualpolitische whk-Zeitschrift "Gigi" wird sich in ihrer Januar-Ausgabe schwerpunktmäßig mit Dörners Forschungen und ihren politischen Implikationen befassen.