whk1105/11.03.2005
Amtsgericht: 260 Euro Bußgeld für nicht stattgefundenen Toilettensex viel zu hoch
Düsseldorfer Gericht reduzierte Klappenknöllchen für angeblich "grob ungehörige Handlungen" um satte 160 Euro / Toilettenbesucher sah sich zu Unrecht beschuldigt
Das Amtsgericht Düsseldorf hat einen Bußgeldbescheid von 260 Euro gegen einen mutmaßlich schwulen Klappenbesucher um mehr als die Hälfte reduziert. Hierzu erklärt das wissenschaftlich-humanitäre komitee (whk):
Peinliche Schlappe für Bürgermeister Erwins städtische Schwulenjäger: Die saftigen 260-Euro-Bußgeldbescheide, die das Düsseldorfer Ordnungsamt seit Jahren an mutmaßlich schwule Besucher öffentlicher Toiletten verteilt, sind viel zu hoch. Dies geht aus einem Urteil hervor, das die Bußgeldstelle des Düsseldorfer Amtsgerichts unlängst fällte und das dem whk schriftlich vorliegt.Ohne nähere Angaben von Gründen reduzierte das Amtsgericht darin ein Bußgeld, daß das Ordnungsamt vor zwei Jahren gegen einen Toilettenbesucher wegen angeblicher "Onanie" verhängt hatte, von knapp 260 auf 100 Euro. Von einer "Belästigung der Allgemeinheit" wollte das Gericht in seiner Entscheidung allerdings nicht absehen, obwohl im vorliegenden Fall nachweislich keinerlei Form von Sex stattgefunden hatte.
Die nunmehr reduzierte Geldbuße nach § 118 des Ordnungswidrigkeitengesetzes ("grob ungehörige Handlungen") ist laut Urteil "zahlbar in vier Monatsraten zu je 25 Euro". Die Reduzierung begründete das Gericht damit, daß der Betroffene seit Jahren arbeitslos sei und von ALG II lebe. Der Man muß allerdings zusätzlich die Kosten des Verfahrens tragen. Das Urteil ist bereits seit dem 6. Januar 2005 rechtkräftig. (Gesch.-Nr. 301 Owi 30 Js 5449/03)
Mit seinem Urteil erklärte das Amtsgericht die Bußgeldbescheide des Düsseldorfer Ordnungsamtes nach Ansicht des whk zwar nicht per se für unrechtmäßig, beurteilte deren bundesweit beispiellose Höhe aber zumindest als überaus fragwürdig. Die Entscheidung hat allerdings keine grundsätzliche Wirkung, da das Gericht nur den vorliegenden Fall zu klären hatte.
Dieser kam zustande, weil ein Mann aus Essen Widerspruch gegen das Bußgeld eingelegt und die Zahlung der Strafe kategorisch verweigert hatte. Die gerichtliche Klärung des Falls war nur durch eine großzügige Prozeßkostenhilfe der "Homosexuellen Selbsthilfe" (HS e.V.) möglich geworden.
In der mündlichen Verhandlung des Amtsgerichts am 8. Dezember 2004, an der das whk als Prozeßbeobachter teilnahm, argumentierte der betroffene Mann, er fühle sich zu Unrecht beschuldigt. Er habe sich auf der öffentlichen Toilette weitegehend allein aufgehalten, weshalb eine Erregung öffentlichen Ärgernisses schwerlich vorliegen könne. Außerdem hätten die schließlich zu Kontrollzwecken auftauchenden Beamten des städtischen Ordnungs- und Sicherheitsdienstes (OSD) Zivilkleidung getragen und sich offenbar bewußt jener unauffälligen Gesten und Verhaltensweisen bedient, mit denen schwuler Männer in der Regel sexuelles Interesse untereinander signalisieren.
Der vom Amtsrichter Henning als Zeuge befragte OSD-Beamte Mark Fittkau verneinte indes die Frage, ob er sich im Dienst als Agent Provocateur betätigt habe. Vielmehr sei das Ordnungsamt "massiven Beschwerden aus der Bevölkerung" unter anderem wegen der "Ausbreitung der homosexuellen Szene" nachgegangen. Im Falle des Essener Mannes hätten sein Kollege und er sich in der Toilette "völlig normal" verhalten. Die Beamten hätten "die Jacken geschlossen" gehabt und auch keinerlei "aufreizende" Bewegungen gemacht.
Auf die Richterfrage, warum die OSD-Mitarbeiter die Kontrollen denn in Zivilkleidung durchführten, erklärte Fittkau: "Wenn wir da in Uniform runtergehen, dann hat das wenig Sinn, weil dann hat man keine Feststellung (von Ordnungswidrigkeiten whk)". Der Rechtsanwalt des beschuldigten Mannes schloß daraus, daß sich die Ordnungsbeamten demnach doch als Agents Provocateurs betätigt hätten. Das "Locken" stelle sich nämlich "so dar, daß man sich hinstellt und nichts tut". Gerade diese für die Geschichte der Düsseldorfer Schwulenverfolgung so heikle Frage wollte Richter Henning indes nicht weiter untersuchen. Die Verhandlung endete nach nur 30 Minuten.
Nachdem das whk seit Ende Juni 2003 in mehreren unter www.whk.de dokumentierten Presseerklärungen auf die "Schwulenjagd" in Düsseldorf aufmerksam gemacht und auf mehr als 80 einschlägige Bußgeldbescheide wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses hingewiesen hatte, traute sich die Lokalpresse indes erst nach dem Urteil des Düsseldorfer Amtsgerichts an das Thema heran.
So erschien der Düsseldorfer Express am 9. Dezember 2004 mit der Titelseite "Düsseldorf: Aktion gegen Schwulentreffs. Stadt-Sheriffs als Sex-Köder". Einen Tag später schlagzeilte das Boulevardblatt: "Empörung über Sex-Sheriffs. Politiker wollen Aktionen des Ordnungsamtes gegen Schwule stoppen." Unter anderem zitierte der Express die Düsseldorfer SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Anette Stelle, die dem "verordneten Einsatz der Sheiffs als Under-Cover-Sexköder" eine "durchweg schwulenfeindliche Haltung" attestiert. Auch Ratspolitiker von FDP und Grünen empörten sich über "Schwulenbekämpfung" und "Intimschnüffelei auf Klos" durch die "Moral-Polizei" des nicht zuletzt wegen homophober Äußerungen umstrittenen CDU-Oberbürgermeisters Joachim Erwin.
Bedenklich erscheint dem whk, daß die Stadtverwaltung sogenannte blaue Briefe an die "Sex-Sünder" gegenüber der Zeitung als notwendige Abschreckungsmaßnahme rechtfertigte. Nach Angaben des Express würden in den Briefen "detailgetreu" die "angeblichen Vergehen" der betroffenen Männer geschildert. Ein Sprecher der Stadtverwaltung erklärte dazu, dies geschehe, "damit die Familien wissen, was mit dem Mann los ist". Demgegenüber hatte der Leiter des Düsseldorfer Presseamtes, Gregor Andreas Geiger, noch im Juni 2003 dem whk schriftlich mitgeteilt, Geschlecht und sexuelle Orientierung der Betroffenen spielten bei den Bußgeldaktionen "keine Rolle". Offenbar hat es sich die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt inzwischen anders überlegt.
Nach dem nunmehr ergangenen Urteil des Amtsgerichts fordert das whk alle Betroffenen auf, sich die homophoben Aktionen der Düsseldorfer Stadtverwaltung nicht länger gefallen lassen. Betroffenen, die gegen die Bußgeldbescheide angehen wollen, kann das whk auf Wunsch versierte Fachanwälte vermitteln.
Rückfragen: 0162/66 73 642 (Dirk Ruder)