whk1005/07.03.2005
Von "Gesinnungsprüfung" bis "bedenkliche Kommerzialisierung"
Antidiskriminierungsgesetz-Entwurf: Bundestagsanhörung belegt handwerklichen Pfusch und politische Fehlkonstruktion. whk: Rechtsunsicherheit durch Vielzahl undefinierter Begriffe
Zur heutigen Öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend über den Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes (ADG) erklärt das wissenschaftlich-humanitäre komitee (whk):
Der ADG-Entwurf der Koalition stieß bei der heutigen Öffentlichen Anhörung durch 21 Sachverständige, zum Großteil hochrangige Juristinnen und Juristen, sowie Vertreterinnen und Vertretern von 40 Verbänden sowohl auf Zustimmung als auch heftige Kritik, die das whk in seinen grundsätzlichen Vorbehalten gegen seine Notwendigkeit vor allem im Hinblick auf die sogenannte "sexuelle Identität" bestärkt.
Die meisten Betroffenenvertretungen begrüßten das Vorhaben im Grundsatz, während fast alle juristischen ExpertInnen gravierende rechtspolitische Einwände erhoben und auf erhebliche handwerkliche Mängel hinwiesen, und zwar sowohl im geplanten arbeits- also auch zivilrechtlichen Bereich. Demnach kollidieren Regelungen des Entwurfs mit zahlreichen anderen Gesetzen, etwa dem Bürgerlichen und dem Arbeitsgesetzbuch wie auch einzelnen Verfassungsartikeln.
Ein Hauptpunkt der Rügen war erwartungsgemäß die vorgesehene Beweislastumkehr, in der einige Verbände und Sachverständige lediglich eine "Beweiserleichterung" erkennen wollten. Der oder die Diskriminierte habe, bevor jemand seine Unschuld beweisen müsse, zunächst tatsächliche Benachteiligung glaubhaft zu machen. Das whk sieht darin einen Euphemismus; etwas "glaubhaft zu machen" bedeutet noch längst nicht den Nachweis einer justiziablen Tatsache, für die sich die beklagte Seite dann zu rechtfertigen hat.
Extrem fragwürdig für viele Angehörte ist die vorgesehene Einschränkung der Vertragsfreiheit. Der Vertrag, so Prof. Thomas Pfeiffer (Heidelberg), sei "die engste Bindung, die Menschen außerhalb des Familienrechts eingehen können". Bestimme der Staat, welche Verträge zustande kommen, sei des das Gegenteil der Privatautonomie. Dem hielt Prof. Heide Pfarr von der Hans-Böckler-Stiftung entgegen, das ADG werde Vertragsfreiheit erst herstellen, weil es vielen Diskriminierten überhaupt erst den Abschluß von Verträgen ermögliche, die ihnen sonst verweigert würden. Für das whk ist das rein hypothetisch; die stärkere Seite, so deuteten verschiedene Experten in der Anhörung bereits an, werde stets andere Begründungen finden, um einen Abschluß zu umgehen.
Laut Rechtsanwältin Dr. Andrea Nicolai sei der Entwurf "sehr mißbrauchsanfällig" durch die eröffnete Abtretung von Klagemöglichkeiten und daraus erwachsenden Ansprüchen an Verbände, was zur Gründung von Abmahnvereinen führen werde. Sie kritisierte wie viele ihrer KollegInnen eine Unmenge an "unbestimmten Rechtsbegriffe". In der Anhörung schien zum Beispiel völlig unklar, was im Hinblick auf die Ausschlußklauseln als "Massengeschäft" einzustufen sei. Prof. Volker Rieble (München) bewertete das ADG als "zu intransparent". Die vorgesehene Diskriminierungskontrolle sei keine Verhaltens-, sondern eine "Motivkontrolle". Prof. Pfeiffer sprach gar von "Gesinnungsprüfung".
Als weiterer Schwachpunkt wurde die mittelbare Haftung für Handlungen Dritter kritisiert, etwa die Arbeitgeberhaftung bei der Belästigung von Angestellten durch Kunden. Im Hinblick auf die vorgesehene Antidiskriminierungsstelle beim Bund bezweifelte Prof. Franz Jürgen Säcker (Berlin) deren Unabhängigkeit; es sei ihm "schlichtweg unverständlich", nach welchen Kriterien sie weltanschauliche Bewertungen vornehmen wolle. Prof. Sybille Raasch (Hamburg) plädierte für ein eigenes Verbandsklagerecht im Gegensatz zur jetzigen Abtretungsregelung. Dies würde viele Einzelverfahren vermeiden und strukturelle Diskriminierungen abbauen. Der Deutsche Anwaltverein monierte die mangelnde juristische Kompetenz und Qualitätskontrolle der im Entwurf definierten "Antidiskriminierungs-Verbände", die zulasten der Diskriminierten gehe, und lehnte das Konstrukt als eine "bedenkliche Kommerzialisierung" ab. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag mahnte im selben Kontext an, der Klage zumindest ein Schlichtungsverfahren vorzuschalten. Das whk weist darauf hin, daß diese schon in der DDR bewährte und kostensparende Form der Konfliktbewältigung derzeit in einem Großversuch zur beachtlichen Entlastung der nordrhein-westfälischen Justiz führt.
Abgesehen von den juristischen Expertisen, die der Koalition durchweg handwerklichen Pfusch attestierten, waren für das whk jedoch noch andere Erwägungen bemerkenswert. So forderte Prof. Heiner Bielefeldt vom Deutschen Institut für Menschenrechte wie zuvor das whk die Streichung des Merkmals "Rasse" aus dem Katalog der Diskriminierungsgründe, während der CDU-Abgeordnete und Berichterstatter des Ausschusses Markus Grübel mit der rhetorischen Frage, ob Pädophile zu den geschützten Gruppen zählten, indirekt deren prinzipielle Benachteiligung aufgrund "sexueller Identität" billigte. Ferner registrierte das whk, daß auch der Deutsche Familienverband auf das Fehlen der familiären Konstellation als Diskriminierungsgrund rekurrierte. Das whk sieht das Problem allerdings auch am anderen Ende des Spektrums, nämlich nicht nur im Kriterium des Vorhandenseins von Kindern, sondern auch in der zunehmenden Diskriminierung nach Millionen zählender Kinderloser oder solcher Menschen, die sich dem klassischen Familienbild verweigern.
Ausdrücklich schließt sich das whk der Kritik des Verbandes binationaler Familien und Partnerschaften (iaf) an, daß institutionelle Diskriminierungen durch Behörden und Einrichtungen des öffentlichen Rechts von dem ADG-Entwurf ausgenommen wurden. Die Vertreterin des iaf erinnerte daran, daß es gerade der Staat sei, der durch das restriktive Zuwanderungsrecht einen "Zwang zur Heirat" geschaffen habe. Da Heirat für MigrantInnen oft der einzige Weg sei, ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu erlangen und eine Partnerschaft in Deutschland zu leben, fühlten sich solche Lebensgemeinschaften in ihrem Recht auf freie Wahl der Partnerschaft diskriminiert. Das whk weist darauf hin, daß dies in verschärftem Maße für tri- und multinationale Beziehungen von mehr als zwei Personen gilt, die real zwar gelebt werden, aber juristisch weder existent noch politisch von den Parteien gewollt sind.
Als eine im lesbisch-schwulen Spektrum entstandene Assoziation sieht es das whk indes als politisch verheerend an, daß ausgerechnet der Vertreter des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland (LSVD), Manfred Bruns, während der Anhörung äußerte, man habe "nichts dagegen", wenn Versicherungsunternehmen vor dem Abschluß einer Lebensversicherung mit schwulen Männern "nach einem HIV-Test fragen" oder "Sind Sie AIDS-krank?" und dies damit als Grund zur Verweigerung der Absicherung allgemeiner Lebensrisiken legitimierte. Indem er auch noch zur Vertragsverweigerung bei "Homo-Ehen" meint, nicht die Lebenspartnerschaft, sondern das Sexualleben sei bei Schwulen das versicherungsrelevante Risiko, was "bei Sextouristen dasselbe" sei, erhebt Bruns nicht nur Heterosexualität zum Maßstab bürgerlicher Wohlanständigkeit und diskriminiert Homosexuelle ganz ungeniert. Zudem impliziert er, heterosexueller Sex berge ein Infektionsrisiko nur bei Prostitutionsverhältnissen. Das whk fordert den LSVD auf, seinen Rechtsexperten endlich in einen Grundkurs der lokalen AIDS-Beratung zu schicken.
Für das whk bestätigt sich anhand der heutigen Anhörung und der dadurch nochmals deutlich gewordenen Ambivalenz des Projekts der grundsätzliche Denkfehler solcherart verordneter Antidiskriminierung: Sie beseitigt nicht die Ursachen von Diskriminierung, sondern kann bestenfalls ihre Folgen mildern, jedoch nur zum Preis der Einschränkung bürgerlicher Freiheitsrechte und der akuten Gefahr des Mißbrauchs zur individuellen oder kollektiven Bereicherung. Statt auf Bildung und Wissen setzt sie auf Strafe und deren Androhung sowie ein undurchschaubares System von sozialer Kontrolle und politischer Disziplinierung.