whk1001/ 30.11.01
Jagdszenen im Ländle: Polizei und Medien gegen "zügellose Schwule"
Sittenwächter nehmen 4.000 Schwule am Autobahnparkplatz ins Visier / whk warnt vor Massenaktion gegen Schwulentreffpunkte
Anläßlich der sogenannten Spanner-Prozesse in Stuttgart und Heidelberg, wo das Landgericht am heutigen Freitag gegen den Sexualmörder Peter Toni K. urteilt, warnt das wissenschaftlich-humanitäre komitee die Behörden Baden-Württembergs vor einer "hysterischen Sex-Jagd auf alles, was sich bewegt". Immer mehr Männer, die einvernehmlichen Sex an als Schwulentreffpunkten bekannten Autobahnparkplätzen suchten, gerieten als potentielle Sexverbrecher ins Visier der Fahnder. Dazu erklärt die AG Schwulenpolitik des whk:
Angesichts der Vielzahl von in den letzten Monaten beobachteten Maßnahmen geht die AG Schwulenpolitik des whk nunmehr von einem koordinierten und längerfristig angelegten Vorgehen der Polizeibehörden gegen schwule Sextreffpunkte im gesamten Rhein-Neckar-Gebiet aus. Erst am 24. November berichtete die Südwest-Presse, am Autobahnkreuz Walldorf sei die Anbringung eines drei Meter hohen, massiven Zauns geplant, um auf dem dortigen Parkplatz Männer am Sex im Gebüsch zu hindern. Die publizistische Begleitmusik dazu lieferte das Blatt unter dem Titel "Ärger mit Schwulentreffs" gleich mit: Vom "hemmungslosen Treiben" der "zügellosen Schwulen" in "Séparées zwischen Roteichen und Kiefern" ist dort die Rede. Beamte wollen "am hellichten Tag fast 30 Männer in eindeutiger sexueller Aktion" auf dem Areal südlich von Heidelberg gesehen haben.
Wer schwulen Sex nicht sehen will, sollte sich von solchen (behördlich bekannten) Treffpunkten fernhalten. Schwuler Sex auch verdeckt im Freien ist strafrechtlich nicht relevant. Schwule Männer sind weder Spanner und Exhibitionisten, noch sind sie potentielle Sexverbrecher. Daran muß man die Behörden Baden-Württembergs sieben Jahre nach Abschaffung des Schwulenparagraphen 175 offenbar schon wieder erinnern. Erst im Juli hatte der Leiter der Kriminalinspektion Heidelberg, Heinz Gräter, verdeckte Observation, Personenkontrollen und den flächendeckenden Einsatz von "Spanner-Streifen" angekündigt. Die Behörden spekulieren möglicherweise darauf, daß Männer, die anonymen Sex an solchen Orten suchen, in der Regel versteckt lebende Schwule sind, die sich gegen Schikanen aus Scham oder Angst vor Entdekkung nicht wehren.
Um die von Innenminister Schäuble (CDU) erlassene Polizeiverordnung zur Eindämmung des "Spannerunwesens" zu rechtfertigen, wollen die Verantwortlichen derzeit möglichst viele Verdächtige präsentieren. Waren es in Heidelberg vor vier Monaten nach Angaben der Polizei noch "60 bis 80 Täter", geht es jetzt um 4.000 homosexuelle Männer, die regelmäßig das Walldorfer Kreuz anfahren. Indizien lassen darauf schließen, daß diese hohe Zahl dazu dient, ein "Spanner-Netzwerk" zu konstruieren, gegen das mit einem Paukenschlag vorgegangen werden kann. Das whk warnt daher eindringlich vor einer Massenaktion gegen schwule Männer.
Der Arbeitskreis Homosexualität in der baden-württembergischen Polizei ist angehalten, zu den skandalösen Vorgängen umgehend Stellung zu beziehen. Weiterhin ruft das whk den Bundesverband lesbischer und schwuler JournalistInnen (BLSJ) auf, beim Presserat wegen der diffamierenden Berichterstattung über Schwule zu intervenieren.