whk0607/29.06.2007
2. Juli 2007: "Corso-Gespräch" des Deutschlandfunks
zur 50. Gigi-Ausgabe (mp3-File)
Start
Zurück

 

Dreckige Karriere

Jede Menge Ärger: Einzige sexualpolitische Zeitschrift Deutschlands feiert 50. Ausgabe

Am heutigen Freitag wurde in Berlin die 50. Ausgabe von "Gigi", der einzigen sexualpolitischen Zeitschrft in Deutschland, der überregionalen Presse vorgestellt. Dazu erklärt das herausgebende wissenschaftlich-humanitäre komitee (whk):

Auf einer Pressekonferenz im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte, zu der nationale wie internationale Medien geladen waren, präsentierten Herausgeber und Redaktion am heutigen Freitag die 50. Ausgabe der sexualpolitischen Zeitschrift Gigi. Hierbei wurde erneut deutlich, wie brisant es nach wie vor ist, Sexualität explizit in einen politischen Kontext zu stellen. "Es gibt wohl keinen Lebensbereich, der stärker und umfassender reglementiert ist, als die Sexualität", so Redakteur Dirk Ruder. "Aber es gibt auch, angefangen bei der bürgerlichen Ehe, keinen Lebensbereich, wo die Reglementierung so wenig ins allgemeine Bewußtsein dringt und derart billigend in Kauf genommen wird." Gigi sei derzeit die einzige Qualitätszeitschrift, welche dies in allen erdenklichen Details dokumentiert und skandalisiert: juristisch, sexualwissenschaftlich, kulturell und historisch.

Als im März 1999 das wissenschaftlich-humanitäre komitee (whk) in Reaktion auf den Niedergang der lesbisch-schwulen Politikmedien ein eigenes Magazin ankündigte, hätte wohl niemand erwartet, daß es überleben und bald weit über die Szene hinaus Bedeutung erlangen würde. Am wenigsten Herausgeber und Redaktion selbst. Ehrenamtlich, ohne finanzkräftigen Verlag im Hintergrund, wurde Gigi von Skeptikern oft totgesagt. Um so erstaunlicher ist es, daß selbst Kritiker sie heute als streitbare, aber verläßliche und vor allem unabhängige Quelle anerkennen.

"Welches subversive, aber auch Angstpotential dem Thema Sexualität bis heute innewohnt, zeigt sich nicht zuletzt daran, daß ein so kleines Medium wie Gigi millionenschweren Zeitungsverlagen vorführen muß, was Mut zur sexualpolitischen Publizistik jenseits von Dogmen und Ideologien ist." An Angriffen gegen das Projekt habe es weder von links noch rechts gefehlt. Indes, so Chefredakteur und Gigi-Mitgründer Eike Stedefeldt beim Pressegespräch, "darf sich kein sexualpolitisches Journal Tabus, Denk- und Kritikverboten beugen, will es sich nicht ad absurdum führen. Aber gehen Sie mal öffentlich der These nach, jeder geschlechtliche Akt sei eine Grenzverletzung und insofern Sex von Gewalt nicht zu trennen, sehen Sie mal die Ehe als Prostitutionsverhältnis mit dem Staat als Zuhälter oder die 'Kinderschänder'-Hysterie als Motor der Strafrechtspolitik und Mittel des Grundrechtsabbaus: Sie werden alsbald jede Menge Ärger bekommen." Bereits vor der ersten Ausgabe sei die Redaktion mit Rufmord konfrontiert gewesen, es folgte eine lange Reihe kafkaesker staatlicher Indizierungsversuche, Strafanzeigen, Klagen und – letztlich durchweg gewonnener – Verfahren.

Doch Gigi hat auch das andere Extrem kennengelernt. Sie ist die einzige Zeitschrift in über 130 Jahren homosexueller Publizistik in Deutschland, die ausdrücklich für ihre journalistische Arbeit geehrt wurde: Mit dem Sonderpreis des Felix-Rexhausen-JournalistInnen-Preises für die zehnte Gigi-Ausgabe "Der Minister des Rückwärtigen" über den schwulen Politiker Volker Beck verlieh im September 2001 die Fachjury ihrem Erstaunen darüber Ausdruck, "ein so unabhängiges Magazin zu finden" und lobte die Redaktion "für ihren Mut, unbequem zu sein und unbequem zu bleiben". Gigi greife "Themen auf, über die bereits ein vermeintlicher Konsens in der Gesellschaft besteht" und zeige "hervorragend recherchiert kritische Perspektiven auf. Gigi ist aber auch eine Zeitschrift, die sich neuen Themen zuwendet und Diskussion und Erkenntnis darüber vorantreibt."

Ganz in diesem Sinne präsentiert sich im neunten Jahrgang das 50. Heft mit höherer Seitenzahl und besonderem Titelthema: "Fromme Tänze: Wie wird der Sex in 30 Jahren?" Unter den renommierten Autoren sind mit Prof. Dr. Volkmar Sigusch (Frankfurt) und Prof. Dr. Rüdiger Lautmann (Hamburg) zwei der bedeutendsten Sexualwissenschaftler Deutschlands. "Gewiß, der Blick in die Zukunft ist stets Spekulation, gleichwohl ist er notwendig. Niemand soll später einmal sagen können, es habe keine Warnungen im Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und eben Zukunft gegeben", erläuterte der Münchner Medizinhistoriker und Privatdozent Dr. Florian Mildenberger für das herausgebende whk. "Daher gilt es, die sich abzeichnenden Trends zur Rekriminalisierung und erneuten Pathologisierung von Sexualitäten ebenso zu untersuchen wie das Verhalten der Betroffenen und ihrer selbsternannten Sachwalter. Dies war ein Grundgedanke zur Schwerpunktsetzung der nun vorliegenden Gigi-Jubiläumsausgabe."

 

Bei all dem hat sich die Redaktion eine große Heiterkeit bewahrt; scharfe Polemik, Ironie und Sarkasmus seien von der Redaktion gern genutzte Mittel in der politischen Auseinandersetzung. Dies mache ernste Themen fürs Publikum erträglicher, so die Redakteurin und langjährige Lesbenaktivistin Lizzie Pricken, die auf die Frage, was Gigi von gewöhnlichen Szenemagazinen unterscheide, lakonisch angibt: "Gigi ist keine Zeitschrift für eine Nacht."

ZUR GIGI-WEBSITE

PRESSEFOTO
Bildunterschrift: Redaktion und Herausgeber der sexualpolitischen Zeitschrift Gigi bei der Präsentation ihrer 50. Ausgabe am 29. 6. 2007 in Berlin (v.l.n.r.): Gigi-Mitgründer Eike Stedefeldt sowie Redakteur Dirk Ruder, Priv.-Doz. Dr. Florian Mildenberger als Herausgeber und Redakteurin Lizzie Pricken (Foto: Gigi/Gabriele Senft)

HINWEIS
Am Montag, dem 2. Juli 2007, widmet sich der Deutschlandfunk in der Sendung "Corso – Kultur nach 3" ab 15.05 Uhr dem Gigi-Jubiläum.


Rückfragen, Interviewwünsche, Probehefte, Pressemappen: 030-6515213 oder per Email