whk0605/19.02.2005
Antidiskriminierungsgesetz im Bundesrat durchgefallen
Kritik am ADG-Entwurf der rot-grünen Koalition wächst auch in der Homo-Szene / whk: Lesben- und Schwulenverband LSVD soll endlich aufhören, die Szene zu belügen
Am gestrigen Freitag scheiterte im Bundesrat der Koalitionsentwurf zum Antidiskriminierungsgesetz am Widerstand unionsgeführter Länder. Hierzu erklärt das wissenschaftlich-humanitäre komitee (whk):
Nach dem von allen Seiten erwarteten Scheitern des rot-grünen Koalitionsentwurfs für ein Antidiskriminierungsgesetz (ADG) durch die Unionsmehrheit im Bundesrat am gestrigen Freitag empfiehlt das whk regierungsnahen Homovereinen wie dem Lesben- und Schwulenverband LSVD, das Augenmerk endlich auf die zahlreichen inhaltlichen Schwächen und Fallstricke des durchgefallenen Entwurfs zu lenken. Es ist für den LSVD völlig nutzlos, jedes Mal den sterbenden Schwan zu geben, wenn weil ein Teil der Legislative den Vorhang betätigt.
Zudem zeigt die zunehmend scharfe Debatte in der Homoszene etwa in der Homo-Group des Internetportals Yahoo , daß der Beifall am ADG-Entwurf deutlich geringer ausfällt, als der LSVD die Öffentlichkeit glauben machen will. Nach dem Fiasko mit der Homo-Ehe fürchten Teile der Szene nicht ganz zu Unrecht, daß ihnen der LSVD und seine parlamentarischen Helfer nun zum zweiten mal eine Polit-Operette ohne Happy End bescheren. Dies umso mehr, als genau wie damals der größte Teil der Szene beim ADG erneut von den parlamentarischen Beratungen von vorneherein ausgeschlossen war.
Es mutet seltsam an, wenn der LSVD, wie in der Pressemitteilung von gestern, immer wieder von einem "umfassenden Abbau der Benachteiligung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern" faselt und einen "weitgehenden Diskriminierungsschutz ... zum Beispiel beim Abschluß von Versicherungsverträgen" suggeriert, obwohl die Regierung in diesem und auch in anderen Bereichen zahlreiche Ausnahmen und Diskriminierungs-Sonderzonen zulassen will, die vor allem Homosexuelle und ihre Lebensweisen betreffen.
Das whk erinnert den LSVD deshalb nochmals daran, daß Rot-Grün den Versicherungsunternehmen im § 21(5) des ADG-Entwurfs einen regelrechten Freibrief erteilt, Schwule weiterhin zu diskriminieren. So will Rot-Grün mit Verweis auf eine "mathematische Risikobewertung" wozu etwa ein von Versicherungen grundsätzlich angenommenes erhöhtes Aids-Risiko bei schwulen Männern zählt die Benachteiligung von Homosexuellen mit dem ADG juristisch überhaupt erst festschreiben, und zwar als rechtmäßig und erlaubt. Und dies ausgerechnet in einem Antidiskriminierungsgesetz!
Sollte Manfred Bruns als LSVD-Hausjurist und Vereinssprecher den entsprechenden Passus im Entwurf tatsächlich überlesen haben, erinnert ihn das whk daran, daß niemand anders als Bruns' früherer LSVD-Vorstandskollege Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen) es war, der die beabsichtigte Ausnahmeregelung in der ADG-Bundestagsdebatte am 21. Januar auch noch mit dem zynischen Hinweis rechtfertigte, ein Diskriminierungsverbot im Versicherungswesen stelle eine "unnötige (!) Belastung der Wirtschaft" dar. Damit hat sich der grüne Fraktionsgeschäftsführer einmal mehr unzweideutig den vitalen Schutzbedürfnissen schwuler Männer entgegengestellt, zwecks deren Verwirklichung er überhaupt erst in den Bundestag gewählt worden war.
Auch der aus LSVD-Kreisen wiederholt verbreiteten Mär, unter einem ADG dürften Vermieter Homosexuellen eine zu vermietende Wohnung nicht verwehren, erteilte die Koalition ausdrücklich eine Absage. So erklärte der ehemalige SPD-Generalsekretär Olaf Scholz hierzu: "Das ist grober Unfug. Das steht nicht im Gesetz." Gewisse Politiker, die aus dem Gesetzentwurf dennoch einen Diskriminierungsschutz Homosexueller etwa vor homophoben Vermietern herauslesen, bezichtigte Scholz sogar der Lüge. Deutlicher geht's wohl nicht.
Wer mit dem ADG am Ende auf eine bessere rechtliche Absicherung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften hofft, wird sich auch hier eines besseren belehren lassen müssen. So war es Beck als vielgerühmter "Vater der Homo-Ehe", der im Bundestag die fortbestehende Benachteiligung homosexueller Partnerschaften ob nun verpartnert oder nicht als von der rot-grünen Regierung gewollt und beabsichtigt verteidigte. Peinlicherweise verwies der offen schwule Beck dabei ausgerechnet auf den "verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie", dessen überfällige Abschaffung Rot-Grün allerdings nie ernsthaft erwogen hat. Daß Beck diesen Themenkomplex berührte, obwohl der ADG-Entwurf eine Sanktionierung vom Staat verursachter Diskriminierung, etwa durch die der heterosexuellen Ehe gegenüber "minderwertigere" Eingetragene Lebenspartnerschaft, gar nicht vorsieht, zeigt nach Ansicht des whk, wie unangenehm und hinderlich Beck die Forderung nach tatsächlicher Gleichstellung von homosexuellen Beziehungsformen inzwischen offenbar ist.
Erfahrungen etwa in den Niederlanden haben längst gezeigt, daß Antidiskriminierungsgesetze bestenfalls so erfolgversprechend sein können wie ein Verbot von schlechtem Wetter oder miesem Kantinenessen. Anstatt sich ungefragt als Anstandsdame aufzuspielen, hätte der Staat vielmehr die Pflicht, flächendeckend und dauerhaft Antidiskriminierungsprojekte wie Coming-out-Gruppen und Homozentren finanziell fördern, wie es beispielsweise Schleswig-Holstein mit seinem vorbildlichen Antidiskriminierungskonzept seit Jahren vormacht. Von der Absicherung homosexueller Emanzipationsarbeit steht im Berliner ADG-Entwurf indes ebenfalls kein Wort.
Nach Ansicht des whk hilft nicht ein Gesetz gegen homophobe Diskriminierung, sondern in erster Linie lesbisch-schwules Selbstbewußtsein. Der vom Bundesrat am 18. Februar 2005 zurückgewiesene ADG-Entwurf von SPD und Grünen stellt demnach das komplette Gegenteil von dem dar, wofür Lesben und Schwule seit mehr als hundert Jahren kämpfen. Der Staat als größter und mächtigster Verursacher von Diskriminierung wird jedenfalls mit diesem ADG nicht haftbar zu machen sein.
Rückfragen: 0162/6673642 (Dirk Ruder)