whk0506/05.02.2006
Barebacking-Diskurs:
Bundespositiventreffen gegen ungesundes VolksempfindenMenschen mit HIV und AIDS reagieren auf Kriegserklärung der Großen Koalition mit brillanter Resolution / whk begrüßt Beschluß des Bundespositiventreffens
Am Ende des 112. bundesweiten Positiventreffens vom 26. bis 29. Januar 2006 in der Akademie Waldschlößchen bei Göttingen wurde eine Entschließung von grundlegender Relevanz zur Versachlichung der Barebacking-Debatte einstimmig gefaßt. Hierzu erklärt das whk:Das whk teilt die Einschätzung des 112. Bundespositiventreffens, wonach zwar ein Anstieg an HIV-Neuinfektionen verzeichnet wurde, nicht aber ein unumstrittener Anstieg des Barebackings. Insbesondere gilt eine immer wieder von interessierter Seite behauptete Korrelation zwischen lediglich ungeschütztem Geschlechtsverkehr bei einseitigem Wissensvorsprung über ein unmittelbares Risiko einer sexuell übertragbaren Krankheit (vgl. entsprechende BGH-Entscheidung BGHSt 36,1) und echtem Barebacking, das heißt eigenverantwortlich gewollter und verwirklichten Selbstgefährdung auch beim bewußt riskierten Geschlechtsverkehr als Einwilligung in Körperverletzung durch sexuell übertragbare Krankheiten (vgl. BGHSt 32,262 u.a.) weiterhin nicht als zweifelsfrei erwiesen. Die Feststellung des Bundespositiventreffens, "die laufende Debatte über Bareback geht an den Lebensrealitäten vorbei und zielt nicht auf eine Verminderung von Neuinfektionen, sondern ist ein Beitrag, Politik unabhängig von der Sinnhaftigkeit nur noch symbolisch zu gestalten", ist folgerichtig und zutreffend. Auch das whk kritisiert den Verlauf des Diskurses als "diskriminierend gegenüber homosexuellen Männern und infizierten Menschen".
"Alles, was irgendwie ökonomisiert werden kann, wird heutzutage ökonomisiert", diagnostiziert der scheidende Direktor des Frankfurter Instituts für Sexualwissenschaft, Professor Volkmar Sigusch, im aktuellen konkret-Interview (Heft 2/2006). Und weil echte Barebacker potentielle Kandidaten zur Verweigerung der Ware Arbeitskraft sind, wurden sie mit der Regierungsbildung für vogelfrei erklärt: "Angesichts ... der auch in Deutschland deutlichen Zunahme an HIV-Infektionen müssen die Bekämpfungsmaßnahmen ... effektiv auf Veränderungen im Schutzverhalten der Bevölkerung ... reagieren", heißt es hierzu im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot (S. 101).
Doch dieser auf Profitmaximierung ausgerichtete Sozialdarwinismus ist existentiell zu bedrohlich, um ihn ignorieren zu können: Die von willigen Medien bereits im Vorfeld herbeigeschriebene Dramatisierung des Barebackings unter Homosexuellen unabhängig von deren HIV-Status im Gegensatz zu lediglich ungeschütztem, gesundheitsgefährdendem Geschlechtsverkehr ist nach Einschätzung des whk aber ein vielschichtiges Phänomen, das nicht nur polit-ökonomisch verstanden werden kann. So spielt etwa auch Neid auf eine freie Sexualität eine Rolle, die viele sich nicht einmal zu erträumen wagen, weil sie eben nicht wagen, das auch nur zu träumen, was sie in ihrem Innersten doch antreibt. Diese Verweigerungshaltung breiter Teile sowohl der zwangs-heterosexuellen Dominanzgesellschaft als auch der sie kopierenden Teile der homosexuellen Subkulturen ist als Mittel der Selbstverleugnung leicht durchschaubar. Doch selbst dieser psychologisch verstandene Reflex vieler sexuell Unemanzipierter ist nur ein weiterer Teil der Bareback-Wahrheit.
Kritik übt das whk unterdessen am seit Jahren zu beobachtenden Unwillen sämtlicher Sozial- und Naturwissenschaften, auch der Sexologie, sich entsprechend differenziert mit Barebacking zu befassen. Eine gebetsmühlenartig wiederholte Suggestion einer Korrelation zwischen echtem Barebacking einerseits und HIV-Neuinfektionen andererseits ersetzt nicht die Durchführung methodisch einwandfreier empirischer Untersuchungen. Diese sind insbesondere durchzuführen vor dem Hintergrund einer verkürzten Lebenserwartung HIV-infizierter und an AIDS erkrankter Menschen in Verbindung mit der Zerschlagung sozialer Sicherungssysteme und der Individualisierung von Lebensrisiken sowie der damit einhergehenden Zukunftslosigkeit. Diese Zusammenhänge begünstigen nach Ansicht des whk die Rückkehr immer mehr Homosexueller unabhängig von ihrem HIV-Status und bei gleichzeitigem Wissen um die Risiken ungeschützten Geschlechtsverkehrs zum kondomfreien einvernehmlichen Austausch von Körperflüssigkeiten.
Rückfragen: 0180/4444945 (Ortwin Passon)
Dokumentation der Resolution des 112. Bundespositiventreffens