whk0305/19.01.2005
Moshammer-Mord liefert Vorwand für weiteren Abbau von Bürgerrechten
whk befürchtet Kriminalisierung von Stricher- und Homoszene durch Ausweitung der DNA-Analyse
Nach dem Mord an dem Münchner Modemacher Rudolph Moshammer fordern Polizei-Experten und Politiker von CDU, CSU und SPD eine weitere Ausweitung der DNA-Analyse aus Gründen der "Kriminalprävention". Hierzu erklärt das whk:
Politiker und Medien, die nach dem Mord an dem Münchner Modemacher Rudolph Moshammer eine Ausweitung der DNA-Analyse fordern, spielen mit der demokratischen Verfaßtheit unseres Landes. Wie die Bild-Zeitung gestern unter der Schlagzeile "DNA-Tests schon für Babys?" berichtete, denken vor allem Unions-Innenminister über eine drastische Ausweitung der DNA-Tests nach, wodurch praktisch die gesamte Bevölkerung aus Gründen eines ominösen "Schutzes" potentieller Opfer unter Kriminalitätsverdacht geriete. Das whk schließt sich der Einschätzung von Bürgerrechtsgruppen und des Bundesdatenschutz-Beauftragten Peter Schaar an, die eine solche Ausweitung entschieden ablehnen. Die Festnahme Moshammers mutmaßlichen Mörders binnen 48 Stunden zeigt nach Ansicht des whk trotz einiger Unklarheiten betreffend den legalen Hintergrund der Erfassung und Speicherung seiner DNA nur zu gut, daß die bestehenden Regelungen vollkommen ausreichen.
Wie die Bild-Zeitung berichtete, habe der CSU-Innenpolitiker Norbert Geis gefordert, "alle Deutschen" sollten "freiwillig" eine DNA-Probe abgeben. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) wird mit den Worten zitiert, man dürfe Verbrecher nicht frei herumlaufen lassen, "nur weil unbegründete Sorgen vor dem 'gläsernen Menschen die vorhandenen Möglichkeiten blockieren". Nach Angaben des Blattes will Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) das derzeit vom Bundesjustizministerium auf eine mögliche Erweiterung überprüfte Verfahren sogar auf "Castor-Gegner und Schwarzfahrer" ausdehnen.
Das whk erinnert daran, daß vorgeblich "freiwillige" Gen-Tests in der Bundesrepublik schon jetzt bei lediglich verdächtigten oder angeklagten Personen vor allem bei Globalisierungsgegnern und Antifaschisten Usus sind. Entweder ist Herr Schünemann nicht ganz auf der Höhe der Zeit, oder er versucht die Brisanz der DNA-Anlayse bei der staatlichen Einschüchterung und Bekämpfung politischer Gegner bewußt zu verharmlosen. Nach geltender Rechtslage dürfen DNA-Proben derzeit nur nach einem Richterentscheid und nach einer Verurteilung wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung und gegen die sexuelle Selbstbestimmung entnommen werden.
Ernste Fragen wirft die geforderte Ausweitung der DNA-Analyse für die schwule Szene auf. Schon jetzt befürchten Datenschützer angesichts der neuerlichen Daten-Sammelwut die bundesweite Erfassung von Personen mit bestimmten Krankheiten. Von da wäre es nur ein kleiner Schritt zur Erfassung bestimmter abweichender sexueller Verhaltensweisen. In Deutschland zwar verboten, aber praktisch ohne weiteres möglich wäre es beispielsweise schon heute die Analyse bestimmter Abschnitte des sogenannten kodierten Teils der DNA, etwa der Gen-Sequenz Xq 28, der der amerikanische Krebsforscher Dean Hamer bereits vor mehr als zehn Jahren in der führenden US-Wissenschaftszeitschrift Science (No. 16, Juli 1993) eine gewisse Rolle bei der Ausprägung einer homosexuellen Orientierung zuschrieb.
Selbst wenn, wie bislang, lediglich der sogenannte nicht-kodierte Teil der DNA untersucht würde, der diese genetische Information nicht enthält, wäre es für die Behörden ein leichtes, ihre gespeicherten DNA-Muster über Computerdatenbanken problemlos mit Hinweisen auf eine mögliche sexuelle Orientierung der betreffenden Person zu verknüpfen. Die Münchner Polizei war bereits vor zehn Jahren in die Schlagzeilen geraten, als sie bei Kontrollen im Bereich des Hauptbahnhofs Vermerke wie "Homo-Szene" und "Homo-Strich" in ausländische Pässe eintrug. Zu befürchten ist, daß solche Vermerke nun gleich in den Dateien des LKA landen, ohne daß die Betroffenen davon etwas ahnen.
Nicht vergessen werden sollte ferner, daß die DNA-Analyse in der Schwulenszene ihre Testphase längst hinter sich hat. So zwang die Hamburger Polizei vor drei Jahren bei einer Großrazzia ungefähr 350 Besucher einer Schwulenbar zur "freiwilligen" Angabe von Speichelproben für den DNA-Test angeblich, um einen Mord an einem schwulen Mann aufzuklären, den die Behörden im "Homosexuellen-Milieu" vermuteten.
Während die Polizei seinerzeit Boulevardmedien zum Fototermin bei der Hamburger Razzia einlud, schleichen heuer RTL-Reporter mit versteckter Kamera durch Münchens Schwulenkneipen und fordert die vermehrt wieder homophobe Ressentiments bedienende Bild-Zeitung mit vielsagendem Verweis auf "Mörder und Kinderschänder", die DNA-Analyse als "Fingerabdruck des 21. Jahrhunderts" zu etablieren.
Das whk fordert daher die Schwulenszene und insbesondere den Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) auf, sich dieser wichtigen bürgerrechtlichen Debatte nicht länger zu verweigern. Bei Angriffen auf die Demokratie reicht es nicht, brave Bittbriefe an den Deutschen Presserat zu schreiben, wie es der LSVD im Fall Moshammer getan hat.