Dokumentation
Brief an den Nachrichtensender n-tv
ntv
Redaktion "Talk in Berlin"
per Fax: 030/ 20 26 71 30
Talk in Berlin zur "Homo-Ehe"
Moers. den 6. Juli 2000
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für Ihre Zuschauer-Einladung für die geplante Sendung zum Thema Homo-Ehe.
Ich bin sehr überrascht, daß Ihre Redaktion neben Homo-Ehe-Befürwortern aus der homosexuellen Szene und Gegnern aus dem konservativen Lager keine Homo-Ehe Gegner aus der lesbisch-schwulen Szene geladen hat. Ist Ihnen der langjährige Widerstand lesbisch-schwuler Gruppen u.a. in Form von zwei bundesweiten Kampagnen, wie der "Aktion Neinwort" (www.whk.org/neinwort/) oder die erst zum CSD am vergangenen Wochenende verabschiedete "Kölner Erklärung" (www.konsumschwuchtel.de) gar nicht bekannt?
Die überraschende Ankündigung des Gesetzentwurfs durch den grünen Bundestagsabgeordneten und Sprecher des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) Volker Beck am 23. Juni hat bei vielen allen bundesweit wichtigen Verbänden Empörung und heftigen Widerspruch ausgelöst. Neben dem wissenschaftich-humanitären komitee (whk) wandten sich etwa Deutsche Aids Hilfe, Lesbenring, Bisexuelles Netzwerk, der Verein lesbischer Mütter und viele regional arbeitende Gruppierung mehr oder weniger gegen die von der Bundesregierung gern als "Projekt der Moderne" bezeichneten Pläne. In der "Kölner Erklärung" gegen die Homo-Ehe heißt es beispielsweise, das geplante Gesetz atme den disziplinierenden Geist der 50er Jahre und sei "die schärfste Provokation einer deutschen Regierung" gegen die Vielfalt der Lebensweisen "seit Einführung des unsäglichen Schwulenparagraphen im Jahre 1871."
Scharf muß das Verhalten von Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin gerügt werden, die sich nicht nur beharrlich weigerte, den jahrelangen Widerstand der lesbisch-schwulen Szene zur Kenntnis zu nehmen, sie schloß diese Verbände auch explizit von den Verhandlungen zwischen ihrem Ministerium und dem LSVD aus. In einem Brief vom 24. September 1999 (siehe Anlage) teilte sie mir mit, es sei "schon allein aus organisatorischen Gründen nicht möglich, den Kreis der Teilnehmer zu erweitern." Für Verhandlungen in wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen gibt es in den Beratungszimmern des Bundesjustizministeriums also offenbar nicht genug Stühle.
Der LSVD hat Öffentlichkeit und Homo-Gruppen in den letzten Wochen systematisch über den Stand seiner Geheimabsprachen mit der Ministerin getäuscht. Noch Ende Mai behauptete ein LSVD-Sprecher, der über gute Kontakte zur Ministerin verfügt, es läge "nicht einmal ein diskussionsfähiger Entwurf vor". Ein anderer Sprecher sagte, daß 80 % aller Homosexuellen heiraten wollten, wenn es die Möglichkeit dazu gäbe. Im Vergleich zu seriösen skandinavischen Erhebungen (die etwa 5 % angeben) eine mehr als groteske Behauptung.
Die Homo-Ehe diskriminiert weitaus mehr Paare, als sie "gleichstellt". Sie priviliegiert (heiratswillige Homo-)Paare und benachteiligt alle Menschen, die eine solche Lebenspartnerschaft nicht eingehen können oder wollen. Diese Menschen, welcher sexuellen Orientierung auch immer, ob zu zweit, zu dritt oder zu mehreren, sollen rechtlos bleiben. Und selbst jene, die sich registrieren lassen, werden schlechter gestellt, etwa durch den Verlust von Sozialhilfeansprüchen und eine lebenslange Unterhaltspflicht für den Partner. Daß dies alles auf Drängen eines Verbandes geschieht, der mit knapp 2000 Mitgliedern gerade einmal 0,0005 % aller bundesdeutschen Homosexuellen vertritt, macht deutlich, daß es hier tatsächlich um etwas anderes geht als den mehrheitlichen Willen von Lesben und Schwulen.
Die drohende Regelung sie wäre die konservatiste in ganz Europa hat offen lesbische Bundesagsabgeordnete Christina Schenk sehr richtig als "antihomosexuelles Sondergesetz" bezeichnet. Ein solches hat man anderswo bewußt vermeiden wollen: Die französische PACS-Regelung ist, so ein Befürworter der Regelung, deshalb nicht auf homosexuelle Partnerschaften beschränkt, weil man "schließlich auch keine Gesetze nur für Juden und Zigeuner macht" (ARD-Tagesthemen 5. Juli).
Mit freundlichen Grüßen
Dirk Ruder, whk- Bundessprecherin
Anlage: Briefwechsel whk- Justizministerium