Dokumentation
Förderverein des whk e.V.
Herrn Eike Stedefeldt
Mehringdamm 61
10961 Berlin21. 12. 2005
Entscheidung
der Kammer 2 des Beschwerdeausschusses in der Beschwerdesache BK2-165/05
Beschwerdeführer: Wissenschaftlich-humanitäres Komitee, Eike Stedefeldt
Beschwerdegegner: BILD
Ergebnis: Missbilligung, Ziffer 11
Datum des Beschlusses: 08.12.2005
Mitwirkende Mitglieder:
Ursula Ernst-Flaskamp (Vorsitzende), DJV
Hermann Neusser (stv. Vorsitzender), BDZV
Fried von Bismarck, VDZ
Ute Kaiser, dju
Sergej Lochthofen, DJV
A. Zusammenfassung des SachverhaltsUnter der Überschrift "Hier werden zwei Kinderschänder gehängt" vom 27.07.2005 erscheint in BILD das Foto von zwei jungen Männern, deren Augen verbunden sind. Zu sehen ist, wie zwei Henker ihnen gerade eine Schlinge um den Hals legen. In dem Beitrag wird das Foto wie folgt beschrieben: "Wenige Sekunden später sind diese beiden Kinderschänder tot." Berichtet wird, dass die beiden jungen Männer von einem iranischen Gericht zum Tode verurteilt wurden, weil sie einen 13-jährigen Jungen entführt und vergewaltigt haben sollen.
Der Beschwerdeführer beschwert sich über die sensationell aufgemachte bildliche Darstellung der Hinrichtung sowie die reißerische Bildüberschrift und die irreführende Bildunterschrift, da hierdurch die Würde der umgebrachten Jungen verletzt wird. Er begründet es damit, dass die Darstellung, es handele sich bei den zum Tode verurteilten Jungen um Kinderschänder, trotz uneindeutiger bzw. nicht bestätigter Quellen deutlich von Berichten sämtlicher nationaler und internationaler Medien abweiche. So stelle etwa "Der Standard" aus Wien den Fall vollkommen anders dar, indem er mit entsprechender Quellenangabe darauf verwies, dass die beiden Jungen, die zum Zeitpunkt der Hinrichtung noch als Kinder gegolten hätten, weniger wegen sexuellen Kindesmissbrauchs als wegen einvernehmlicher, miteinander begangener sexueller Handlungen verurteilt und inhaftiert worden seien. Erst später sei von den Behörden die Begründung hinzugefügt worden, die Inhaftierten hätten im Gefängnis einen 13-jährigen Jungen vergewaltigt. Indem die BILD-Zeitung, nachdem bereits zahlreiche Nachrichtenagenturen den Fall völlig anders lautend international verbreitet hatten, diese Fakten offenbar bewusst unterschlage, mache sie nicht nur aus den Opfern Täter, sondern verstieße damit auch gegen die im Pressekodex geregelte Unschuldsvermutung.
Der Beschwerdeführer weist darauf hin, dass zum Zeitpunkt der Veröffentlichung in BILD bereits verschiedene Menschenrechtsgruppen und auch Bundestagspolitiker gegen die Hinrichtung protestiert hatten. Die Zeitung verstoße damit auch gegen die Ziffer 2 des Pressekodex, da sie nicht sorgfältig die Nachrichten geprüft habe. Weiter sieht der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen Ziffer 9 und Ziffer 13 des Pressekodex.
Der Beschwerdeführer weist zudem darauf hin, dass in der BILD-Zeitung die Bildunterschrift zumindest suggeriere, die Hinrichtung sei in Teheran vollstreckt worden, obwohl alle anderen Medien darüber berichten, dass die beiden Jugendlichen in der Stadt Mashad getötet worden seien.
Das Justitiariat des Axel Springer Verlages antwortet, dass die Beschwerde unbegründet sei. Das veröffentlichte Foto stamme von der Nachrichtenagentur afp. Für die hiermit übermittelten Informationen gelte somit der Vertrauensgrundsatz. Die pressemäßige Sorgfalt verlange hiernach keine eigene Überprüfung des Wahrheitsgehalts. Dennoch hätte sich der zuständige Redakteur bemüht, über den Agenturserver weitere Informationen zu diesem Fall zu erhalten. Es habe jedoch keine einzige weitere Agenturmeldung gegeben. Die Berichterstattung stütze sich daher auf die von afp übermittelten Informationen. Diese werden im Wortlaut wiedergegeben. Die Berichterstattung halte sich demnach eng an die von der Nachrichtenagentur übermittelten Informationen. Hieraus ergebe sich unmittelbar, dass zentraler Vorwurf der Verurteilung durch das iranische Gericht die Entführung und Vergewaltigung eines 13-Jährigen war. Mit keinem Wort werde über homosexuelle Handlungen berichtet. Hieraus folge, dass alle Unterstellungen, schwulenfeindliche Berichterstattung zu betreiben, abwegig seien. Auch sei keine Verletzung der Menschenwürde zu erkennen, da auf entwürdigende Begleitumstände in Text- oder Bildberichterstattung verzichtet werde. So sei es dem Leser gerade nicht möglich, in die Augen der jungen Männer oder der Todesurteil-Vollstrecker zu sehen. Es fehle zudem an jeglicher Darstellung der vorangegangenen Peitschenhiebe und der Reaktion der Öffentlichkeit. Dies führe zu dem Schluss, dass es sich bei der Bildberichterstattung um ein rein zeitgeschichtliches Dokument handele, das auf sämtliche Begleitumstände verzichte, aus denen eine Verletzung der Menschenwürde geschlossen werden könne. BILD habe sich darauf beschränkt, mit der Nachricht auf das Todesurteil und seine Vollstreckung aufmerksam zu machen. In keiner Zeile kommentiere die BILD-Zeitung die Entscheidung des iranischen Gerichts und überlasse damit die Meinungsbildung den Lesern. Die Redaktion beschränke sich auf die Darstellung des nachrichtlichen Ereignisses, welches in Wort und Bild, gemessen an dem tatsächlichen Geschehen, zutreffend wiedergegeben und weder entstellt noch verfälscht worden sei. Eine Verletzung der Ziffer 2 des Pressekodex scheide daher ebenfalls aus.
Auch liege keine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt und Brutalität vor, da es über das nachrichtliche Ereignis hinaus an unangemessen sensationellen und damit reißerisch wirkenden Elementen fehle. Weder lasse sich in die Augen der zum Tode Verurteilten schauen, noch seien die vorangehenden Peitschenhiebe und die Öffentlichkeit gezeigt worden, die bei der Vollstreckung des Todesurteils anwesend war. Im Übrigen lasse sich anhand des von afp erhaltenen Materials nicht erkennen, wie alt die zum Tode Verurteilten waren. Die bildliche Darstellung lasse nicht zwingend auf ein minderjähriges Alter schließen. Auch die Textberichterstattung erwähne kein Alter, der Schutz der Jugend sei daher in der Berichterstattung nicht verletzt worden. Die Berichterstattung sei im Übrigen frei von Vorurteilen über das förmliche Strafverfahren des iranischen Gerichts, die Berichterstattung beschränke sich darauf, über das Urteil des iranischen Gerichts zu berichten und damit zur Meinungsbildung beizutragen. Die Unterstellung, BILD würde mit der beanstandeten Darstellung gleiche Maßnahme für deutsche Kinderschänder fordern, weist das Justitiariat mit aller Schärfe zurück. Der Leser sei völlig frei darin, sich eine Meinung zu diesem Ereignis zu bilden.
B. Erwägungen der Beschwerdekammer
Die Beschwerdekammer diskutierte in dem vorliegenden Fall über zwei verschiedene Aspekte der Berichterstattung unter der Überschrift "Hier werden zwei Kinderschänder gehängt". Zum einen machten etliche der Beschwerdeführer darauf aufmerksam, dass es sich bei den beiden Männern um Jugendliche handelt, die aufgrund homosexuellen Verhaltens und Alkoholkonsums im Iran hingerichtet worden seien. Erst im Nachhinein hätten die iranischen Medien den Vorwurf der Kinderschändung nachgereicht. Da sich die Zeitung auf die Meldung der Agentur afp beruft, gilt der so genannte Vertrauensgrundsatz. Eine Zeitung muss darauf vertrauen können, dass das, was eine Nachrichtenagentur verbreitet, auch inhaltlich richtig ist. Die pressegemäße Sorgfalt verlangt demnach keine eigene Überprüfung des Wahrheitsgehaltes mehr.
Dass es sich bei den beiden hingerichteten Männern um Jugendliche handelt, kann weder dem Foto als solchem noch der zugrunde liegenden Agenturmeldung entnommen werden. Als Grund für die Hinrichtung wird auch in der Agenturmeldung lediglich die offizielle Version des sexuellen Missbrauchs an einem Minderjährigen hingewiesen. Dies musste die Redaktion der BILD-Zeitung nicht noch einmal überprüfen. Eine Vorverurteilung oder Ehrverletzung der beiden Hingerichteten fand in dieser Berichterstattung nicht statt. Auch die Persönlichkeitsrechte der beiden werden nicht verletzt, da sie nicht erkennbar sind.
Der andere Aspekt, mit dem sich die Beschwerdekammer ausführlich befasste, war die Veröffentlichung des Fotos. Nach Meinung der Kammer verstößt diese gegen die Ziffer 11* des Pressekodex. Die Darstellung der beiden Männer, wie ihnen Schlinge um den Hals gelegt werden, ist egal vor welchem Hintergrund dies passieren mag unangemessen sensationell. Nach Meinung der Beschwerdekammer hätte dieses Foto in der Form nicht veröffentlicht werden sollen. Daher sieht die Beschwerdekammer in der Veröffentlichung des Fotos einen Verstoß gegen die Ziffer 11 des Pressekodex. Auch wenn dieses Foto von einer Agentur verbreitet wird, liegt es immer im Ermessen der Redaktion, selbst zu entscheiden, ob sie solches Material veröffentlichen will oder nicht. Eine Agentur kann und muss grundsätzlich Materialien liefern, wie in diesem Fall auch das Foto. Die Redaktion selbst muss dann jedoch entscheiden, ob eine Veröffentlichung des Agenturmaterials notwendig ist oder nicht.
C. Ergebnis
Die Beschwerdekammer hielt den Verstoß gegen die Ziffer 11 des Pressekodex für so schwerwiegend, dass sie gemäß § 12 Beschwerdeordnung die Maßnahme der Missbilligung wählte. Nach § 15 Beschwerdeordnung besteht zwar keine Pflicht, Missbilligungen in den betroffenen Publikationsorganen abzudrucken. Als Ausdruck fairer Berichterstattung empfiehlt der Beschwerdeausschuss jedoch eine solche redaktionelle Entscheidung.
Die Entscheidung ergeht einstimmig.
(Ursula Ernst-Flaskamp)
Vorsitzende der Kammer 2 des
Beschwerdeausschusses*Ziffer 11:
Die Presse verzichtet auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt und Brutalität. Der Schutz der Jugend ist in der Berichterstattung zu berücksichtigen.