Mitteilungen des whk
November/Dezember 2008
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Wegen der Horrorstatistiken (1)

Zur Arbeit des schwulen Antigewaltprojekts Maneo in Berlin sendete das Homo-Radiomagazin Lattemio aus Erfurt am 10. Oktober ein Interview mit dem wissenschaftlich-humanitären komitee (whk). Anlaß war der Gigi-Artikel „Deutsche rechts oben“ (Gigi Nr. 57, S. 28f.) worin der whk-Sprecher und Gigi-Redakteur Dirk Ruder die Jahresreports der Antigewaltprojekte von Köln und Berlin einmal mehr einer kritischen Prüfung unterzogen hatte. „Die Botschaft ist einfach und total falsch: Ausländer – vor allem Muslime – haben es auf Schwule abgesehen. Verkünden LSVD und das Berliner Anti-Gewaltprojekt Maneo fast schon kampagnenartig. Ihre Botschaft: Die Gewalt gegen Homos nimmt zu. Stimmt nicht, sagt Dirk Ruder“, leitete das Radioteam das Gespräch ein. Angesichts der von den Homoprojekten verbreiteten „Horrorstatistiken“ (Lattemio) wollte der Moderator wissen, ob Schwule in einer Welt leben, „die immer gefährlicher wird“. Ruder verneinte: „Mein persönlicher Eindruck ist das nicht, aber ich lebe nicht in einer Großstadt wie Berlin. Es kann natürlich sein, daß das andere Leute so empfinden. Ich glaube aber, daß das ein Eindruck ist, der nicht zufällig entsteht. Ich glaube, daß die schwulen Überfalltelefone in ihren Jahresberichten absichtlich ein solches Bild zeichnen.“

Wie der whk-Sprecher in dem Interview ausführte, verfälschten die Jahresberichte unter anderem von Maneo Ausmaß und Entwicklung antischwuler Gewalt. Erstens durch einen kriminaltechnisch unwissenschaftlichen und verschwommenen Antigewalt-Begriff, zweitens durch die wiederholte Änderung und Ausweitung der statistischen Grundlagen und drittens durch die aus den Zahlen abgeleiteten Schlußfolgerungen. Letztere Fälschung sei laut Ruder „ganz massiv, die besteht nämlich darin, daß die Überfalltelefone ihre eigenen Zahlen nochmal uminterpretieren. Indem sie aus den Zahlen, die klar vorliegen und aus denen man Schlüsse ziehen kann, ganz andere Schlüsse ziehen. Und der Schluß, der gezogen wird, ist eigentlich immer der, daß gesagt wird: Ausländer sind homophob“, was man aus den Statistiken allerdings bei genauer Betrachtung nicht ablesen könne. Daher spreche er „sehr bewußt von einer Fälschung“ der Daten durch Maneo, da diese aktiv vorgenommen werde und nicht etwa durch eine unabsichtliche Fehlinterpretation durch das Antigewaltprojekt zustande komme. „Die machen das (die Fälschungen – whk) manchmal so plump, daß einem die Haare zu Berge stehen und man sich fragt: Wie kann man das in einen eigenen Bericht reinschreiben? Da muß man doch immer Angst haben, daß man dabei ertappt wird.“ Allerdings komme Maneo damit seit Jahren durch. Dies liege nicht zuletzt daran, daß offenbar niemand die Jahresreports hinterfrage. Er, Ruder, sei seit einiger Zeit der einzige Journalist im Lande, der sich die Jahresberichte genauer ansehe. Nicht einmal die schwulen Medien interessierten sich noch für das Thema. Warum Maneo und andere Überfalltelefone die eigenen Zahlen manipulierten sei eine Frage, die man nicht ihm, sondern den Projekten selbst stellen sollte, so Ruder. „Man muß natürlich sehen, daß diese Überfalltelefone staatlich finanziert und subventioniert werden. Und natürlich ist das immer gut, daß man diese Gelder auch weiter bekommt. Die bekommt man aber nur, wenn man immer wieder permanent nachweist: Die eigene Berechtigung ist da. Die ist aber nur da, wenn man immer wieder die Gefahr gegen Schwule übertreibt und größer darstellt, als sie tatsächlich ist. Das fing vor 10 bis 15 Jahren etwas unmerklich an, aber inzwischen haben sich die Projekte da etwas vergaloppiert und die Absurdität dieser Statistiken ist inzwischen jedem offenbar.“

Das Gespräch kann in einer gekürzten Fassung auf der Homepage von Lattemio nachgelesen und angehört werden unter www.lattemio.de/2000/10/die-flschen-die-statistik.html. Dort findet sich auch folgender Kommentar eines mit dem Nick „Anonym“ auftretenden Users: „Ach, hört auf das Problem der Gewalt gegen Schwule klein zu reden. In Berlin ist das in einigen Ecken kein Zuckerschlecken mehr. Verharmlosung gesellschaftlicher Entwicklungen ist das Letzte, was hier hilft.“

Wegen der Horrorstatistiken (2)

Für Katzenjammer beim LSVD Berlin-Brandenburg sorgte am 23. Oktober die Einladungspraxis des Berliner Senats zum „Runden Tisch gegen Homophobie“. Zwar begrüßte der Berliner LSVD-Geschäftsführer Alexander Zinn die Veranstaltung als solche, bezeichnete den Teilnehmerkreis aber als „fragwürdig“, da „wichtige zivilgesellschaftliche Akteure aus den Migrantencommunitys wie die Rechtsanwältin Seyran Ates und die Autorin Necla Kelek nicht eingeladen“ worden seien. „Auch relevante Organisationen der schwul-lesbischen Community sollen offenbar außen vor bleiben. Weder der Verein Mann-O-Meter noch der Berliner CSD e.V. wurden eingeladen. Geradezu absurd ist es, daß auch das Schwule Überfalltelefon Maneo nicht eingeladen wurde. Wie will man die geplante ‘Bestandsaufnahme von homophoben Vorkommnissen in Berlin’ vornehmen, wenn die einzige Institution, die schwulenfeindliche Vorkommnisse registriert, nicht dabei ist?“

Das whk empfahl dem LSVD in der Sache etwas mehr Realismus. „Der Berliner CSD e.V. als ausgewiesener Partyveranstalter hat bei einer ernsthaften politischen Veranstaltung wie dem Runden Tisch gegen Homophobie einfach nichts zu suchen“, erklärte das whk und gab zu bedenken, Berlins Integrationsbeauftragter Günter Piening und die Gleichstellungsstelle des Senats hätten sich bei ihrer umsichtigen Einladungspraxis „sicher etwas gedacht“. Langsam setze sich bei den verantwortlichen Stellen in Berlin offenbar die Erkenntnis durch, daß Maneo nicht unbedingt einen sonderlich seriösen Partner bei der Bekämpfung von Homophobie darstelle. Daß Maneo zu der Veranstaltung gar nicht erst nicht geladen worden sei, könne als „kleiner politischer Erfolg“ nach der vom whk in den vergangenen Jahren wiederholt vorgebrachten Kritik an dem Homo-Projekt verbucht werden. „Immerhin hat das wissenschaftlich-humanitäre komitee die zuständigen Stellen mehrfach auf den Unfug aufmerksam gemacht, den die Maneo-Jahresreports darstellen“ und auf die Gefahren hingewiesen, die sich aus deren tendenziösen Schlußfolgerungen ergeben. Jetzt sei es an der Zeit, „daß die Arbeit von Maneo und deren Finanzierung durch den Senat“ auf den Prüfstand komme. Nach Ansicht des whk könnten die von Senat durch Überweisung an Maneo „sinnlos“ verpulverten Euros weitaus besser gegen Homophobie eingesetzt werden, etwa in Schulprojekten oder bei der Förderung der lesbisch-schwulen Jugendarbeit.

Wegen der Vielfalt

Kurz vorm 60. Jahrestag der Verkündigung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte am 10. Dezember 1948 schaute Nora Große-Harmann vom Berliner Regionalressort der tageszeitung (taz) mal im Haus der Demokratie und Menschenrechte (HDM) vorbei. „Im Flur vor dem Robert-Havemann-Saal im Haus der Demokratie und Menschenrechte ist es angenehm kühl. Poster und Flyer liegen verstreut auf Tischen herum. Die Kratzer und Plakate an den Wänden zeigen, daß schon viele Menschen die Räume hier genutzt haben. Im Treppenhaus hängen auf jeder Etage Anzeigetafeln mit den Namen der vielen Gruppen, die in diesem ehemaligen Fabrikgebäude mit den zwei Hinterhöfen direkt am Volkspark Friedrichshain ihre Büros haben. Darunter auch: Alafia, Carea, Gigi – schöne Namen für Initiativen, aber kaum jemand kennt sie.“

Das änderte sich, als die taz-Reporterin beim Streifzug durchs Haus am Zimmer 1207 vorbeikam, wo sich der Förderverein des whk und die whk-Zeitschrift Gigi ein Büro mit dem Schwul-lesbischen Informations- und Presseservice SCHLIPS e.V. teilen. „Zurzeit haben etwa 70 Organisationen ihre Büros hier – von amnesty international, der Humanistischen Union, der Grünen Liga bis hin zu kleineren Gruppen, die sich in Umwelt-, Sozial- und Gesellschaftspolitik engagieren. (...) Leider aber nutzten viele Initiativen das Haus mehr als Büroort denn als Ort des gegenseitigen Austauschs und der Diskussion“, zitierte sie Sebastian Gerhardt vom Vorstand der Stiftung Haus der Demokratie. „Das sieht Eike Stedefeldt von der sexualpolitischen Zeitschrift Gigi, die seit sieben Jahren hier eingemietet ist, anders. Wenn der ehrenamtliche Redakteur neue Themen für das von Schwulen gegründete Magazin zu Gender, Politik und Kultur plant, dann fragt er schon auch mal Initiativen im Haus, die sich mit solchen Thematiken ebenfalls auskennen. ‘In der letzten Zeitschrift (Gigi Nr. 56 von Juli/August 2008 – whk) hatten wir zum Beispiel einen China-Schwerpunkt’, erzählt Stedefeldt. ‘Da konnte ich einfach bei der Tibet-Initiative nebenan nachfragen, wenn ich etwas nicht wußte. Stedefeldt schätzt die ‘hohe Fachkompetenz’, die sich hier konzentriert.“ Der Artikel erschien in der taz (Berlin) vom 12. Juli 2008.