Mitteilungen des whk
September/Oktober 2008
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Verschwiegene rosa Barbaren

Der Kritik des whk am Berliner Denkmal für die NS-verfolgten Homosexuellen galt am 28. Mai 2008 ein Absatz des Berichts im Neuen Deutschland über dessen Einweihung. Zwei Tage später erhielt das whk Post vom KZ-Überlebenden Paulus Buscher, der in einer Kopie des ND-Artikels diesen Passus markiert und den handschriftlichen Vermerk „Schönen Dank dafür!“ hinzugesetzt hatte. Dem Brief lag eine Leseprobe aus dem autobiographischen Manuskript „Die Stigmatisierung“ bei, aus der hervorgeht, daß Buscher als Mitglied der antifaschistischen bündischen Jugendgruppe „Edelweißpiraten“ 14jährig in Gestapo-Haft gekommen und im Herbst 1943 ins KZ-Buchenwald-Außenlager AEL Köln-Messeturm verschleppt worden war. Eine von Buscher markierte Szene schildert die dortige Vergewaltigung des gerade 15-Jährigen durch Männer der SS-Baubrigaden 3 und 4. Der heute 80-Jährige nennt die am Homo-Denkmal beredt verschwiegenen Täter „Hitlers schwarze Prätorianer: rosa Barbaren“.

Memmen des 20. Juli

Angst vorm whk hatten offenkundig Teile des maßgeblich vom LSVD Thüringen, den Chilligays (Radio F.R.E.I.) und der AIDS-Hilfe Thüringen getragenen Erfurter CSD-Bündnisses. Ursprünglich war Eike Stedefeldt (Berliner whk-Gruppe) zu einer Podiumsdiskussion eingeladen worden, wurde dann aber – wegen der inhaltlichen Ausrichtung der von ihm verantworteten whk-Zeitschrift Gigi – wieder ausgeladen.
Nicht beirren ließen sich davon die Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen, die Homo-Redaktion des Alternativradios F.R.E.I. und das Bildungskollektiv BiKo. Sie luden den Journalisten zu einer Sonderveranstaltung am 20. Juli ein. Stedefeldt hielt passend zum Datum den Vortrag „Projekt Homocaust. Über den nationalen Nutzen schwuler Gedenkpolitik“ und erneuerte vor knapp 20 Gästen seine Kritik am revisionistischen und antisemitischen Gehalt des Berliner Denkmals für die verfolgten Homosexuellen im Nationalsozialismus. Zu seinem Erstaunen meldete sich in der Diskussion Conrad Gliem zu Wort, Vorstand des LSVD Thüringen. Er könne die im Rahmen des Vortrags geäußerte Kritik am LSVD und dessen undemokratischen zentralistischen Strukturen voll unterstützen; sein Landesverband versuche, diese zu verändern und Satzungsänderungen beim Bundesverband durchzusetzen. Der LSVD Thüringen hatte zum Erfurter CSD sogar eine originäre whk-Forderung aufgestellt: „die diskriminierende Sondergesetzgebung durch das LPartG (Lebenspartnerschaftsgesetz – d.R.) aufzuheben und statt dessen allen Menschen unabhängig von sexueller Orientierung, Geschlecht und Beziehungsstruktur gleiche Rechte zuzugestehen“. Von einem Radio-F.R.E.I.-Redakteur wurde Stedefeldt schließlich gebeten, seine Abreise zu verschieben, um morgens noch eine Stunde lang Live-Gast im Frühprogramm zu sein. Highlight der Sendung war das Bekenntnis des Moderators, er sei heterosexuell. Stedefeldts Reaktion: „Das hätte ich jetzt aber nicht von Ihnen gedacht.“

Volkshochschule des whk beim CSD Kassel

Gleich zwei Einladungen erhielt das wissenschaftlich-humanitäre komitee (whk) zum Christopher-Street-Day (CSD) nach Kassel. Am Vorabend der Homoparade vom 16. August gab zunächst Dirk Ruder vom whk Rheinland im Autonomen Schwulenreferat vor fünfzehn Zuhörern einen „homosexuellen Volkshochschulabend zum CSD“. Anhand von CSD-Plakaten und -Programmheften der vergangenen zwanzig Jahre zeichnete Ruder den mit Kommerzialisierung einhergehenden inhaltlichen Wandel des CSD nach. Hätte 1990 der zentrale CSD Nordrhein-Westfalens in Bottrop/Oberhausen „feiern, reden und gegen die HERRschende Moral kämpfen“ wollen und gesamtgesellschaftlich bedeutsame Forderungen nach Gleichberechtigung von Frauen im Arbeitsleben oder die Entschädigung sogenannter vergessener NS-Opfer gestellt, sei das politische Profil unter dem Einfluß des Homoklüngels binnen weniger Jahre zum harmlosen Motto „Flagge zeigen“ verflacht. Am Beispiel des jährlich kostenlos und bundesweit vertriebenen CSD Magazins machte Ruder den Niedergang anschaulich. Offenbar aus Rücksicht auf Sponsoren zeige der redaktionelle Teil viel nackte Haut, aber so gut wie nie homosexuelles Begehren. Das dokumentiere sich nicht zuletzt an etlichen von Ruder präsentieren Coverseiten des Magazins, die mit Mann-Frau- bzw. Mann-Frau-Kind-Konstellationen typisch heterosexuelle Darstellungsmuster imitierten, bei der der Frau allenfalls eine mindere Rolle zugebilligt werde. Wie Ruder zudem mit etlichen Textzitaten unter anderem aus Artikeln von Jan Feddersen im CSD Magazin belegte, übe das Medium längst eine eindeutig gegen Aufklärung und Emanzipation gerichtete Funktion aus. Das durch Werbeanzeigen finanzierte Heft sei von Sexualfeindlichkeit und fragwürdiger Propaganda bis hin zur Esoterik geprägt, weshalb es ihm – wie auch den CSD-Paraden – immer weniger gelinge, einem massenpublikum überhaupt noch glaubwürdige Botschaften zu vermitteln. Zudem werde die Bedeutung von Homoparaden als lokales Großereignis von den Veranstaltern permanent übertrieben. Ruder zeigte eine Statistik der Kölner Wirtschaftsförderung aus dem Jahre 2002, der zufolge der dortige CSD im unteren Mittelfeld rangierte – zwischen der Fachmesse Photokina und dem Kölner Weihnachtsmarkt.

Am Tag nach Ruders Vortrag war Michael Heß vom whk Münsterland Gast einer etwa halbstündigen Podiumsdiskussion zum Allgemeinen Gleichstellungsgesetz (AGG) auf dem Königsplatz, wo am Nachmittag die Kasseler CSD-Parade geendet hatte. Befragt von Moderatorin Daphne de Bakel machte der whk-Vertreter vor etwa 400 Zuhörerinnen und Zuhörern die Position des whk zu dem von Heß als „wirkungslos“ und „überflüssig“ charakterisierten AGG deutlich. Demgegenüber verteidigte Ralf Harth, Landessprecher des hessischen Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) erwartungsgemäß die Regelung. Harth warf dem whk vor, es habe sich bei der Ablehnung des AGG mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) verbündet. Eine andere Diskussionsteilnehmerin begründete die Notwendigkeit des AGG mit dem Hinweis, Gleichstellung sei erst erreicht, wenn sich auch das Vorstandmitglied eines an der Börse notierten DAX-Unternehmens ohne Probleme „outen“ könne. So ganz wohl war dem LSVD-Landessprecher beim ungewohnten öffentlichen Zusammentreffen mit dem kleinen whk wohl nicht. Dem Vernehmen nach hatte Harth im Vorfeld mehrmals telefonisch von den Veranstaltern verlangt, sie sollten auf das whk im Sinne eines „fairen Diskussionsstils“ einwirken. Zudem sollte die Veranstalter dafür sorgen, daß das whk Angriffe auf den LSVD auf offener Bühne unterläßt. „Ralf Harth ist dem whk noch nie persönlich begegnet, aber er muß dabei wirklich ganz schlimme Erfahrungen gemacht haben“, hießt es aus Kreisen des whk.