Mitteilungen des whk
Juli/August 2008
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No-go-Area für Antifaschisten

Am 27. Mai 2008 um 13 Uhr wurde im Berliner Tiergarten der „Nationale Gedenkort für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus“ eingeweiht. Dazu gab die AG Schwulenpolitik des wissenschaftlich-humanitären komitees (whk) am Tag zuvor eine Pressemitteilung heraus, in der sie an die unsägliche Entstehungsgeschichte des „Röhm-Bunkers“ erinnerte und insbesondere die „Täterehrung inklusive“ kritisierte. Hier der komplette Wortlaut:

„Das whk distanziert sich von dem als ‘Nationaler Gedenkort’ initiierten und angelegten Denkmal, denn seine Lage und Entstehung stellen eine Verhöhnung der Opfer des nationalsozialistischen Terrors dar.

Das whk erinnert daran, daß eine Gruppe schwuler Bürgerrechtler im Sommer 1999 erklärte, die vom Bundestag beschlossene Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas diskriminiere ‘drittklassige Opfergruppen’. Diese Mischung aus Dummheit, historischer Unkenntnis und antisemitischem Ressentiment mündete in eine regelrechte Kampagne in den Homo-Medien, die sich antijüdischer rhetorischer Figuren und Stereotypen bediente. Die künstlerische Gestaltung des Denkmals als ‘ausgestoßene Stele’ reflektiert genau diesen gedanklichen Hintergrund.
‘Mit Schweigen übergeht man die offensichtliche Tatsache, daß …die große Mehrheit’ der Homosexuellen ‘genau wie die anderen deutschen Männer und Frauen zu den willigsten Untertanen und Nutznießern des Nazistaates gehörte’, hatte Manfred Herzer schon 1985 im Schwulenblatt Siegessäule den ‘Rosa-Winkel-Mythos’ demontiert. Diese einfache Erkenntnis allein hätte ein Denkmal verhindern müssen, an dem im homosexuellen Opfer in allzu vielen Fällen zugleich der nationalsozialistische Täter geehrt werden wird.

So aber wird man nun am Rande des südöstlichen Großen Tiergartens auch so prominenten Opfern die Ehre erweisen wie dem bis 1945 an exponierter Stelle tätigen Theaterintendanten Hanns Niedecken-Gebhard, der 1936 die Festspiele zur Olympiade und 1937 Berlins 700-Jahrfeier inszenierte. Oder dem Weltrekordläufer Otto Peltzer. Bevor er 1938 wegen §175 nach Plötzensee und später Mauthausen kam, hatte er die Reichswacht redigiert, um ‘die Jugend auf die Bedeutung der Rassenhygiene hinzuweisen’, in seiner Dissertation für ‘die zwangsmäßige Unfruchtbarmachung geistig Minderwertiger und somit Entarteter’ sowie deren ‘Absonderung in Arbeitskolonien’ plädiert und als NSDAP- und SS-Mitglied Reden für das SS-Siedlungsamt gehalten. In der Konsequenz darf sich also niemand beschweren, wenn Neonazis dort nächstes Jahr am 75. Todestag des auf Hitlers Geheiß ermordeten homosexuellen SA-Chefs Ernst Röhm einen Kranzabwurf veranstalten: Dann haben sie verstanden.

Nicht zuletzt folgt die historisch absurde Aufnahme von Lesben in den Homo-Gedenkkanon allein politischem Opportunismus. Wiederum zeigt sich, daß ein solches Gedenken nur anhand der konkreten Biographie, nicht aber kollektiv erfolgen kann. So war Claire Waldoff zur Nazizeit die bekannteste Lesbe im Reich. Sie kam aber 1942 nicht ins Frauen-KZ Ravensbrück, sondern als Mitglied der Reichskulturkammer zur Frontbetreuung der Wehrmacht ins besetzte Paris.

Es erweist sich überdeutlich, daß das politische Ziel dieses Denkmals nicht im Gedenken an homosexuelle NS-Opfer besteht. Sie sind Mittel zum Zweck, eine Opfergruppe als Quasi-Ethnie zu konstituieren, um heutige, oft materielle Interessen von Verbänden und Funktionären ideologisch zu untermauern. Dafür nehmen die Initiatoren um den Lesben- und Schwulenverband und ihre politischen Unterstützer schamlos eine Relativierung des Holocausts durch latente Gleichsetzung mit der Homosexuellenverfolgung in Kauf, die gerade nicht auf totale Vernichtung zielte.

Homosexueller NS-Opfer zu gedenken gäbe es genügend unbedenkliche Alternativen. Gute Beispiele sind die Gedenkstätten in ehemaligen Konzentrationslagern wie auch die 'Aktion Stolpersteine’ des Künstlers Gunter Demnig, bei der ganz konkreter Personen gedacht und an ihren Leidensweg erinnert werden kann. In diesem Rahmen übernahm auch das whk bereits vor Jahren die Patenschaft über den Gedenkstein für ein schwules Nazi-Opfer. Und nicht zuletzt kann man nirgendwo mehr ermordeter Homosexueller gedenken als am Berliner Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Es sei denn, man denkt Homosexuelle als Deutsche und Juden als: Juden.“

Der Inhalt der whk-Presseerklärung fand bei der Einweihung bestürzende Bestätigung. Während es Kulturstaatsminister Neumann (CDU) wagte, in seiner Ansprache pietätlos die Kosten des Denkmals von 600.000 Euro zu erwähnen und seine Errichtung zu einer „Initiative der Betroffenen“ umzulügen, freute sich Albert Eckert von der Initiatiive "Der homosexuellen NS-Opfer gedenken" über die geschichtsfälschende Dreistigkeit des Künstlerduos Elmgren/Dragset: "Sie kaperten (!) gewissermaßen eine Stele aus dem Holocaust-Mahnmal."

Höchst fragwürdig reagierten durchweg die Homo-Medien. Statt auch szeneinterne kritische Stimmen wie die reichlich mit Fakten untersetzte des whk zu zitieren, beschränkten sie sich, wie etwa Queer.de am 30. Mai 2008, darauf, analoge und inhaltlich notwendige Kritikpunkte allein Juden zuzuschieben und riskierte so, antisemitische – und mittelbar antipolnische – Reflexe zu provozieren. Konkret verarbeitete Queer.de eine AFP-Meldung über eine Meinungsäußerung des früheren Institutsleiters der Gedenkstätte Jad Waschem: „’Ich hatte viele Jahre den Eindruck, daß die Deutschen die unglaubliche Reichweite der im Holocaust verübten Verbrechen verstehen, die sie begangen haben’, erklärte Gutman nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP in der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita. ‘Dieses Mal haben sie aber einen Fehler begangen.’ ... ’Die Wahl des Ortes war schlecht. Die Besucher haben den Eindruck, daß es keinen großen Unterschied zwischen dem Leiden der Juden und dem der Homosexuellen gab. Es ist ein Skandal.’ Gutman erklärte, die Nazis hätten nur deutsche Homosexuelle verfolgt, viele von ihnen seien zudem selbst Nationalsozialisten gewesen. Sie seien ‘Opfer von internen Kämpfen innerhalb der NSDAP’ geworden, so Gutman.“

Inhaltlich ähnliche Passagen der whk-Erklärung zitierte ausführlich lediglich das Neue Deutschland vom 28. Mai 2008. Die Tageszeitung verwies dabei allerdings auf einen weiteren Kritiker: „Der Historiker und Politologe Peter Reichel erneuerte indes seine Kritik an der Denkmalpolitik der Bundesrepublik. Deutschland mache es sich zu einfach, indem es sich mit den Opfern des Nationalsozialismus beschäftige und sich nicht mit der Frage nach der Täterschaft auseinandersetze, sagte er im Deutschlandradio."