Mitteilungen des whk
Januar/Februar 2008
Start
Zurück zur Übersicht


 

Ihr könnt uns mal

Für den 22. November 2007 hatte der traditionsreiche Bildungsverein Urania Berlin e.V. einen Vortrag des Stern- und ZDF-Reporters Man-
fred Karremann zum Thema sexuelle Gewalt angekündigt. Das whk ersuchte die Urania am 5. November in einem Offenen Brief, die Veranstaltung aus dem Programm zu streichen. In dem an Geschäftsführer Dr. Ulrich Bleyer adressierten, für Vorstand, Programmbeirat, Wissenschaftlichen Beirat sowie Kuratorium bestimmten Schreiben begründeten das whk Berlin sowie die AG Schwulenpolitik des whk ausführlich ihre akuten Bedenken.

Bereits vom Titel „Pädophilie und Gewalt – wie wir unsere Kinder vor Mißbrauch schützen“ gehe ein verheerendes gesellschaftspolitisches Signal aus, hieß es in dem von Florian Mildenberger unterzeichneten Schreiben an die Urania. „Pädophilie ist wissenschaftlich betrachtet eine sexuelle Orientierung bzw. erotische Präferenz, die sich wie alle sexuellen Orientierungen oder erotischen Präferenzen am individuellen Lustobjekt festmacht. Mit Recht würde darum harsche Kritik ernten, wer einen Vortrag zu ‘Heterosexualität und Gewalt’ hielte, weil eine solche Kontextuierung absurd wäre.“ Die Ausübung von (sexueller) Gewalt basiere per se eben nicht auf irgendeiner Triebrichtung, sondern gehe von einer konkreten Person mit individuellen Eigenschaften aus. Ob diese Person sexuelle Gewalt ausübe und damit Gesetze breche, habe ursächlich so wenig mit ihrem bevorzugten Sexualobjekt oder Sexualpartner zu tun wie Pädophilie mit „Mißbrauch“ von Kindern. Statt einer hysterisierten Situation mit kriminologischen Fakten und wissenschaftlichen Argumentationsweisen zu begegnen, werde schon mit dem Ankündigungstext die allgemeine Angst weiter angeheizt und eine Verschwörung suggeriert und so Stimmung gemacht „gegen eine einzelne Bevölkerungsgruppe“, so das whk in dem vierseitigen Brief. „Dazu mußte diese zuvor allerdings durch Reduktion komplexer Persönlichkeiten auf ganze zwei Einzelmerkmale – nämlich Geschlecht und sexuelle Orientierung – erst definiert werden. Allein aufgrund dieser beiden Merkmale wird dieser Bevölkerungsgruppe eine Gemeingefährlichkeit zugeschrieben und diese im nächsten, einem Fragesatz zur Verschwörung hochstilisiert. Der Frage ‘Wie sind die Pädophilen organisiert?’– worin der Artikel ‘die’ die Gemeinten ent-individualisiert und zum Feindbild zusammenschweißt (vgl. dazu Victor Klemperer: Lingua Tertii Imperii) – folgt unmittelbar die Suggestion einer ihnen angeblich eigenen kriminellen Energie: Von ‘Vertrauen erschleichen’ ist die Rede und von ‘Lebenslügen’.“ Einer solchen Generalisierung und pauschalen Abwertung wohne nach Einschätzung des whk „ein hohes Verhetzungspotential“ inne.

Ferner machte das Komitee darauf aufmerksam, daß Karremanns „investigative“ Recherchen und „ihre in Schrift- und Bildsprache in hohem Maße demagogische Aufbereitung für die von der Skandalisierung lebende Illustrierte Stern nicht nur den ethischen Prinzipien eines seriösen Journalismus widersprechen, sondern auch den Rechtsstaat aushebeln“. Dies habe bereits Anfang 2004 eine Analyse von Reinhard Mokros nachgewiesen, eines Polizeidirektors und Dozenten für künftige Polizeikommissare an der Duisburger Fachhochschule für öffentliche Verwaltung. Die Urania habe die Aufgabe, wissenschaftliche Bildung für alle Bürger zu vermitteln. „An diesem Anspruch gemessen hat die geplante Veranstaltung nichts unter dem Dach der Urania Berlin e.V. zu suchen“, so das whk.

Für die Urania bestätigte am 20. November Fachbereichsleiter Dr. Wilfried Karl den Eingang des Offenen Briefes, um mitzuteilen: „Wir werden Ihrem Ersuchen nicht folgen, die Veranstaltung aus dem Programm zu nehmen. Vielmehr werden wir uns bemühen, einen möglichst störungsfreien Ablauf der Veranstaltung zu gewährleisten.“ Das whk reagierte auf diesen Affront mit einer E-Mail, in der es hieß: „Wenn das whk mit dem Polizeidirektor Reinhard Mokros den seinerzeitigen Vorsitzenden der ältesten Bürgerrechtsorganisation Deutschlands, der Humanistischen Union, zitiert, der in Herrn Karremanns Aktivitäten eine Gefahr für den rechtsstaatlichen Strafprozeß sieht, wenn erfahrene Journalisten der begründeten Meinung sind, daß Herrn Karremanns Artikel über Pädophile gegen den Pressekodex verstoßen, wenn sie sich in diesem Zusammenhang an Elemente aus Victor Klemperers berühmter Analyse der Sprache des Dritten Reiches (LTI) erinnert sehen und von einem hohen Verhetzungspotential die Rede ist: Wäre dann nicht zu erwarten, daß sich eine renommierte Bildungsvereinigung wie die Urania Berlin damit intensiv auseinandersetzt? Und daß sie im Falle dessen, daß sie dennoch an der Veranstaltung und dem derart kritisierten Referenten festhält, dieses Festhalten argumentativ begründet?“ Daß sich die Urania Berlin zu der Mitteilung bemüßigt sehe, sie werde sich „bemühen, einen möglichst störungsfreien Ablauf der Veranstaltung zu gewährleisten“, transportiere eine unglaubliche Unterstellung, die das whk aufs Schärfste zurückweise. „Was immer die Urania Berlin als Störung befürchtet, erwartet oder empfindet – seien es sachlicher Widerspruch, Beifall, Zwischenrufe oder eine Saalschlacht –, ob sie präventiv einen Moderator einsetzt oder einen Saalschutz aufbietet: All das hat mit dem Offenen Brief des whk nichts zu tun.“ Demokratie beginne beim respektvollen Umgang mit Menschen, auch und gerade, wenn sie eine gegenteilige Meinung vertreten. „Das whk verlieh der Hoffnung Ausdruck, daß diese Email „nicht die letzte Antwort auf den Offenen Brief des whk war und nicht die generelle Attitüde der Urania Berlin e.V. gegenüber wem auch immer repräsentiert“. Bis Redaktionsschluß blieb diese Hoffnung unbestätigt.

Datenskandal in Rosa

Die gut vor der medialen Öffentlichkeit verborgene Weitergabe personenbezogener Daten Eingetragener Lebenspartner enthüllte das whk am 18. November in einer Presseerklärung.

Das whk hatte erfahren, daß viele Lebenspartner/innen in einem Schreiben des Staatsinstituts für Familienforschung an der Universität Bamberg (ifb) an ihre Wohnadressen um Teilnahme an einer Studie für das Bundesjustizministerium gebeten wurden, um zu „klären, inwieweit die rechtliche Situation dieser Lebensgemeinschaften und Familien veränderungsbedürftig ist“. Vor derlei warnte das whk schon am 10. November 2000, dem Tag der Verabschiedung des Lebenspartnerschaftsgesetzes (LPartG): Die Homo-Eheschließung komme „nicht nur einem erzwungenen Coming-out gleich, sondern setzt die Partner der akuten Gefahr der Totalerfassung ihres Privat- und Intimlebens aus ... Das LPartG trägt sämtliche Merkmale einer offiziellen ‘Rosa Liste’ und ist in seinen Folgen unabsehbar für die Betroffenen.“ Nun habe das ifb „die Meldebehörden in Deutschland gebeten“, ihm „die Anschriften von Personen mit Familienstand ‘Eingetragenen Lebenspartnerschaft’ zu übermitteln“.

Außer der das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Lebenspartner mißachtenden Rekrutierung – siehe dazu den Schwerpunkt dieser Gigi-Ausgabe – bezweifelte das whk auch die offizielle Begründung der Studie. „Nirgendwo weiß man schließlich besser als im Bundesministerium der Justiz, welche Benachteiligungen das SPD-geführte BMJ seinerzeit in seine Sondergesetzentwürfe schrieb, die dann vom Gesetzgeber als Lebenspartnerschafts- und Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetz verabschiedet wurden“ und wie diese „familien- und steuerpolitisch im Alltag wirksam werden, weil ihre Wirkung genau so politisch gewollt war: als legislativer Ausweis der Minderwertigkeit homosexueller Lebensformen und Abstrafung für nonkonforme Sexualität. Diese Diskriminierung per Gesetz machte eine Reihe von juristischen Ratgebern für Betroffene notwendig, um Benachteiligungen möglichst auszuweichen oder deren Folgen zu mildern. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages würde womöglich einen Tag oder zwei benötigen, daraus die konkreten Alltagsdiskriminierungen zu rekonstruieren und in für die Bundesregierung verständlicher Form aufzulisten. Man hätte auch die stets diensteifrigen staats- und parteinahen Homoverbände fragen oder einfach ihren Klageliedern aufmerksam lauschen können. Eine vorgezogene Homo-Volkszählung unter Ausschluß der Öffentlichkeit und auf Basis von Meldedaten ist dazu nicht notwendig.“

Vor diesem Hintergrund riet das whk den wahrscheinlich Tausenden Empfängern des Schreibens dringend davon ab, dem ifb oder sonst einer interessierten Behörde irgendwelche Auskünfte zu ihrer Privatsphäre zu geben und erst recht nicht auf telefonische Anfragen oder Interviewwünsche zu reagieren. Vielmehr sollten sie schriftlich bei ihrer zuständigen Meldebehörde sowie bei den Landesbeauftragten für Datenschutz gegen die unerlaubte Weitergabe von Informationen über ihre sexuelle Orientierung und Art ihrer Partnerschaft an Dritte protestieren. Darüber hinaus rät das whk den Betroffenen, umgehend eine Melderegistersperre nach dem im jeweiligen Bundesland gültigen Meldegesetz zu beantragen.

Letzte Chance für Positive

Auf eine „letzte Chance für positive Arbeitslose“ wies das whk mit einer Pressemitteilung vom 28. November hin und erinnerte damit im Vorfeld des Welt-AIDS-Tages am 1. Dezember an die für Menschen mit HIV und AIDS oft prekäre Situation infolge der unter Rot-Grün mit der sogenannten Agenda 2010 eingeleiteten und unter Schwarz-Rot weiter verschärften Sozialreformen. „Wer als sozial schwach gilt, bis zum 31. Dezember 2007 das 58. Lebensjahr vollendet und bereits Arbeitslosengeld II nach dem sogenannten Hartz IV-Gesetz bezieht, sollte noch vor Ablauf des Jahres die sogenannte 58er-Regelung unterschreiben. Dies gilt ganz besonders für chronisch Kranke, darunter Menschen mit HIV und AIDS.“

Die 58er-Regelung in Anspruch zu nehmen bedeute, daß man von Amts wegen nicht mehr dazu verpflichtet werden kann, alles zu unternehmen, um sein Einkommen zu verbessern, also ausufernd teure, für gewöhnlich aussichtslose Bewerbungen zu schreiben, Ein-Euro-Jobs anzunehmen etc. Wer die 58er-Regelung wahrnehme, bekomme überdies nicht nur drei Wochen Erholungsurlaub von der zuständigen Arbeitsagentur zugebilligt, sondern mehr als zehn Wochen. Einzige erforderliche „Gegenleistung“ sei die frühestmögliche Beantragung einer dann aber abschlagsfreien Rente. Wer ab dem 1. Januar 2008 das 58. Lebensjahr vollende und ALG II beantrage, müsse dagegen später Rentenabschläge bis zu 18 Prozent in Kauf zu nehmen, und zwar lebenslang. „Vermutlich wird davon nicht die Masse von HIV-Positiven betroffen sein, aber wer jemanden kennt, der daraus Nutzen ziehen könnte, möge ihn bitte unbedingt über den drohenden Ausschluß informieren“, so das whk.
Von den wichtigsten Print- und Online-Medien der Hauptbetroffenengruppe wurde die Pressemitteilung in tief empfundener Solidarität: ignoriert.

Paulskirche: Rede des whk Hessen

Mit Blick auf die fortschreitende Tendenz, Menschen mit HIV und AIDS ein Mehr an Verantwortung zuzuschreiben als Nicht-Infizierten und ihr Sexualverhalten besonders sanktionieren zu wollen, hielt das Mitglied der whk-Regionalgruppe Hessen Ortwin Passon bei der zentralen Veranstaltung zum Welt-AIDS-Tag am 1. Dezember in der Frankfurter Paulskirche einen Vortrag. Unter dem Titel „In der Tradition Wilhelm Leuschners – Die HIV-Hauptbetroffenengruppe homo- und bisexueller Männer zwischen Bareback-Diskurs und Feindstrafrechtsdebatte in Deutschland“ setzte sich der Referent mit aktuellen Tendenzen in Politik und Gesetzgebung zur Ausgrenzung HIV-Positiver sowie der Relativierung der AIDS-Krise im Spannungsfeld von sozial- und sexualpolitischem Rollback und Verharmlosung von Strafrechtsreformen auseinander. Gefallen lassen mußte sich dies vor allem die lokale Elite, darunter Stefan Majer (Grüne Frankfurt), Michael Paris (SPD Frankfurt) und Sonja Stark (Leiterin des Frankfurter Gesundheitsamts). Dem sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten Gregor Amann dürfte besonders Passons Vergleich seiner kürzlich erhöhten Bezüge mit den Almosen für Menschen mit HIV erfreut haben.

Die in diesem Heft vollständig dokumentierte Rede wurde sowohl auf der Website der AIDS-Hilfe Frankfurt als auch auf dem Politikportal „über Homosexualitäten, Viren und andere Absonderlichkeiten in Berlin, Köln, Hamburg und unterwegs“ ondamaris.de veröffentlicht. Nachträglich dankte Michael Bohl namens der Frankfurter AIDS-Hilfe schriftlich dem Referenten: „Wir kriegen mittlerweile doch einige Breitseiten, insbesondere wegen Deiner Rede, aber fühlen uns in der Wichtigkeit und Richtigkeit der Auseinandersetzung dadurch nur bestätigt.“

Zirkus, Zirkus

Im Juli 2001 veröffentlichte die whk-Zeitschrift Gigi im Rahmen ihres Schwerpunkthefts „Die Kriminalpolizei rät: Klappe zu!“ einen Beitrag Ortwin Passons. Unter dem Titel „Hetzen im Dienst ist okay“ kommentierte er anhand von Verfahrensdokumenten einen Rechtsstreit aus dem Jahr 1998, in dem es um die Verächtlichmachung Homosexueller durch den Kriminalhauptkommissar und Dozenten der Berliner Landespolizeischule Wolfgang Zirk ging. Das Gericht erklärte die Gruppe der Homosexuellen allerdings für nicht beleidigungsfähig und sprach den wegen Volksverhetzung verklagten Zirk frei.

Der Gigi-Beitrag blieb jedoch nicht ohne Folgen für seinen Autor, den Zirk am 20. August 2001 wegen Beleidigung, Verleumdung und übler Nachrede anzeigte. Die Staatsanwaltschaft sah keine verfolgbare Straftat in dem Artikel und stellte das Ermittlungsverfahren am 26. November 2001 ein.

Sechs Jahre später, im Juni 2007, machte der Anwalt des mittlerweile pensionierten Kriminalhauptkommissars unerwartet Unterlassungsansprüche gegen den Förderverein des whk e.V. in seiner Eigenschaft als Betreiber der Internetseite whk.de geltend. Dort werden in der Rubrik „Sex & Crime“/„Zirk vs. Passon“ eine Erwiderung von Passons Anwalt auf Zirks seinerzeitige Anzeige und als Hintergrund der zugrundeliegende Gigi-Artikel dokumentiert. Als der Förderverein nicht einwilligte, beide Unterseiten komplett von der Homepage zu löschen, verklagte Zirk den Förderverein, wie dieser erst Anfang Dezember durch eine Ladung des Landgerichts Berlin erfuhr, auf Unterlassung und Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 5000 Euro. Darüber soll im Februar 2008 verhandelt werden.

Der Förderverein des whk hat bei der Homosexuellen Selbsthilfe e.V. Rechtskostenhilfe beantragt.