Mitteilungen des whk
Juli/August 2007
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Absolut daneben

Am Nachmittag des 18. Juni fand in Berlin eine Anhörung von Experten durch den Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages betreffend den Koalitionsentwurf zur Umsetzung des „Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie“ statt. Deren Verlauf und Ergebnis kommentierte das wissenschaftlich-humanitäre komitee (whk) am selben Tag in einer ausführlichen Pressemitteilung. Darin hieß es:

„So bizarr wie der Koalitionsvertrag, in dem Sexualität nur im Zusammenhang mit Kriminalität auftaucht, so bizarr stellt sich das gesamte Gesetzgebungsverfahren in dieser Sache dar. Fast schon typisch ist die Abkoppelung von den einschlägigen Fachwissenschaften. Daß bei einem derart wichtigen Gegenstand die Sexualforschung nicht einmal gehört wird, kann weder Versäumnis noch Zufall sein. Vielmehr zeigt es, daß der Regierung klar ist, daß eine solche Verschärfung auf wissenschaftlicher Basis nicht legitimierbar ist.

Nach der seinerzeit einhelligen Ablehnung des 2003 verabschiedeten EU-Rahmenbeschlusses durch führende Vertreter und Gesellschafen der Sexualwissenschaft im deutschsprachigen Raum übt nun jedoch auch die Rechtswissenschaft harsche Kritik. Diese gilt konkret der durch die Bundesregierung geplanten Zwei-zu-Eins-Umsetzung des Beschlusses in nationales Recht.

Deutlich wurde hier ein Paradigmenwechsel mit drastischen Auswirkungen. Es werden nicht mehr nur bestehende Gesetze verschärft, sondern neue Tatbestände und Formen devianter Sexualität erfunden mit dem alleinigen Zweck, sie verfolgen und bestrafen zu können.“ Mit der Erfindung einer „Jugendpornographie“ werde „das Kabinett Merkel zweifellos in die Rechtsgeschichte eingehen“, so das whk.

Es forderte im weiteren „die Bundesregierung auf, ihren Gesetzentwurf zurückzuziehen und andernfalls von den Abgeordneten des Bundestages, ihn abzulehnen. Ausgehend von einem repressiven Verständnis menschlicher Sexualitäten bedroht er wie der EU-Rahmenbeschluß aus bürgerrechtlicher Sicht die Rechtssicherheit der angeblich zu Schützenden sowie aus menschenrechtlicher Perspektive die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Ohne Not greift das Kabinett die Freiheit von Kunst, Wissenschaft und Information an, bleibt jedoch den Nachweis schuldig, daß verschärfte Kriminalisierung und Überwachung irgendeinen relevanten Schutz zur Folge haben. Zur Prävention von sogenanntem Mißbrauch und Gewalt, egal gegen Menschen welchen Alters sie sich richten, hat sich das Strafrecht noch stets als kontraproduktiv erwiesen.“

(Siehe hierzu den unter „Hysterie repeating“ in Gigi Nr.15 dokumentierten Brief der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung an EU-Kommissionspräsident Prodi vom August 2001 sowie den Beitrag „Drei Jahre Knast wegen künstlich erstellter Kinder“ in Gigi Nr.23.)

Ganz schön daneben

Binnen acht Monaten verlor die Homosexuelle Selbsthilfe (HS e.V.) ihre sämtlichen Mitstreiter aus den Reihen des whk. Nach dem Tod des whk-Fördermitglieds Andreas Meyer-Hanno am 7. September 2006 strich der HS-Vorstand Mitte Mai Eike Stedefeldt (whk Berlin, Redaktion Gigi) von der Vereinsliste. Dieser hatte seine Mitgliedschaft bis zur Klärung des HS-Selbstverständnisses sowie der Auskunfts- und Mitwirkungsrechte der Mitglieder gegenüber dem Vorstand für ruhend erklärt und seine Beiträge zurückgehalten. Nach dem Grundsatz „Gleiches Recht für alle“ baten daraufhin am 9. Juni Wolfram Setz (Hamburg), Herbert Rusche (Frankfurt am Main) sowie Ortwin Passon (Berlin) gemeinsam den HS-Vorstand, ebenfalls „umgehend von der Mitgliederliste gestrichen zu werden“ und erklärten hilfsweise „mit sofortiger Wirkung“ ihren Austritt. Sie teilten „das von Eike Stedefeldt formulierte Anliegen und haben, wie den meisten Mitgliedern des Vorstands bekannt ist, in früheren Jahren ihrerseits versucht, auf Mitgliederversammlungen eine solche Diskussion in Gang zu bringen“.

Stedefeldt reagierte auf seinen kalten Ausschluß am 12. Juni 2007 mit einem Brief im Namen der Gigi-Redaktion: „Geehrter Vorstand, mit Schreiben vom 28. April erhielt ich für die Redaktion der Zeitschrift Gigi die Zusage über eine Fördersumme von 400,00 Euro. Wie üblich stand unter dem Schreiben als P.S. eine einladende Werbung, ‘Mitglied der H. S.’ zu werden.

Mit Schreiben vom 16. Mai 2007 wurde mir als langjährigem Mitglied der ‘Homosexuellen Selbsthilfe e.V.’ mitgeteilt, ich sei ‘gemäß §4 Absatz 4’ (gemeint ist wohl die Satzung der ‘Homosexuellen Selbsthilfe e.V.’) ‘von der Mitgliederliste’ gestrichen. Zugleich wurde mir mitgeteilt, daß der Vorstand sich nicht in der Lage gesehen habe, mein schriftlich ausführlich unterbreitetes Anliegen in die Mitgliederversammlung zu tragen, weil die Anregung nicht formgerecht als ‘Antrag’ bezeichnet worden sei.

Die Redaktion der Gigi hat versucht, hinter diesen gegenläufigen Entscheidungen eine höhere Weisheit zu erkennen. Da ihr dies nicht gelungen ist, bleibt der Eindruck, daß die ‘Homosexuelle Selbsthilfe e.V.’ zumindest unter dem derzeit amtierenden Vorstand ein Verein ist, der keine Diskussion über sein Selbstverständnis wünscht und sich kritischer Mitglieder gerne entledigt. Unter diesen Umständen ist die Redaktion der Gigi zu dem Schluß gekommen, für ihren Antrag mit der ‘Homosexuellen Selbsthilfe e.V.’ offensichtlich einen ungeeigneten Adressaten gewählt zu haben, und zieht den Antrag hiermit zurück.“

Der besagte Förderantrag hatte neue Layoutsoftware für Gigi zum Gegenstand.

Nur knapp daneben

Eine Presseinformation der Nürnberger Medienakademie e.V. teilte am 11. Mai 2007 mit: „Bereits zum achten Mal wird am Freitag abend in Nürnberg der Alternative Medienpreis verliehen. Über 50 Zeitungen, Zeitschriften und journalistische Beiträge aus Deutschland, Österreich und der Schweiz und mehr als 40 Websites aus dem Internet wurden zum Wettbewerb um den Alternativen Medienpreis 2007 eingereicht.“

Die Nominierungsliste vermerkte an zweiter Stelle „Redaktion Gigi: Gigi. Schwul-lesbisches Magazin (Print plus Online)“. Zwar schrammte das whk-Magazin an der Ehrung vorbei – „Die drei Preisträger in der Sparte Presse sind: 1. Transit, ein Projekt von Testimon, 2. Der Rote Reporter, 3. Venceremos. Die andere Globalisierung“ –, doch war schon die Nominierung eine angenehme Überraschung. Merkwürdig war nur, daß die Nominierten vom Veranstalter nicht direkt über ihre Nominierung oder die Entscheidung der Jury informiert wurden. Den eingereichten Medien ging offenbar weder eine Pressemitteilung noch Einladung zur Verleihung zu, weshalb Gigi und whk davon erst mit dreiwöchiger Verspätung zufällig Kenntnis erlangten.

Ausgeschrieben wird der Alternative Medienpreis seit 1999 von der gemeinnützigen Nünberger Medienakademie, einem bundesweit tätigen Bildungsträger im Medienbereich, sowie dem alternativen Nürnberger Radio Z für „alle, die journalistisch tätig sind in nichtkommerziellen Medien, Medien, die sich aus den neuen sozialen Bewegungen entwickelt haben und die mit ihrer Arbeit einen emanzipatorischen Beitrag leisten“. Vergeben wird er jeweils in den Sparten Print-, Online- sowie Rundfunk-Journalismus.