Mitteilungen des whk März/April 2006
Servicepoint Sippenhaft (1)
Einen Aufruf des Berliner Szeneblatts Siegessäule gegen die Abschiebung zweier Jugendlicher unterstützten im Januar auch whk-Aktivisten. In dem Aufruf Junior und Yanga müssen bleiben! fordern die Unterzeichner aus der Homoszene Berlins Innensenator Erhart Körting (SPD) auf, den Empfehlungen der Härtefallkomission zu folgen und den 15jährigen Schüler Junior Sone-Engang und seine 18jährige Schwester Yanga Ayuk nicht nach Kamerun abzuschieben. Die beiden müssen dauerhaft in Deutschland bleiben dürfen! Junior hat Ende letzten Jahres sein Coming-out als Schwuler gehabt. Das ist für fast jeden 15-Jährigen ein sehr schwieriger Schritt, der das ganze Leben auf den Kopf stellt. Junior ist glücklich, es geschafft zu haben. In Kamerun, wo Homosexualität illegal ist, hat er keine Aussichten auf ein glückliches Leben als schwuler Mann. Vielmehr wäre er durch drohende Gefängnisstrafen und homophobe Gewalt massiv in Gefahr. Junior und Yanga genießen bei ihren Lehrern, Sozialarbeitern und Mitschülern große Sympathie und Anerkennung. Sie stehen nicht im geringsten im Verdacht, mit den Drogendelikten ihrer Mutter irgendetwas zu tun zu haben. Ganz im Gegenteil: Beide sind ein Musterbeispiel für gelungene Integration ... Durch eine Abschiebung bringen Sie unschuldige junge Menschen in große Gefahr und nehmen ihnen alles, was sie sich aufgebaut haben.
Als Eike Stedefeldt (whk Berlin) seinen Namen unter den Brief setzen ließ, bat er indes umsonst , nehmt bitte dieses unsägliche Wort unschuldige vor junge Menschen heraus; Abschiebung ist unabhängig von Schuld oder Unschuld immer eine unmenschliche politische Tat. Wir Deutschen neigen offenbar dazu, grundlegende (Menschen-) Rechte stets nach solchen Kriterien zu erteilen oder eben zu verweigern. Tun wir das, sind wir aber kein Deut besser als der Herr Abschiebesenator, den wir als Juristen vielleicht eher an das schöne deutsche Wort Sippenhaft erinnern sollten, wenn wir ihm schon nicht das Wort Rassismus zumuten.
Die Unterzeichner des unter www.siegessaeule.de/junior-aufruf.shtml dokumentierten Aufrufs bitten um Geldspenden zur Unterstützung von Junior und Yanga. Kontakt: junior@siegessaeule.de
Servicepoint Sippenhaft (2)
Die Einhaltung der rechtsstaatlichen Mindeststandards in einem Verfahren gegen junge Antifaschisten forderten im vergangenen Herbst über 340 politische Aktivisten, Bundestagspolitiker, Journalisten, Antifa- und Homogruppen unter ihnen das Portal etuxx, das whk und zahlreiche Szene-Aktivisten vom Oberlandesgericht Naumburg. Genutzt hat es wenig: Am 27. November 2005 wurde in einem Revisionsprozeß der Antifaschist Daniel W. zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Das Verfahren hatte bundesweit unter anderem für Aufsehen gesorgt, weil BKA-Beamte einen Zeugen mit der Drohung, seine Homosexualität dessen Familie bekannt zu machen, zu einer Aussage genötigt hatten (vgl. Option Outing, Gigi Nr. 40, S. 25). Die Soligruppe Magdeburg, die den Prozeß politisch begleitet und unter www.soligruppe.de ausführlich dokumentiert hatte, fürchtet nun weitere Ermittlungen gegen Linke. Mit der Verurteilung sei ein Präzedenzfall geschaffen worden, der es ermögliche, auch andere linke Strukturen zu kriminalisieren. Das Gericht habe es ohne hinreichende Beweise als erwiesen angesehen, daß sich aus dem Autonomen Zusammenschluß Magdeburg heraus eine terroristische Vereinigung entwickelt habe. Nach dieser Logik können zukünftig alle vermeintlichen Mitglieder einer politischen Gruppierung wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach dem berüchtigten, vornehmlich gegen Linke angewandten §129a StGB verurteilt werden, ohne daß ihnen eine bestimmte Tat konkret nachgewiesen werden muß. Zur Begleichung der hohen Prozeßkosten bat die Soligruppe um Spenden (Stadtsparkasse Magdeburg Konto Nr. 37151949, BLZ: 81053272, Stichwort: Soligruppe). Unterdessen erteilte der Deutsche Presserat der Bild-Zeitung eine Rüge wegen unsauberer Berichterstattung über den Prozeß. Am 30. November hatte Bild anläßlich der Urteilsverkündung zwei Beschuldigte unzulässig als Terroristen bezeichnet und nach Ansicht des Presserats zudem deren Persönlichkeitsrechte verletzt.
Servicepoint Sippenhaft (3)
Die am 8. Januar 2006 durch eine Pressemitteilung des whk publik gemachte skandalöse Milde des Deutschen Presserats für den Bild-Bericht Hier werden zwei Kinderschänder gehenkt (vgl. Dokumentation in Gigi Nr. 42, Seite 16) kommentierte zwei Tage nach dem whk das Bild-kritische Internetportal bildblog.de: Der Presserat hat eine Mißbilligung gegen die Bild-Zeitung ausgesprochen, weil sie im vergangenen Juli ein Foto zeigte, auf dem zwei junge Männer zu sehen sind, während sie gehenkt werden. Nach Ansicht des Presserates war die Veröffentlichung unangemessen sensationell. Nichts zu beanstanden hatte der Presserat daran, daß Bild behauptete, hier würden zwei Kinderschänder hingerichtet ... In ihrer Rechtfertigung vor dem Presserat berief sich die Bild-Zeitung darauf, daß die Kinderschänder-Version, die der iranischen Propaganda entspricht, von der französischen Nachrichtenagentur AFP verbreitet worden sei. Aus dieser Meldung sei auch nicht hervorgegangen, daß es sich bei den Hingerichteten um Minderjährige gehandelt habe. Der Presserat meint, eine Zeitung müsse die Meldung einer Nachrichtenagentur nicht mehr nachrecherchieren. Und der Axel-Springer-Konzern findet das auch. Allerdings gab das Justitiariat des Verlages in dem Verfahren an, daß sich Bild ganz besonders viel Mühe gegeben habe. Die Behauptung von Springer, der zuständige Redakteur habe sich bemüht, über den Agenturserver weitere Informationen zu diesem Fall zu erhalten, es habe jedoch keine einzige weitere Agenturmeldung gegeben, ist laut bildblog.de schwer zu glauben; es habe an jenem Tag eine weitere Agenturmeldung über den Fall gegeben, die die Katholische Nachrichtenagentur KNA am fraglichen 26. Juli 2005 um 14.45 Uhr verbreitete. Die Bild-Zeitung ist Kunde der KNA und hätte also im voraus wissen können, daß ihre Veröffentlichung problematisch ist (vgl. www.bildblog.de/?p=699 sowie die Pressemitteilung des whk vom 8. Januar 2006).
Elektronische Post erhielt das liebe whk dazu von einem Carsten Steckel: Eure Kritik an der Bild-Zeitung und der Presseratskammer mag ja streckenweise nicht vollständig ungerechtfertigt sein, allerdings wundere ich mich, daß auch Ihr anscheinend ohne unsachliche Diffamierungen nicht auszukommen scheint. So ist es meines Erachtens ein Unding, eine etablierte Tageszeitung als Lügenblatt zu bezeichnen. Auch die Tatsache, daß Ihr selbst in Eurer Kritik den Begriff des anständigen Menschen gebraucht, der ja sehr gerne von den Nazis verwendet wurde, läßt mich an der Sinnhaftigkeit Eures Tuns zweifeln. Meines Erachtens ist es unter anderem Euer linker Fanatismus, der dazu beiträgt, in der Öffentlichkeit Abneigung gegen uns Homosexuelle zu schüren. Damit leistet Ihr der bisher größtenteils erfolgreich verlaufenen homosexuellen Emanzipation in unserem Lande einen Bärendienst. Leider nehmen viel zu wenig anständige Homosexuelle Stellung zu Euren Schriften. Ich kann nur für mich und meinen Bekanntenkreis sprechen, wenn ich sage, daß Euch viele Menschen nicht ernst nehmen. Und das ist auch gut so!
Servicepoint Sippenhaft (4)
Ohne jegliche öffentliche Resonanz blieb eine Pressemitteilung, in der das whk am 18. Januar unter der Überschrift Hauptsache, die Tochter ist pervers die Verleihung der Kompaßnadel des Schwulen Netzwerks NRW an SPD-Bundessozialminister Franz Müntefering wegen lesbischer Tochter (whk) kritisierte. Was wäre, so das whk, der dröge Sauerländer ohne seine charismatische Tochter? Die Antwort darauf lieferte das aus Landesmitteln geförderte Schwule Netzwerk in der Begründung für den bevorzugt an heterosexuelle Bundestagspolitiker vergebenen Preis: Vielleicht ist dem Vizekanzler gar nicht bewußt, wie sehr er mit seinem selbstverständlichen Bekenntnis zu seiner Tochter als Person des öffentlichen Lebens andere Eltern ermutigt, sich offen zu ihren lesbischen Töchtern und schwulen Söhnen zu bekennen und familiäre Beziehungsabbrüche zu verhindern, so der Verband. Das Netzwerk schließt deswegen ausdrücklich auch Münteferings Auftreten als Familienvater (! whk) mit in die Ehrung ein. Daß es Müntefering explizit für die Zeugung einer lesbischen Tochter ehrt, stellt nach Ansicht des whk eine neue Dimension im wuchernden devoten Auszeichnungswesen der lesbisch-schwulen Szene dar, die wie vor hundert Jahren noch jedem ins Rektum kriecht, der Homosexuelle nicht gleich totschlägt. Dem Netzwerk sei offenbar etwas aus dem Blick geraten, wohin die politische Kompaßnadel des Geehrten weist. Unbestreitbar hat Franz Müntefering als SPD-Generalsekretär und Parteivorsitzender jene kaltschnäuzige Zerschlagung des Gesundheits- und Sozialsystems der im Herbst 2005 nicht zuletzt deshalb abgewählten rot-grünen Bundesregierung mitzuverantworten, von der AIDS-Kranke und HIV-Infizierte ebenso dramatisch betroffen sind wie Homosexuelle ohne festen Job und Ausbildungsplatz. (vgl. www.whk.de/whk0206.htm sowie das Editorial in Gigi Nr. 42)
Servicepoint Sippenhaft (5)
Erschreckende Symptome von Inkontinenz bewirkte beim Chefredakteur des traditionsreichen, auf Lifestyle und Jugendkult getrimmten Schwulenmagazins Du & Ich, Dirk Ludigs, am 5. Februar die Solidarisierung des whk mit der Resolution des 112. Bundespositiventreffens, in welcher es unter anderem die Berichterstattung der Schwulenpresse über Bareback-Sex kritisierte. Sachlich ahnungslos, ließ Ludigs, der sich zuvor schon an der massenmedialen Verunglimpfung Positiver beteiligte (vgl. Sünden? Böcke?, Gigi 41, S. 23, sowie www.whk.de/whk0506.htm.), das whk am gleichen Tag per Email wissen: Bei dieser PM kann ich doch mein Wasser nicht länger halten. Schlimm sei die Bejubelung der unsäglichsten Mitteilung, die vom Bundespositiventreffen in langer Zeit kam, als brillantes Papier durch das whk. Das zieht mir echt die Schuhe aus! ... Ich bin nur froh, daß die Bundespositivenversammlung so wenig für alle Positiven spricht, wie der ADAC für alle Autofahrer. Zu einem promisken Lebensstil gehört der aktive Schutz vor Geschlechtskrankheiten. Punkt. Daß man sich innerhalb dieser zunehmend realitätsresistenten Szene über solche Selbstverständlichkeiten nicht mehr einig werden kann, ist im 25. Jahr von AIDS ein Trauerspiel, da waren wir alle vor 20 Jahren schon weiter. Mit solchen PMs wie dieser würdet ihr euch endgültig ins gesellschaftliche Abseits torpedieren, wenn ihr da nicht zu Recht! schon länger wärt ... Was wir ... brauchen, ist eine Rückkehr von Teilen der schwulen und positiven Szene in den normativen Konsens der Zivilgesellschaft (Hä? whk). Wer eine Kultur des Barebacking zuläßt es geht hier doch nicht um das individuelle Verhalten einzelner Personen in einer bestimmten Situation, das immer von anderen als rein rationalen Entscheidungen geprägt wird, sondern um ein Kulturphänomen! , der hat sich aus diesem Konsens verabschiedet und darf sich nicht wundern, wenn er angegriffen wird. Daraus Diskriminierung abzuleiten ist ideologischer Hirnriß, an dem in Schwulenkreisen allerdings offensichtlich kein Mangel herrscht. Viel Spaß im linksradikalen Schmolleckchen auch weiterhin!, so Ludigs. Nur das whk hat die von allen (!) Homomedien unterschlagene Resolution des Bundespositiventreffens öffentlich zugänglich gemacht (Dokumentation auch in Gigi Nr. 42, S. 42).
Servicepoint Sippenhaft (6)
In noch drei weiteren Pressemitteilungen nahm das whk zu aktuellen politischen Fragen Stellung. Am 20. Januar rügte das Komitee die zustimmende Haltung des Lesben- und Schwulenverbands LSVD und insbesondere dessen rechtslastigen Berliner Ablegers zum sogenannten Moslem-Fragebogen: Homopolitiker Beck gegen, LSVD für Gesinnungsschnüffelei (vgl. www.whk.de/whk0306.htm). Am Folgetag kommentierte das whk den Rauswurf des Leiters des Berliner LSVD-Migrantenprojekts MILES, Dr. Ben Khumalo-Seegelken (www.whk.de/whk0406.htm). Am 20. Februar machte das whk auf das spurlose Verschwinden der Internet-Protestkampagne www.stop-rosa-listen.de aufmerksam: Brisant ist das Abtauchen der Kampagne deshalb, weil mit ihr auch etwa 1.900 Adreßdaten von vermutlich überwiegend homosexuellen Unterzeichnern des Aufrufs gegen die Rosa Listen verschwunden sind. Das whk kündigte an, den Datenschutz in den Fall einzuschalten. Wer Unterschriften gegen Rosa Listen sammelt, darf sich nicht selber mit solchen Listen davonmachen, so das whk. (vgl. www.whk.de/whk0606.htm sowie Kennt jemand aus Köln das whk? in den Mitteilungen des whk Nr. 39)