Mitteilungen des whk Januar/Februar 2006
Lustmord & Sündenböcke (1)
Zum Welt-AIDS-Tag meldete sich das wissenschaftlich-humanitäre komitee (whk) am 1. Dezember zu Wort. Angesichts zunehmender HIV-Infektionen vor allem bei schwulen und bisexuellen Männern forderte das Komitee die langfristige finanzielle Absicherung der Präventionsarbeit durch die Bundesregierung. Als nicht hinnehmbar bezeichnete das whk derzeitige Versuche von Medien, Homosexuelle unreflektiert zu Sündenböcken einer durch jahrelange finanzielle Einsparungen kaum noch wahrnehmbaren Präventionspolitik zu stilisieren. Es sei besorgniserregend, daß Homosexuelle als Hauptbetroffenengruppe anders als in den achtziger Jahren nicht in Boulevardmagazinen wie Der Spiegel oder Revolverblättern wie BILD am Pranger stünden, sondern ausgerechnet im staatlich kontrollierten öffentlich-rechtlichen Fernsehen. So habe das ARD-Politmagazin Kontraste am 20. Oktober 2005 der Schwulenszene eine neue Sorglosigkeit in Sachen AIDS unterstellt und behauptet, Schwule setzten sich ganz bewußt der Ansteckungsgefahr aus, da Sex ohne Kondom (Barebacking) ihnen angeblich einen ganz besonderen Kick gebe. Derlei kollektiv verurteilende Darstellung sei nach Ansicht des whk eine Unverschämtheit, da die Schwulenszene damit in ihrer Gesamtheit in den Kontext sadistischen Lustmords gerückt werde. So habe es in dem ARD-Beitrag geheißen, in der Homoszene werde der eigene Tod und der der Freunde (!) geradezu lustvoll in Kauf genommen. Das Komitee verwahrte sich gegen alle Versuche, von HIV und AIDS Betroffene zu Mördern mit niederen Motiven zu machen. Anstatt zu suggerieren, Schwule nähmen aus sexuellem Lustgewinn sogar den Tod ihrer Freunde in Kauf, täte das öffentlich-rechtliche Fernsehen gut daran, öfter mal einen Aufklärungspot der AIDS-Hilfen vor seine Politikmagazine zu schalten, so das whk. Damit ließe sich mehr Unheil verhüten, als Berichte wie der von Kontraste anrichteten. Das Komitee forderte die Fernsehanstalten auf, umgehend zur Praxis der kostenlosen Ausstrahlung von Präventionsspots zurückzukehren mit denen in den 90er Jahren etwa 90 Prozent der Bevölkerung erreicht worden wären. Den Massenmedien käme eine große Verantwortung bei der flächendeckenden Verbreitung gesundheitspolitischer Botschaften zu. Vorbehaltlos schloß sich das whk der Resolution des NRW-Positiventreffens vom 10. November an, die von den Medien eine seriöse Recherche und Darstellung anstelle ausgrenzender Schuldzuweisungen, verzerrender Zahlenspiele und klischeebehafteter Bilder fordert (vgl. den Beitrag Sünden? Böcke? auf Seite 22 in diesem Heft). Außerordentlich kritisch beurteilte das whk hingegen eine Pressemitteilung der CDU-Homogruppe Lesben und Schwule in der Union (LSU) zum Welt-AIDS-Tag, worin es heißt, Deutschland verfüge über ein gut ausgebautes HIV-und AIDS-Hilfe-System, in welches man nicht unbedingt mehr Geld hineinpumpen müsse. Angesichts der jahrelangen Streichorgien in der AIDS-Prävention und der Selbstkostenbeteiligung im Gesundheitswesen seien die kenntnisfreien Verlautbarungen der LSU ein Schlag ins Gesicht aller von HIV und AIDS Betroffenen, kommentierte das whk. Auch die ausländerfeindliche LSU-Sicht auf die aus afrikanischen HIV-Hochrisikogebieten stammenden und in Deutschland lebenden Migranten sei kontraproduktiv. Nicht geographische Koordinaten sind bei der Prävention entscheidend, sondern der politische Wille, Menschen mit Aufklärung zu erreichen, wo immer sie auch leben, so das whk. Die christ-soziale LSU täte gut daran, sich mit dem in Afrika verheerend auswirkenden Kondomverbot des Vatikans auseinanderzusetzten und dessen Behauptung, die pansexuelle Kultur sei Grund für die Ausbreitung von AIDS (www.whk.de/whk3605.htm).
Lustmord & Sündenböcke (2)
Das senatsgeförderte Berliner Antigewaltprojekt Maneo habe viel zu spät auf die massive Kritik an seinen rassistischen Kriminalreports reagiert, monierte das whk am 27. Oktober in einer Stellungnahme zur Veröffentlichung des Maneo-Jahresreports 2004. In dem mit reichlicher Verzögerung und ohne Presseankündigung auf der Maneo-Homepage veröffentlichten Bericht über antischwule Gewalt in der Hauptstadt verzichtet das schwule Projekt nun erstmals auf seitenlange Mutmaßungen über nicht-deutsche Täter (vgl. auch den Artikel Deutsche Opfer, Gigi Nr. 41, S. 20, sowie die Vorabmeldung Nie wieder Torten in Gigi Nr. 40, S. 27). Damit sei die von Maneo verfolgte Strategie, die wohlbegründeten Einwände lesbisch-schwuler Migrantengruppen sowie insbesondere des whk dauerhaft zu ignorieren und tapfer zu beschweigen ... nicht aufgegangen, resümierte das whk befriedigt. Hoffnungsvoll stimmte das Komitee, daß die Maneo-Statistik künftig antischwule Vorfälle, die sich tatsächlich gar nicht in Berlin, sondern anderswo auf der Welt ereignet hätten, künftig explizit ausweise und nicht mehr einfach auf die Zahl der Berliner Fälle aufaddiere. Um die Zahl mutmaßlicher nicht deutscher Täter nach oben zu manipulieren, hatte Maneo bislang schamlos Übergriffe mitgezählt, die sich im Ausland ereigneten, wo die Ausländerquote von Tätern naturgemäß immer nahe hundert Prozent liege, wie das whk schon vor Monaten kritisiert hatte. Leider vermeide der Jahresreport 2004 indes jegliche Erwähnung der Kritik den Maneo-Statistiken und unterschlage selbst Hinweise auf diverse kritische Berichte aus der Homo-Presse, so das whk. Statt dessen gebe Maneo im Bericht ohne genaue Quellen an, im Vergleich zu 2003 hätten Maneo-Meldungen 2004 wieder mehr Resonanz in den schwulen Printmedien gefunden (S. 14). Das Komitee wies in seiner Erklärung unterdessen darauf hin, daß auch der Jahrereport 2004 wiederum keinerlei Widerhall in Szenemedien gefunden habe. Bereits vor Jahren hatte beispielsweise das kommerzielle Berliner Homoblatt Siegesäule den weiteren Abdruck monatlicher Maneo-Kriminalreports mit ausdrücklichem Verweis auf deren Rassismus verweigert (vgl. www.whk.de/whk3405.htm, www.whk.de/whk3105.htm, www.whk.de/whk1705.htm sowie die Meldung Maneo muß weg in den Mitteilungen des whk, Gigi Nr. 40, S.38).
Jetzt isses amtlich (1)
Jetzige und ehemalige Mitglieder des whk sowie Aktivisten vornehmlich der Berliner Schwulenszene sind ohne ihr Wissen vom Berliner Staatsschutz auf mögliche Kontakte zum internationalen Terrorismus überprüft worden. Diese überraschende Erklärung machte der Berliner Innensenator Erhart Körting (SPD) am 24. Oktober in einer Sitzung des Abgeordnetenhauses. Anlaß war eine mündliche Anfrage des CDU-Abgeordneten Michael Braun nach der Haltung des Senats zur Arbeit des Berliner Instituts für Faschismusforschung (BIFFF). Das BIFFF hatte monatelang Schwulenaktivisten insbesondere aus dem whk-Umfeld auf Flugblättern und im Internet unter anderem mit dem islamistischen und dem (gar nicht mehr existenten) RAF-Terror in Verbindung zu bringen versucht. Auch die damalige Bundeslandwirtschaftsministerin Renante Künast (B90/Grüne) und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit waren absurderweise beschuldigt worden, Teil eines geheimen Terrornetzwerks unter maßgeblichem Einfluß des whk und der whk-Zeitschrift Gigi zu sein. Im August schließlich hatte das BIFFF eine durchaus homophob zu verstehende Medienkampagne gegen Organisatoren und Sponsoren des schwulen Fetisch-Straßenfests Folsom losgetreten, zu dem Wowereit ein schriftliches Grußwort beigesteuert hatte. Wie Körting nun erklärte, teile der Senat ausdrücklich nicht die Ansicht von CDU und BIFFF, daß Schwulenaktivisten in terroristische Zusammenhänge verstrickt seien: Über Vorstandsmitglieder des Vereins Folsom Europe Berlin liegen dem Berliner Verfassungsschutz und Polizeibehörden keine derartigen Erkenntnisse vor. Eine Zugehörigkeit zur Sympathisanten- und Unterstützerszene des palästinensischen und irakischen Terrorismus ist auch nicht andeutungsweise erkennbar. Allerdings fand der Verfassungsschutz im Internet den Namen des ehemaligen whk-Aktivisten und jetzigen Mitarbeiters der Kölner Schwulenzeitschrift Box, Markus Bernhardt: In einem Aufruf, in dem in polemischer Weise die Verteidigung der nationalen Selbstbestimmung des Irak propagiert wird, befindet sich unter einer Reihe von unterstützenden Organisationen, unter anderem ... der Kommunistischen Partei Deutschlands, des Ortsverbands Köln des Deutschen Freidenkerverbandes und unter 60 angeblichen Unterstützern auch der Name eines Journalisten, der für eine Zeitschrift schreibt, in der das Straßenfest von Folsom Europe propagiert wird. Auch der Sprecher des whk Rheinland, Dirk Ruder, hat nach Erkenntnis des Innensenators eventuell mal was im Netz unterschrieben: In einem Aufruf vom 28. September 2005, in dem für das Strafverfahren (gegen Magdeburger Antifaschisten, vgl. den Soliaufruf in Gigi Nr 40, S 25 whk) in polemischer Weise die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Mindeststandards und die Zulassung neutraler Gutachter und Beobachter gefordert werden, finden sich der eben genannte Journalist (gemeint ist Markus Bernhardt whk)und ein weiterer Journalist (gemeint ist Dirk Ruder whk), der für dieselbe Zeitschrift Artikel geschrieben hat, als angebliche Unterzeichner wie insgesamt 342 Unterstützer, zu denen Mitglieder des Rates der Stadt Düsseldorf, des Landesvorstandes der WASG Berlin, des Landesvorstandes der JungdemokratInnen Berlin, die Linkspartei.PDS Hamburg, Ingolstadt, Soest, eine Vielzahl von Ortsgruppen der Roten Hilfe, ein Mitglied der Linksfraktion im Europäischen Parlament, Professor Grottian aus Berlin und der WASG-Landesverband Brandenburg gehören sollen. Allerdings: Eine strafrechtliche Relevanz kann, abgesehen von der Frage, daß derartige Unterschriften von den beiden Gelegenheitsjournalisten (gemeint sind Bernhardt und Ruder; der Innensenator übernimmt hier undistanziert einen vom BIFFF als Schmähung verwendeten Begriff whk) nicht Folsom Europe zugerechnet werden können, in der Unterzeichnung der Solidaritätserklärungen nicht gesehen werden. Damit befinden sich Bernhardt und Ruder politisch nicht unbedingt in schlechter Gesellschaft ganz anders als das die CDU mit Anfragestoff versorgende BIFFF, zu dessen Charakterisierung Innensenator Körting laut amtlichem Protokoll zu einem plastischen Bild aus dem Polizeialltag griff: Dieses Institut war mir bis zu Ihrer Anfrage nicht bekannt, wobei der Name Institut bei uns in der Bundesrepublik Deutschland nicht geschützt ist. D. h. also, drei Menschen, die beschließen, in Banken einzubrechen, können sozusagen unter Institut für Geldbeschaffung firmieren [Beifall bei der Linkspartei.PDS Heiterkeit] ohne daß dies eine strafrechtliche Relevanz hat ... Ich habe aber Ihre Frage zum Anlaß genommen, mich mit diesem Institut ... zu befassen ... Dieses sogenannte Institut arbeitet mit einer ganz bestimmten wissenschaftlichen Methode, die ich Ihnen kurz darstellen kann ... Es wird argumentiert: Nach einer Untersuchung des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg verstärkten sich islamistische Tendenzen am Kottbusser Tor. Einer der Beteiligten (des Folsom-Straßenfests whk) hat am Kottbusser Tor eine Wohnung oder ein Büro. Also ist einer dieser Beteiligten nunmehr der islamistischen, palästinensischen und irakischen Terroristenszene zuzurechnen. Angesichts dieser durchaus logischen Schlußfolgerungen des Instituts würde ich dem Regierenden Bürgermeister nicht anraten, in ein Klageverfahren zu gehen. Das ist es nicht wert.
Jetzt isses amtlich (2)
Anklang bei Medien fand die whk-Presseerklärung vom 22. November zur Wahl Angela Merkels zur Bundeskanzlerin. Nur eine Stunde nach Veröffentlichung bat bereits das offene Münchner Radio Frei um ein Interview, das am 24. November gesendet wurde. Schon am Vortag hatte die Tageszeitung junge Welt Passagen aus der Pressemitteilung zitiert (siehe Faksimile rechts oben). Insbesondere kritisierte das whk die rückschrittliche Ausrichtung des schwarz-roten Koalitionsvertages: Menschen, die ihr soziales und ihr Liebesleben nicht nach dem angeblich gottgewollten Muster der monogamen heterosexuellen Zweierbeziehung organisieren, müssen unter der schwarz-roten Koalitionsregierung mit verschärfter sozialer Kontrolle und staatlichem Druck rechnen. Dies gehe aus dem zwischen CDU/CSU und SPD vereinbarten Koalitionsvertrag Gemeinsam für Deutschland mit Mut und Menschlichkeit hervor, in dem die künftigen Regierungsparteien von jeglichem Realitätssinn unbefleckte Vorstellungen von einer angeblich modernen Familienpolitik geradezu papsttauglich festgeschrieben hätten. Die von der neuen Bundesregierung beabsichtigte Förderung von beschönigend als Mehrgenerationenfamilien bezeichneten Formen des Zusammenlebens lasse angesichts der forcierten Abwälzung eigentlich staatlicher Leistungen auf das Portemonnaie anderer Familienmitglieder aufhorchen.
Kritik übte das whk an jenen lesbisch-schwulen Verbänden, die für ihre Presseerklärungen zum knapp 200-seitigen Koalitionsvertrag offenbar nur nach den zwei von ihnen noch halbwegs beherrschten Politvokabeln Antidiskriminierungsgesetz und Registrierte Partnerschaft gesucht haben. Es sei bestürzend, daß die Homoszene den konservativen Geist der Koalitionsvereinbarung bislang nicht einmal ansatzweise erfaßt und von deren katastrophalen gesellschaftlichen Folgen scheinbar keine Vorstellung habe, so das Komitee. (www.whk.de/whk3505.htm)
Jetzt isses amtlich (3)
Am 8. Dezember entschied der Presserat abschließend über eine Beschwerde des whk gegen die Bild-Zeitung. Das Boulevardblatt hatte zu einem am 27. Juli 2005 veröffentlichten Foto über die Hinrichtung von zwei befreundeten, mutmaßlich homosexuellen Jugendlichen im Iran getitelt: Hier werden zwei Kinderschänder gehängt. Das whk sah durch die verlogene und obendrein reißerische Berichterstattung die Würde der beiden Justizmordopfer verletzt und erkannte einen klaren Verstoß gegen den deutschen Pressekodex. Die zweite Beschwerdekammer des Deutschen Presserates hatte sich in gleich zwei Sitzungen eingehend mit der whk-Beschwerde befaßt, wie das Gremium dem whk am 4. Oktober in einem Zwischenbescheid mitteilte. Demzufolge konnte die Beschwerde gegen die Bild-Zeitung wegen noch notwendiger Sachverhaltsklärung auf der Presserats-Sitzung am 27. September nicht abschließend behandelt werden, weshalb die Beschlußfassung über eine Rüge gegen das Springer-Blatt auf Anfang Dezember verschoben worden war. Eine schriftliche Mitteilung über das Ergebnis der Sitzung lag bei Redaktionsschluß jedoch noch nicht vor. Das whk kündigte eine zeitnahe Pressemitteilung bis Ende Dezember über die Entscheidung an.
Queer-Quote 12:1
Eine positive Bilanz seiner Pressearbeit zog das whk Anfang Dezember. Mit 36 Presseerklärungen allein im Jahr 2005 (2004: 6, 2003: 19, 2002: 18) habe das whk erneut seine Kompetenz auf sexualpolitischem Gebiet unterstrichen. Schwerpunktthemen seien das Antidiskriminierungsgesetz (7) als politischem Arbeitsschwerpunkt des whk in diesem Jahr, der Komplex Polizei/Repression (10) sowie das Thema antischwule Gewalt (6) gewesen. Weitere Themen waren u.a. das Sexualstrafrecht (3), Sozialabbau (2), AIDS/Pharmaindustrie (2) und schwule Geschichte (2). Als parteiferne und staatlich unabhängige Organisation habe sich das whk damit zu allen wichtigen tagespolitischen Fragen prononciert geäußert, hieß es aus whk-Kreisen. Um so überraschender sei es, daß das whk in den Medien der homosexuellen Szene nach wie vor einem nahezu totalen Boykott unterliege. Während im gesamten Jahr 2005 beispielsweise die rund 90 oft nicht über Terminankündigungen und bloße Meinungsstatements hinausgehenden Verlautbarungen des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland (LSVD) in mehr als 80 Fällen vom größten schwulen Internetportal Queer.de ausführlich wiedergegeben wurden, was einer Veröffentlichungsquote von knapp 1:1 entspreche, hätten dort von den 36 whk-Mitteilungen ganze drei eine knappe Erwähnung gefunden. Die Queer-Quote des whk betrage demnach erstaunliche 12:1.