Mitteilungen des whk September/Oktober 2003
Transgenial auf Deutsch
Am 28. Juni hieß es in einer Presseerklärung der Berliner whk-Gruppe: Der sogenannte Transgeniale CSD Kreuzberg, der sich in der Tradition der seit Mitte der 90er Jahre als Alternative zu den ... weitgehend entpolitisierten offiziellen Christopher Street Days sieht, präsentierte sich im Jahr 2003 deutscher als alle je durch die frühere Reichshauptstadt marschierten Kommerz-Paraden. Noch bevor sie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der geplanten Demonstration von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgenders am Hermannplatz begrüßte, schmetterte die Miss CSD Berlin 2003, der Drag King Antonio Caputo, mehrfach Sätze wie Nehmt die Scheißfahnen runter! ins Mikrofon. Bei den Scheißfahnen handelte es sich nicht etwa um die sechsfarbige Insignie des Homo-Kommerzes (im Gegenteil schrie Caputo: Wir wollen hier nur Regenbogenfahnen sehen!), sondern um drei israelische Staatsflaggen. Sie wurden vom Bündnis queer.for.israel mitgeführt, ebenso wie Schilder Stoppt den islamistischen Tugendterror! und Forderungen nach dem Ende der auch behördlichen Homosexuellenverfolgung in Palästina. Das Bündnis hatte Tage zuvor einen entsprechenden Unterstützungsaufruf verbreitet.
Den hatte das whk nicht unterzeichnet, da er Thesen enthielt, die es als zu simpel und undifferenziert ansah. Wo aber ... das alte Ressentiment derart offen und dumpf zu Tage tritt, ist sofortige Solidarisierung geboten zumindest für jene, die sich der deutschen Geschichte halbwegs bewußt sind. Der als Folge des deutschen Ausrottungsversuchs gegründete jüdische Staat unterliegt derzeit einem immensen internationalen Druck und ständigen terroristischen Akten, die nur ein Ziel haben: möglichst viele Israelis zu töten, egal, ob Zivilisten oder Soldaten, Kinder oder Erwachsene, Heteros oder Homos. Ihr Existenzrecht wird heutzutage wieder offen in Frage gestellt, ebenso das ihres Staates: weil sie Juden sind. Es sei müßig, darauf hinzuweisen, daß selbst der dümmste CSD-Veranstalter und die besoffenste CSD-Teilnehmerin wissen kann, daß Israel, bei aller notwendigen Kritik an seiner rechten Regierung, noch immer das einzige nah- und mittelöstliche Land ist, in dem Homosexualität legal und ohne Gefahr für Leib und Leben lebbar ist, ein Land, das im übrigen auch wegen ihrer abweichenden Sexualität verfolgten Palästinensern Asyl gewährt. Dennoch stoppten die Kreuzberger CSD-Veranstalter weder den Drag King noch distanzierten sie sich von seinen Ausfällen. Vielmehr ließen sie ihn die Stimmung weiter anheizen. So bezeichnete Caputo die Leute von queer.for.israel als nicht zu diesem CSD gehörig, weil sie nationalistische Fahnen trügen, und geiferte sie an: Wir lassen uns von euch nicht unseren CSD versauen! Im weiteren verschärfte er den Ton noch und sprach gegenüber mehreren hundert Menschen von Scheißdrecksfahnen, was nach dem Verständnis des Berliner whk den Vorwurf der Volksverhetzung rechtfertigt. Nach dem Versuch eines Unbekannten, eine der Fahnen mit dem Davidstern in Brand zu setzen, und einer Attacke gegen ein Mitglied queer.for.israels sorgte die Polizei mit rund zehn Beamten für deren Sicherheit.
Die Berliner whk-Gruppe verurteilte das Gebaren der CSD-Veranstalter um das Kulturzentrum SO 36: Diese scheinen völlig vergessen zu haben, daß und warum frühere Alternativ-CSDs durch das einst jüdische Scheunenviertel zogen und an Gedenk-Orten stoppten, um mit Reden und Schweigeminuten an die industrielle Vernichtung der europäischen Juden zu erinnern und die Täter namhaft zu machen. Der Satz Die Verbrechen des Nationalsozialismus dürfen nicht vergessen werden steht sogar im diesjährigen transgenialen Forderungskatalog. Was sie den Veranstaltern tatsächlich wert ist, hat der heutige Tag gezeigt. Man feierte weiter, als sei nichts geschehen ...
Manne und das Monopol
Mit Kopfbogen des LSVD-Bundesverbandes erreichte das hessische whk-Mitglied Herbert Rusche folgende Abmahnung eines juristisch vorgebildeten LSVD-Bundessprechers vom 30. Juli 2003:
Hallo Herbert, ich habe festgestellt, daß Du die Domain schwulenverband.de auf Deinen Namen hast registrieren und eine Webseite mit dieser URL ins Netz gestellt hast. Wie Du weist (sic!), hat der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland bis 1999 den Namen Schwulenverband in Deutschland geführt. Unsere Webseite ist seit Mitte der neunziger Jahre unter der Domain schwulenverband.org erreichbar. Wenn Du jetzt unter der URL schwulenverband.de eine Webseite ins Netz stellst, verletzt das unser Namensrecht. Ich bitte Dich deshalb, die Webseite schwulenverband.de bis zum 11.08.2003 vom Netz zu nehmen und mir bis zu diesem Termin eine Erklärung zu schicken, daß Du die Webselte auch in Zukunft nicht mehr ins Netz stellen wirst. Solltest Du dieser Bitte nicht nachkommen, müssen wir leider gegen Dich eine Unterlassungsklage einreichen. Unterzeichner für den Lesben und Schwulenverband in Deutschland: Manfred Bruns, Bundesanwalt a.D.
Rusche hatte die Domain Mitte der 90er für den Bundesverband Homosexualität (BVH) erworben als Schwulenverband weit mitgliedsstärker als der damalige Schwulenverband in Deutschland (SVD). Heute liegt darauf die Website des Schwulen Landesverbandes Hessen e.V., der im Gegensatz zum alles andere als die schwulenpolitische Vielfalt repräsentierenden hessischen LSVD-Ablegers der Repräsentant zahlreicher schwuler Basisgruppen gegenüber der Landespolitik ist. Über mögliche Motive von Bruns Ansinnen informiert der Schwerpunkt dieser Gigi-Ausgabe; Rusche läßt das Anliegen unterdessen von seinem Rechtsbeistand prüfen.
Ein neuer Mann im Rheinland
Neu im whk Rheinland ist seit Mitte August Jörg Fischer. Geboren 1969 in Hürth/Landkreis Köln, ist er als freier Journalist (u.a. ZDF, taz, junge Welt, Spiegel online) und Bildungsreferent (u.a. bei diversen Landeszentralen für politische Bildung) zum Thema Rechtsextremismus tätig, wozu er auch mehrere Bücher veröffentlichte.
In einer Personalie fürs whk heißt es, er habe eine nicht unbedingt alltägliche Sozialisation erfahren, da ich mit 13 mit der neonazistischen Szene in Berührung kam, in der ich in den folgenden 8 Jahren, also bis zu meinem 22. Lebensjahr, aktiv war. 1991 erfolgte der Ausstieg. Danach habe er sich ein demokratisch-humanistisches Welt- und Menschenbild erarbeitet. Seit 1996 ist er wieder politisch aktiv, so in der VVN/BdA, bei ver.di, beim Sozialforum und Attac. Seit 2002 ist er Mitglied des KreissprecherInnenrates der PDS in Köln, wo er zur Bundestagswahl das zweitbeste Wahlkreisergebnis für die PDS in NRW holte. Seit Juli 2003 fungiert er als Landessprecher des NRW-Landesverbandes von [solid] die sozialistische Jugend und ist Mitglied des Geraer Dialogs, einem Zusammenschluß linker PDS-Mitglieder, ferner gehört er zu den Freundinnen und Freunden der Europäischen Antikapitalistischen Linken (EAL) in Deutschland.
Bedenken gegen Fischers whk-Aufnahme räumten vor allem die im Antifa-Bereich tätigen whk-Freundinnen aus. Seine Biographie habe für politische Gegner von Grünen bis CDU nicht mal im Wahlkampf eine Rolle gespielt. Sein Interesse an der Mitarbeit begründete er mit der großen Übereinstimmung in den Positionen des whk und den meinigen. Als Parteimitglied sehe er den Bezugsrahmen politischer Arbeit in den vor- und außerparlamentarischen und sozialen Bewegungen und in der Vermittlung, warum es wichtig ist, sich selber zu organisieren und Bewegungen zur Veränderung bzw. Überwindung der gesellschaftlichen Zustände von unten zu organisieren und aufzubauen. Und was für Erwerbslose, lohnabhängig Beschäftigte, Studierende, SchülerInnen, Sozialhilfeberechtigte, MigrantInnen gilt, gilt m.E. auch für linke, emanzipatorische Schwulen und Lesben..