Mitteilungen des whk Nov./Dez. 2001
whk-Freundin vor Gericht
Am 29. Oktober fand im Amtsgericht Dortmund der Prozeß gegen Astrid Keller, Mitglied des Rates der Stadt als Vertreterin des Linken Bündnisses, statt. Die whk-Freundin hatte die Demo für das Bündnis Wir stellen uns quer angemeldet, deren Ziel es war, den Zug der Neonazis zu blockieren. Eine entsprechende Route war jedoch von der Polizei verboten worden. Nach der Auflösung der Demo entschlossen sich indes spontan einige hundert Menschen, darunter Gäste der SPD-Veranstaltung Fremde sind Freunde auf dem Hansaplatz, sich den Nazis in den Weg zu stellen (wobei durch Polizei und Bundesgrenzschutz rund 400 zumeist minderjährige Nazi-GegnerInnen für fünf Stunden eingekesselt und später in Gewahrsam genommen wurden) offenbar ein willkommener Anlaß für Polizei und Staatsanwaltschaft, das ungeliebte Ratsmitglied zu kriminalisieren (vgl. Mitteilungen des whk vom Januar/Februar 2001 in: Gigi Nr. 11).
Während außerhalb des Gerichts ca. 30 Antifaschisten eine Solidaritätskundgebung für Astrid Keller abhielten, waren mehrere Dutzend Beamte, teilweise beritten oder mit Hund, zu ihrem Schutz abgestellt worden darunter mehrere stadtbekannte Zivilpolizisten und Staatsschützer, die bei früheren Demonstrationen rechtswidrig gegen die TeilnehmerInnen vorgegangen waren. Ferner versuchte die Polizei, drei Beamte im typisch autonomen Stil in die Demo einzuschleusen, was jedoch wegen des Bekanntheitsgrades der Polizisten mißlang. Im Gerichtssaal entlastete Keller derweil selbst der Führer der Bochumer Einsatzhundertschaft Arno Plickert, der die Demonstration am 21.Oktober vergangenen Jahres begleitete: Sie habe jederzeit konstruktiv und gut mit ihm zusammengearbeitet. Sämtliche anderen geladenen Belastungszeugen konnten sich entweder gar nicht zur Sache äußern oder hatten nichts negatives über die Abgeordnete zu berichten. Der Prozeß endete folglich mit Freispruch sowohl auf Antrag des Rechtsanwaltes als auch des Staatsanwalts.
Overnight Pack
Am 8. September fand im Berliner Volkspark Friedrichshain zum dritten Mal das Lesbisch-schwule Parkfest statt, diesmal organisiert von der örtlichen Arbeiterwohlfahrt. Der Schwul-lesbische Informations- und Presseservice (SCHLIPS e.V.) hatte dort einen Stand gemietet und das whk sowie die Gigi-Redaktion (die mit sich ihm ein Bürogemeinschaft in dem am Volkspark gelegenen Haus der Demokratie und Menschenrechte teilt) eingeladen, diesen mitzunutzen. Das whk ließ sich dazu der Volkspark ist die bekannteste Cruising area im Osten Berlins eine AIDS-Präventionsaktion einfallen, für die sich auch drei renommierte Sponsoren begeistern konnten: Die Deutsche AIDS-Hilfe spendete Kondome, die Luxemburger PjurGroup Gleitmittelpäckchen und die Gaba-Elmex-Forschung aus Lörrach Reise-Zahnpflege-Sets. Kombiniert zu Gigi Overnight Packs, kam die Idee unter dem Slogan Für die anale und orale Prävention bestens beim Publikum an und sorgte als Prämie für einen erfreulichen Gigi-Abo-Zuwachs.
Schwerer Systemfehler
Am 22. September verlieh der Bundesverband Lesbischer und Schwuler JournalistInnen (BLSJ) in Köln erstmals den Felix-Rexhausen-Preis. Hauptpreisträgerin unter den 59 Einsendungen war die Rundfunkjournalistin Martina Keller aus Frankfurt am Main mit einem Feature über Homosexualität in Namibia. Von den zwei undotierten Sonderpreisen ging der eine an Herbert Cerruti aus Zürich in der Sparte Wissenschaft. Die Laudatio für den anderen hier in voller Länge: Die Ausgabe der Gigi Zeitschrift für sexuelle Emanzipation vom November 2000 erhält einen Sonderpreis für die beste Einsendung aus dem Bereich der lesbisch-schwulen Zeitschriften. Die Jury war überrascht, ein so unabhängiges Magazin zu finden: Ganz abgesehen von eigenen politischen Orientierungen, möchten wir mit dieser Auszeichnung auch den Mut loben, unbequem zu sein und unbequem zu bleiben. Zwei wichtige Punkte sind der Jury aufgefallen: Gigi greift Themen auf, über die bereits ein vermeintlicher Konsens in der Gesellschaft besteht (wie z.B. bei der so genannten Homo-Ehe) und zeigt hervorragend recherchiert kritische Perspektiven auf. Gigi ist aber auch eine Zeitschrift, die sich neuen Themen zuwendet und Diskussion und Erkenntnis darüber vorantreibt. Der Preis soll auch Ansporn sein, diese Arbeit weiter zu machen. Herzlichen Glückwunsch!
Da sich Gigi nicht als lesbisch-schwule Zeitschrift versteht vorgeschlagen hatte sie ohne ihr Wissen ein Abonnent , geht der herausgebende Förderverein des whk davon aus, daß es in dieser Kategorie keine Alternativen gab oder es sich um einen bedauerlichen Unfall handelte. Für diese Annahme spricht, daß auf der BLSJ-Pressekonferenz dessen Vorstandsmitglied Walter Liedtke Gigi dem links-intellektuellen Spinnertum zurechnete und bei der Verleihung vom in Köln neu gewählten Vorstand niemand der vollzählig angereisten Gigi-Redaktion (siehe Foto) gratulierte. Auch die kommerzielle Homo-Journaille, die nahezu komplett anwesend war und monatelang zur Teilnahme am Rexhausen-Wettbewerb aufgerufen hatte, verschwieg tapfer die Ehrung für die Gigi-Redaktion mit Ausnahme der Kölner Queer-Zeitung, die auf ihrer Homepage notierte: Einen undotierten Sonderpreis erhielt[en] die linksgerichtete Gigi in der Kategorie beste lesbisch-schwule Zeitschrift ... Besonders hübsch wirkte dieses Gebaren bei der lespress-Chefredakteurin Ulrike Anhamm, der einzigen Frau im BLSJ-Vorstand. In lespress erscheinen regelmäßig Gigi-Inserate, und erst im September hatte Anhamm bei der Gigi-Redaktion einen ganzseitigen Nachruf auf die Satirikerin Anne Köpfer bestellt (vgl. lespress 10/2001).
whk zum Prostitutionsgesetz
Intensiv wurde vom whk in den letzten Monaten der Gesetzgebungsprozeß zur Legalisierung von Sexarbeit begleitet. Am 9. Juli 2001 forderte es in einer Presseerklärung Prostitution umfassend legalisieren, die PDS solle keine Machtspiele auf dem Rücken von Huren und Strichern austragen, sondern zum eigenen Gesetzentwurf stehen. Hintergrund war, daß die PDS-Fraktion zunehmend dazu tendiert, den eigenen Gesetzesentwurf über Bord zu werfen und einem halbherzigen Gegenentwurf von Rot-Grün zuzustimmen.
Was das whk befürchtet hatte, trat dann im Bundestag ein, und so beklagte die dritte Presseerklärung der AG Schwulenpolitik des whk zu diesem Komplex am 17. Oktober 2001 die Doppelmoral der Abgeordneten und stellte fest: Rot-Rot-Grün versagt im Rotlichtmilieu. Nach der abschließenden Beratung im Bundestagsausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend äußerte sich die whk-AG wörtlich: Hinsichtlich des staatlichen Umgangs mit Prostitution zeichnet sich nicht etwa ein rechtshistorischer Durchbruch ab, sondern ein Fortbestehen 1. der Strafbarkeit im StGB; 2. von Werbeverboten für Sexdienstleistungen nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz; 3. von Prostitution als Ausweisungsgrund nach dem Ausländergesetz; 4. von Diskriminierungen im Gaststättengesetz; 5. von starren, für die Berufspraxis untauglichen Regelungen im Arbeitszeitgesetz; 6. von fehlenden Regelungen im Arbeitsschutzgesetz sowie 7. ein Festhalten an landesrechtlichen Sperrgebietsverordnungen.
Obwohl die Kanzlermehrheit für den von den Sachverständigen mehrheitlich kritisierten rot-grünen Gegenentwurf zum hochwertigeren PDS-Entwurf (BT-Drs. 14/4456 vom 1. 11. 2000) in der abschließenden Lesung nicht gefährdet gewesen sei, hätten nun auch die Demokratischen Sozialisten den Opportunismus zur Maxime ihres hochdotierten Treibens im Parlament erhoben. Statt demonstrativ ihrem von Prostituierten wie juristischer Fachwelt nahezu einhellig gelobten eigenen Entwurf zuzustimmen und den unglaubwürdigen rot-grünen Torso (BT-Drs. 14/5958 vom 8. 5. 2001) abzulehnen, will die PDS-Fraktion die dauerhafte Festschreibung der Doppelmoral durch die Regierungsfraktionen voraussichtlich mittragen. Tatsächlich stimmte die PDS-Fraktion tags darauf ihrem eigenen vollständig wie auch dem entgegengesetzten Koalitionsentwurf bei nur zwei Enthaltungen zu.
whk zu Innerer Sicherheit
Unter der Zeile Schwuler Sex außerhalb des Ehebetts bald wieder strafbar machte das whk am 19. Juli darauf aufmerksam, daß in Heidelberg Cruiser künftig als Exhibitionisten und Spanner bestraft werden sollen. Laut einem Bericht der Ulmer Südwest Presse wolle die Polizei verstärkt gegen Spanner und Exhibitionisten vorgehen, die angeblich immer dreister und gefährlicher agierten. Kern der für den gesamten Rhein-Neckar-Raum geplanten Maßnahmen sind dem Leiter der örtlichen Kriminalinspektion, Gräter, zufolge u.a. computergestützte Fahndungsmethoden sowie die Ausweitung von Personenkontrollen in besonders gefährdeten Bereichen. Man hoffe, die ersten von etwa 60-80 mutmaßlichen Tätern schon bald festzunehmen. Dazu die AG Schwulenpolitik: Die angekündigten Maßnahmen stehen sittenpolizeilicher Verfolgung in den 50er und 60er Jahren in nichts nach. Nur sieben Jahre nach Abschaffung des Paragraphen 175 soll schwule Sexualität damit faktisch wieder strafbar und kriminell werden. Das Präventionskonzept der für ihre Aktionen gegen Schwulentreffpunkte berüchtigten Heidelberger Polizei sieht zur Bekämpfung des Spannerunwesens beispielsweise vor: 1. flächendeckenden Einsatz von sogenannten Spanner-Streifen bei Einbruch der Dunkelheit; 2. verdeckte Observation; 3. Personenkontrollen; 4. Unterstützung durch die Bevölkerung; 5. Einrichtung einer Informations-Sammelstelle zur Aufklärung von Strukturen. Weiter hieß es: Daß die Heidelberger Polizei ihren Plan just an dem Tag bekanntgab, an dem nur fünfzig Kilometer entfernt das Bundesverfassungsgericht die Eingetragene Lebenspartnerschaft passieren ließ, ist kein pikantes Detail am Rande, sondern durchaus folgerichtig: Beide Konzepte atmen den selben repressiven Geist.
Am 31. August gab dann Baden-Württembergs Innenminister Thomas Schäuble (CDU) eine Anweisung an die Polizeidienststellen des Landes bekannt, wonach auch sogenannte einfache Sexualtäter in einer speziellen Langzeitdatei für zehn Jahre gespeichert werden sollen. Dazu die AG Schwulenpolitik am 5. September: Ab sofort sollen in Baden-Württemberg nicht nur tatsächliche Sexualstraftaten wie Vergewaltigung und Kindesmißbrauch sanktioniert werden, sondern auch vermeintliche, sofern ihnen eine sexuelle Motivation unterstellt werden kann. Erstmals seit Ende des Dritten Reiches wird damit in Deutschland wieder Sex ohne Sex strafrechtlich geahndet. Damit stehe ab sofort praktisch auch jegliche schwule Sexualität außerhalb des Schlafzimmers wieder unter Strafe. Cruiser, die an öffentlichen Plätzen einvernehmlichen Sex suchen, müssen künftig damit rechnen, in Rosa Listen registriert zu werden. (...) Schäubles Maßnahmen werden kaum einen Kindesmörder von seinem Tun abhalten, dafür aber sind sie bestens geeignet, der polizeilich schon immer ungeliebten Cruising-Kultur endlich den Todesstoß zu versetzen. (...) Mit dieser Regelung die der berüchtigten britischen Clause 28 in nichts nachsteht sind auch der Denunziation und dem Einsatz von Zivilpolizisten als agents provocateurs Tür und Tor geöffnet. Nach Innenminister Schäubles Worten soll die Bevölkerung mit diesen Maßnahmen besser vor Wiederholungstätern geschützt werden. Dazu gehörten im staatlichen Verständnis stets die Homosexuellen.