junge Welt, 06.07.2002 / Ansichten
»Abermalige Enteignung und Verhöhnung«Wochenend-Gespräch mit mit Ortwin Passon über den Rechtstrend der Homo-Community und die verlorene Tradition des Christopher-Street-Day, über dreckiges Geld und etablierte Absahner sowie über Homofilz und Stolpersteine. Von Emanuel Nahrstedt
* Ortwin Passon kam im Jahr 2000 zur Berliner Regionalgruppe des wissenschaftlich-humanitären komitees (whk). Der Diplom-Politologe ist ehrenamtlicher Richter am Sozialgericht Potsdam, engagiert sich beim Stricherprojekt SUB/WAY Berlin e.V. und ist aktiv in der Bundesarbeitsgemeinschaft »Prävention gegen sexuelle Gewalt« der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft
Vielen Menschen wird das wissenschaftlich-humanitäre komitee kein Begriff sein. Wann wurde es gegründet?Im Oktober 1998 in Berlin. Es geht zurück auf jenes WhK, das der jüdische Arzt Magnus Hirschfeld 1897 in Berlin ins Leben rief. Dem Kreis um den Sexualforscher ging es damals vor allem um die Entkriminalisierung der Homosexualität. Sein Leitspruch hieß »Durch Wissen zur Gerechtigkeit«. 1933 wurde das historische WhK unter dem Druck der Nazis aufgelöst, und in den deutschen Nachkriegsstaaten scheiterten alle Neugründungsversuche: In der DDR am übersteigerten Sicherheitsbedürfnis, dem »Homosexuellenvereine« suspekt waren, in der BRD daran, daß sich die völkische Ideologie bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht und vor allem im Strafgesetzbuch erhalten hatte, das bis 1969 die verschärfte Nazifassung des Schwulenparagraphen 175 enthielt.
Das neue whk versteht sich allerdings als sexualpolitische Assoziation freier Gruppen, also nicht als Homosexuellenorganisation und schon gar nicht als Interessenvertretung einer dubiosen lesbisch-schwulen Community. Wenn sich das bürgerliche Homovereine anmaßen wollen: bitte schön! Unser Horizont ist ein bißchen weiter, uns geht es um die fundierte Kritik an und Bekämpfung von Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnissen im Kapitalismus. Geschlechterverhältnisse sind da kein Nebenwiderspruch, sondern ein zentraler Punkt in der Verwertungslogik. Die heute übliche identitäre Homobürgerrechtspolitik hat dem inhaltlich wie aktionspolitisch nicht nur nichts entgegenzusetzen, sondern sie ist längst Teil des konservativen Konsenses in unserer Gesellschaft. An sich ist die Lesben- und Schwulenbewegung in Deutschland längst tot und als Konzept auch überholt.
Welches sind die Schwerpunkte Ihrer Arbeit?
Mit der Zeit haben sich regionale Schwerpunkte herausgebildet. Lebensformenpolitik, etwa die Kritik der Herrschaftsverhältnisse »Ehe« oder »Eingetragene Lebenspartnerschaft«, ist zum Beispiel beim Berliner whk angesiedelt, ebenso die Prostitutions- und die AIDS-Problematik. Das whk Ruhr verbindet Sexualpolitik mit Antifa- und Antirassismusarbeit, das whk Südbaden war bisher federführend beim Widerstand gegen die religiöse Rechte, das whk Rheinland hat Stärken bei der »politischen Ökonomie« (etwa der Entwirrung des grünen Homoklüngels) und der Auseinandersetung mit der polizeilichen und ordnungspolitischen Schwulenjagd, whk-Leute in Hessen und Bayern versuchen, die Verbindung zu den Resten der traditionellen linken Schwulenszene aufrechtzuerhalten, die ja durchaus mal etwas Emanzipatorisches hatte, bevor ab Ende der 80er der Staat ihr Mehrheitseigner wurde. Letzteres ist übrigens auch im wörtlichen Sinne zu verstehen. Spezialisiert aufs Auslachen des politischen Gegners ist die nichtseßhafte AG Cabaret »Moulin Rouge«. Bevor Liesl Karstadt und Pia F. eine Presseerklärung schreiben, trinken die erst mal eine Flasche Sekt.
Dann gibt es aber noch ein Zeitungsprojekt?
Ach ja, die Gigi. Das spricht man übrigens französisch oder italienisch! Wers deutsch spricht, kriegt eiskalt das Abo gekündigt (lacht). Der Untertitel lautet etwas sperrig »Zeitschrift für sexuelle Emanzipation«. Seit 2001 gilt die ehrenamtliche Gigi als beste lesbisch-schwule Zeitung in Deutschland, obwohl sie an sich gar kein Lesben- und Schwulenblatt ist. Aber so stand es nun mal in der Laudatio zum Felix-Rexhausen-JournalistInnen-Preis. Na ja, viel Auswahl hatte die Jury nicht, da mußte sie wohl das einzige Politmagazin auszeichnen, das irgendwie noch mit der Homo-Szene zu tun hat ... Sollte nächstens eine der heutigen kommerziellen Homopostillen diesen Preis bekommen, gibt die Redaktion ihn natürlich sofort zurück. (lacht)
Wie ist das Verhältnis des whk zu anderen Gruppen, welche sich auf dem Gebiet der Gleichstellung für Homosexuelle engagieren. Wird zum Beispiel mit dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) zusammengearbeitet?
Brrr, bei dem Gedanken wird mir ja ganz übel (lacht)! In einem 1998er Interview sagte ein whk-Mitgründer mal, der damalige SVD sei unser politischer Gegner. Der Gegensatz hat sich seitdem noch verschärft. Der LSVD und seine Unter- oder Satellitenvereine das geht ja parteipolitisch von PDS bis CSU bei starker grüner Dominanz sind für das whk allenfalls Ausdruck des Zustandes dieser Gesellschaft im allgemeinen und der Homoszene im besonderen. Er ist dazu da, Konflikte zu glätten, nicht, sie einer Eskalation und damit einer progressiven Lösung zuzuführen. »Lauter Sehr Verantwortungsvolle Demokraten« hat der Sprachwissenschaftler Dirck Linck das Kürzel mal sehr treffend übersetzt.
Nee, mit solch korrupten Figuren wollen wir nix zu tun haben. Die sind ja nicht mal nach bürgerlichen Kriterien sauber. Der größte LSVD-Landesverband mit über einem Drittel der LSVD-Gesamtmitgliedschaft mußte im Frühjahr nach Intervention des Landesrechnungshofs NRW Konkurs anmelden. Und erst letzte Woche wurde vom Bundestag eine 15 Millionen Euro schwere Geldwaschanlage namens Magnus-Hirschfeld-Stiftung als angebliche kollektive Wiedergutmachung von Naziunrecht beschlossen. Copyright: Volker Beck, LSVD-Sprecher und grüner Bundestagsabgeordneter. Die tatsächlichen Naziopfer gehen, auch dank Becks Mithilfe, leer aus. »Entschädigt« für nicht erlittenes Unrecht werden hingegen staatstreue Vereine. Der LSVD und seine angeschlossenen Anstalten dominieren das Kuratorium, das über die Vergabe von Stiftungsmitteln entscheidet. Das wurde sogar bei der letzten Anhörung im Rechtsausschuß drastisch moniert, perlte aber am aalglatten Beck sichtbar ab. Seine Schäfchen sind erst mal im trockenen. Als whk kann uns das egal sein, wir pfeifen auf jede Staatsknete, setzen aber den moralischen Maßstab: Wer auf so dreckiges Geld spekuliert, profitiert letztlich von der abermaligen Enteignung und Verhöhnung der Naziopfer.
Aber natürlich gibt es Zusammenarbeit mit anderen Gruppen bei bestimmten Themen. Das kann in der Lebensformenpolitik der feministische Lesbenring sein, beim Thema Sexarbeit Stricher- und Hurenprojekte, beim Antimilitarismus der Verein der Schwulen Kriegsdienstgegner, wenns um die Hatz des hysterisierten Mobs auf Pädophile geht und die damit verbundene Aussetzung grundlegender Rechte für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, die Arbeitsgemeinschaft Humane Sexualität, und bei den Rechten Intersexueller die Arbeitsgemeinschaft gegen Gewalt in der Pädiatrie und Gynäkologie (AGGPG). Und wer sich mit Antifa- und AntiRa-Arbeit befaßt, sollte schon seine Fühler ausstrecken zu darin erfahrenen Gruppen.
Und wie halten Sie es mit der Bundestagswahl? Gibt es seitens des whk einen Wahlaufruf?
Das wird sich am Wochenende auf unserem Bundestreffen entscheiden. Aber es sollte mich wundern, wenn sich das whk zu derlei hinreißen ließe. Dazu ist die Aversion gegen staatstragende Parteien zu groß geworden. Kontakte bestanden gelegentlich zu einzelnen PDS-Bundestagsabgeordneten, aber das wird wohl am 22. September enden, wenn etwa die parteilose Christina Schenk nach dem Willen der im Enddarm der SPD steckenden PDS aus dem Bundestag fliegt. Der Partei scheint es gar nicht gut zu gehen derzeit, die ist ja schon ganz grün im Gesicht (lacht). Die erwähnte Geldwaschanlage haben die GenossInnen feierlich mit abgesegnet und noch einige andere Schweinereien mehr, die sogar gegen ihr eigenes Programm verstießen. Im Moment ist die Stimmung so, daß einige vom whk zum Ungültigwählen aufrufen wollen. Viel interessanter für uns, aber nicht ohne Witz ist, daß wir stärker im linken außerparlamentarischen Spektrum wahr- und inzwischen auch angenommen werden. Hat doch tatsächlich der Kölner Kreisvorstand der DKP unaufgefordert ein Grußwort zu unserem Bundestreffen gesandt! Ich würde gern wissen, woher die Genossen den Termin kennen. Vielleicht von der SDAJ oder der VVN, da gabs schon mal Einladungen zu sexualpolitischen Vorträgen. Mal sehen, was im Grußwort der PDS stehen wird (lacht).
Ihr Bundestreffen findet an diesem Wochenende in Köln statt. Parallel werden dort am Sonntag mehrere hunderttausend Lesben und Schwule den Christopher-Street-Day (CSD) feiern. Werden Sie an der Demonstration teilnehmen?
Nun, der CSD ist diesmal anders strukturiert. Er findet unter dem Titel »Europride 2002« statt. Es werden also mehrere zehntausend Menschen aus dem Ausland erwartet. Wir werden jedoch als whk nicht an der Demo teilnehmen. Dafür gibt es gute Gründe. Das whk stellt sich zum einen gegen den immer stärkeren kommerziellen Mißbrauch eines historischen politischen Ereignisses, und zum zweiten haben wir begründete Vorbehalte gegen diese Parade.
Der CSD beruht ja auf den Vorfällen vom 28. Juni 1969 in der New Yorker »Christopher Street«. Nachdem es immer wieder zu Razzien und Übergriffen durch Polizeibedienstete in der Schwulenkneipe »Stonewall Inn« kam, wehrten sich die verschiedensten »sexuellen Minderheiten«, wie etwa Transsexuelle, Stricher und Huren und auch Lesben und Schwule, gegen die unerträgliche staatliche Repression, indem sie »die Bullen ausräucherten«. Dieser Ursprung ist dem heutigen CSD überhaupt nicht mehr anzumerken. Entstand damals eine emanzipatorische Bewegung, geht es den heutigen Protagonisten einfach nur noch um Macht. Dies wird auch daran deutlich, daß Bundesaußenminister Joseph Fischer in diesem Jahr zur Parade eingeladen wurde. Vor einigen Jahren wäre es noch undenkbar gewesen, daß einer der höchsten Kriegstreiber der BRD an einer Demonstration für Gleichberechtigung und Toleranz teilnimmt. Was sollen wir bei einer Veranstaltung, zu der Personen eingeladen werden, die eklatant gegen Menschenrechte verstoßen? Dies betrifft die rot-grünen Kriegsherren genauso wie schwule bzw. lesbische Bedienstete von Polizei und Bundesgrenzschutz, die sich aktiv an der Umsetzung von rassistischen Gesetzen beteiligen und Flüchtlinge in Folter und Tod deportieren.
Parallel findet jedoch auch eine Kundgebung der neofaschistischen »Bürgerbewegung Pro Köln« gegen den Europride statt. Wird sich das whk in irgendeiner Form dazu äußern?
Ja, natürlich! Wir werden unser Bundestreffen unterbrechen und zusammen mit dem Bündnis Quergestellt, der Antifa K und anderen Antifaschisten gegen diese Provokation demonstrieren. Diese sogenannte Bürgerbewegung betreibt ja nun schon seit etlichen Monaten massive Hetze gegen Migranten, Drogenkonsumenten und Prostituierte. Nun haben sie die Schwulen entdeckt und wollen diese Mahnwache »gegen den Werteverfall in der Gesellschaft« veranstalten. Während manche Organisatoren des Europride verlauten ließen, daß man die Provokation in einer Demokratie »mit Bauchschmerzen« hinnehmen müsse, ist uns an einer Verhinderung des Aufmarsches gelegen. Von der eingesetzten Polizei erwarten wir dabei keinen Schutz. Die Hundertschaften der nordrhein-westfälischen Polizei haben in den vergangenen Jahren mehrfach eindrucksvoll bewiesen, was sie von antifaschistischen Demonstranten halten. Etwa bei jener Einkesselung von mehreren hundert Jugendlichen bei Antifademos in Dortmund, über die Sie ja auch ausführlich berichtet haben.
Und was werden die Schwerpunkte des whk für die nächsten Wochen und Monate sein?
Das bleibt noch bis zum Wochenende unser süßes Geheimnis (lacht). Fest steht jedoch, daß wir weiterhin dem Rechtsruck in der Gesellschaft und erst recht der Homobewegung entgegentreten. Auch wird sich das whk gemeinsam mit anderen fortschrittlichen Gruppen für die Rechte von Migranten, für Friedenspolitik und gegen faschistische Gruppierungen engagieren. Des weiteren möchten wir den Homofilz und in diesem Kontext die finanziellen und personellen Verflechtungen zwischen Parteien, vor allem den Bündnisgrünen, dem LSVD und der größten Lesben- und Schwulenzeitung der BRD, Queer, noch etwas mehr lüften. Wenn Sie wollen, kann ja auch die junge Welt mal bei den NRW-Grünen oder bei der grünen LSVD-Genossin Claudia Roth anfragen. Vielleicht bekommen Sie ja die Auskünfte über den Filz, die man uns seit Monaten verweigert (lacht).
Konkret steht bereits fest, daß sich das whk an der Aktion »Stolpersteine« beteiligt. Bei dieser Aktion werden zehn mal zehn Zentimeter große Messingplatten des Künstlers Gunter Demning in den Gehweg eingelassen, die vor ihren letzten Wohnadressen an die Opfer des Terrors im »Dritten Reich« erinnern. Das whk hat die Patenschaft über den Stolperstein für einen im Zuchthaus ermordeten Rosa-Winkel-Häftling übernommen - auch als Kontrapunkt zu dem unsäglichen Umgang der bürgerlichen Homoszene mit den Naziopfern. Schließlich sollen die Homepages www.whk.de und www.gigi-online.de weiter ausgebaut werden. Rasant steigende Zugriffsraten und Reaktionen von Besuchern sagen uns, daß viele sie schon jetzt als Quelle für unterschlagene, weil unerwünschte Hintergrundinfos nutzen.