Gigi-Redaktion/25. 4. 2002
Offizielle Anfrage zu Verflechtungen zwischen Bündnis 90/Die Grünen, LSVD und Queer AG
Parteivorstand Bündnis 90/Die Grünen
Vorsitzende Claudia Roth
Platz vor dem Neuen Tor 1
10115 Berlin
Berlin, 25. 4. 2002
Sehr geehrte Frau Roth,
unsere Redaktion arbeitet schon seit längerem an einem Schwerpunkt zur Finanzierungs- und Spendenpraxis lesbischer/schwuler Projekte, ihren Verbindungen zu ParlamentarierInnen und Parteien sowie angrenzenden politischen Entscheidungsebenen.
Wie Sie sicher aus der Presse erfahren haben, hat der Landesverband NRW des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland (LSVD) vor einer Woche Insolvenz beantragen müssen, nachdem der Landesrechnungshof Unregelmäßigkeiten bei der Verwendung von Landesgeldern beanstandet und beträchtliche Steuernachforderungen erhoben hatte. Das whk Rheinland, eine Mitgliedsgruppe des unsere Zeitschrift herausgebenden wissenschaftlich-humanitären komitees (whk), hatte bereits im Jahre 2000 auf das eigenartige Finanzgebaren des LSVD aufmerksam gemacht. Schon damals ergaben sich in diesem Kontext immer wieder enge Verbindungen zu Bündnis 90/Die Grünen und verschiedenen in der Landes- wie Bundespolitik exponierten bündnisgrünen FunktionsträgerInnen.
Nun sind Sie, Frau Roth, einerseits Parteivorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen und leitendes Mitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Schwulenpolitik, andererseits ist die Partei Bündnis 90/Die Grünen korporatives Mitglied des LSVD. Ferner traten Sie persönlich auf dem 9. Verbandstag in Berlin dem LSVD als 993. Mitglied bei. Aus dieser Perspektive und vor dem Hintergrund der aktuellen Parteienskandale in NRW ergeben sich für uns einige Fragen, um deren schnelle Beantwortung wir Sie dringend ersuchen.
Fragenkomplex A
Von besonderem Interesse ist für uns die Aktienbeteiligung des Landesverbandes NRW von Bündnis 90/Die Grünen an der auflagenstärksten Lesben- und Schwulenzeitung in Deutschland bzw. dem sie herausgebenden Verlag, der Queer AG in Köln. Wir gehen derzeit davon aus, daß dieses Aktienpaket nicht identisch ist mit der Förderung der Zeitung durch den Ökofonds der NRW-Grünen.
1.) Waren Sie informiert über die Aktienbeteiligung des Landesverbandes NRW von Bündnis 90/Die Grünen an der in Köln (Pipinstraße 7) ansässigen Queer AG? Wenn ja, inwieweit, durch wen und seit wann?
2.) Halten auch die Bundespartei oder andere Landes- und Ortsverbände von Bündnis 90/Die Grünen Aktienanteile an der Queer AG? Wenn ja: In welcher Höhe, seit wann und welche innerparteiliche Beschlußlage liegt dem zugrunde?
3.) War Ihnen bekannt, daß (zumindest) der Landesverband NRW von Bündnis 90/Die Grünen mit der Queer AG an einem weithin als unseriös geltenden Unternehmen als einer der größten Einzelaktionäre beteiligt ist, das im Jahre 2000 wegen manipulierter Angaben über die verbreitete Auflagenhöhe aus der Informationsgemeinschaft zur Verbreitung von Werbeträgern (IVW) ausgeschlossen wurde?
4.) Ist Ihnen bekannt, daß hompolitisch aktive Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen Aktien an der Queer AG gezeichnet haben?
5.) Wie bewerten Sie den Vorwurf konkurrierender Anzeigenblätter, die üppige finanzielle Förderung der Zeitung "Queer" durch Gliederungen der Partei Bündnis 90/Die Grünen führe zu einer drastischen Wettbewerbsverzerrung sowie einer inhaltlichen wie wirtschaftlichen Monopolisierung des schwul-lesbischen Medienmarktes und schade somit kleineren und mittelständischen Unternehmen aus diesem Bereich?
6.) Wie begegnen Sie dem in der Lesben- und Schwulenszene kursierenden Vorwurf, "Queer" sei längst keine unabhängige Zeitung mehr, sondern im wesentlichen ein bündnisgrünes Parteiblatt?
Fragenkomplex BDiverse Spitzenkräfte von Bündnis 90/Die Grünen bis hinauf zur Ebene von Bundes- und Landtagsabegeordneten sowie Landesparteivorsitzenden sind in Personalunion bekanntlich auch FunktionsträgerInnen des LSVD, dem ja auch Sie als prominentes Mitglied angehören. Dazu möchten wir wissen:
1.) Inwieweit sind Sie darüber informiert, daß der rechtspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Volker Beck, der zugleich dem Landesverband NRW des LSVD (Sitz ebenfalls: Pipinstraße 7, Köln) sowie dessen Bundesvorstand angehört, Aktionär der oben erwähnten Queer AG ist?
2.) Wie bewerten Sie, daß auch der nichteingetragene Lebenspartner von Herrn Beck, Jacques Teyssier, nach uns vorliegenden Informationen Aktien der Queer AG hält (wobei er offenbar auch über die Vollmacht Herrn Becks zur Wahrnehmung von dessen Stimmrechten verfügt) und ebenfalls Mitglied des LSVD NRW sowie des LSVD-Bundesvorstandes ist - bei letzterem seit Jahren zuständig für Finanzen?
3.) Ist Ihnen bekannt, daß der Geschäftsführer der bündnisgrünen Ratsfraktion in Düsseldorf, Jens Petring, Landesschatzmeister des LSVD NRW ist und von 1995 bis 2000 (also dem Zeitraum, für den der LRH die unzulässige Verwendung von Landesgeldern monierte), Landtagsabgeordneter und Mitglied der Ausschüsse für Finanzen, Familie und Soziales war, während er parallel als LSVD-Landessprecher laut Pressemitteilungen als für genau jene Anti-Gewalt-Arbeit zuständig zeichnete, die jetzt vom Rechnungshof beanstandet worden ist?
4.) Ist Ihnen bekannt, welche Rolle die derzeitige grüne Lesben- und Schwulenreferentin im NRW-Landtag, Gerta Siller, beim Zustandekommen der nun durch die Bezirksregierung beendeten "gleichberechtigten Förderung" des LSVD NRW hatte und wie bewerten Sie den Umstand, daß Frau Siller nachweislich an entscheidender Stelle an den Koalitionsverhandlungen beteiligt war und seit Jahren dem LSVD-Bundesvorstand angehört?
5.) Wie bewerten Sie generell die Bedeutung der sich hier abzeichnenden personellen, ideellen und finanziellen Verflechtungen zwischen Bündnis 90/Die Grünen, LSVD und Queer AG für den aktuellen Bundestagswahlkampf, speziell in Nordrhein-Westfalen? Sehen Sie den Lesben- und Schwulenverband in Deutschland e.V. und die Zeitung "Queer" als unabhängige Interessenvertretung bzw. unabhängiges Medium an oder würden Sie nach den vorliegenden Informationen Zweifel daran hegen?
6.) Gedenken Sie, Ihre Mitgliedschaft im LSVD aufrecht zu erhalten?
Wir möchten Sie um zeitnahe und detaillierte Beantwortung dieser offiziellen Anfrage bitten und im übrigen darauf hinweisen, daß sich sowohl unsere Redaktion als auch der Herausgeber von "Gigi", das wissenschaftlich-humanitäre komitee (whk), als ehrenamtliche Basisprojekte der Transparenz verpflichtet fühlen. Deshalb werden unsere Anfragen an staatliche Gremien und Parteien unabhängig von ihrer Beantwortung in aller Regel auf der Homepage des whk (www.whk.de) veröffentlicht (Rubrik Schriftverkehr).
Mit freundlichen Grüßen
Eike Stedefeldt
Redakteur