whk1103/25.06.2003
Offizielle Presseanfrage
der whk-Zeitschrift Gigi vom 9. Juni 2003 an die Justizsenatorin Karin Schubert, die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin-Tiergarten sowie den Pressesprecher des Berliner Polizeipräsidenten zu einem Polizeieinsatz
Sehr geehrte Damen und Herren,
am Freitag, dem 6. Juni 2003, fand im Zeitraum von ca. 19.00 Uhr bis ca. 2.00 Uhr des nächsten Tages in der Wohnung von Heinz-Rudolf K./Herbert G.. in der Leipziger Straße in Berlin-Mitte ein Polizei-Einsatz statt. Dabei sollen unter dem Verdacht schweren sexuellen Mißbrauchs in und außerhalb der Wohnung insgesamt fünf von sechs angetroffenen erwachsenen Personen festgenommen worden sein. Nach den unserer Redaktion vorliegenden Informationen kam es zu Gewaltanwendungen durch beteiligte Beamte, woraufhin mindestens einer der dort Angetroffenen erhebliche Verletzungen erlitten haben soll, darunter einen Nasenbeinbruch, Blutergüsse im Gesicht (linkes Auge), Wunden im Mundraum sowie einen hohen Blutverlust.
Diesbezüglich bitten wir um kurzfristige Beantwortung folgender Fragen:
1. Wegen welcher Tatbestände wird im Einzelnen ermittelt?
2. Durch welche Vorermittlungsergebnisse wurde der Einsatz gerechtfertigt?
3. Können Sie bestätigen, daß während der Ermittlungen sowie im unmittelbaren Vorfeld des Zugriffs verdeckte Ermittler zum Einsatz kamen? Falls ja: Wie bewerten Sie dies rechtlich?
4. Wie viele Personen wurden insgesamt in der Wohnung angetroffen? Wie viele Kinder waren darunter und in welchem Alter befanden sich diese?
5. Sollte der Zugriff durch ein ganz oder teilweise vermummtes Sondereinsatzkommando (SEK) erfolgt sein: Welche Informationen führten zur Entscheidung für diese Zugriffsform?
6. Welche konkreten Arten von Gewalt oder unmittelbarem Zwang wurden durch die Beamten angewandt und wie begründet sich dies?
7. Haben die in der Wohnung angetroffenen Personen oder einzelne von ihnen sich dem Zugriff physisch widersetzt oder entsprechende Versuche unternommen?
8. Wurde seitens der Beamten versucht, bei den Verdächtigten Speichel- oder sonstige Proben zwecks DNA-Tests zu nehmen? Wenn ja, haben die betreffenden Personen dies freiwillig zugelassen oder sich dem versucht, zu widersetzen?
9. Haben während des Zugriffs bzw. noch in der Wohnung Verhöre einzelner oder aller Personen (inklusive angetroffener Minderjähriger) stattgefunden? Wenn ja, wurde den Anwesenden zuvor die Möglichkeit gegeben, sich um Rechtsbeistand zu bemühen?
10. Wurden einzelnen oder allen in der Wohnung angetroffenen Personen körperliche Verletzungen zugefügt? Wenn ja: welche?
11. Wurden im Vorfeld des Zugriffs die möglichen Folgen physischer Gewaltanwendung gegen den unter Hämophilie leidenden Herrn Udo L. in Betracht gezogen und falls ja, wie ist deren Anwendung dann trotzdem zu verantworten?
12. Welcher Sachverhalt ging der durch Röntgenaufnahmen und ein Behandlungsprotokoll in der Charité belegten Körperverletzung des Herrn L. voraus?
13. Können Sie bestätigen, daß Herrn L. Handschellen angelegt wurden?
14. Entspricht es den Tatsachen, daß Herrn L. Gesicht von Beamten mehrmals auf eine infolge des Einsatzes blutverschmierte Matratze gedrückt wurde? Wenn ja, zu welchem Zweck geschah dies?
15. War beim Einsatz ein Notarzt zugegen? Wenn ja, welche Maßnahmen hat er getroffen?
16. Nach uns vorliegenden Informationen war während des Zugriffs ein Elfjähriger namens Heintje anwesend, der Augenzeuge der Gewaltanwendung durch die Beamten wurde und sich dieser Situation psychisch angeblich nicht gewachsen zeigte. Wurden im Vorfeld des Zugriffes Ermittlungen über die psychischen Folgen eines Einsatzes in dieser Form auf eventuell anzutreffende Kinder oder Jugendliche angestellt? War zuvor ein Kinder- und Jugendpsychologe konsultiert worden und falls nein: warum nicht? Was geschah beim Einsatz mit dem Jungen, wurde er körperlich verletzt? Wie reagierte er auf den Polizeieinsatz bzw. wie konnte es zu den uns berichteten auffälligen psychischen Reaktionen des Jungen kommen? Wurde bzw. wird er psychologisch betreut und wohin wurde er verbracht?
17. Sollten weitere Kinder angetroffen worden sein: Was geschah analog mit ihnen?
18. Nach unseren Informationen befinden sich von den angeblich fünf Festgenommenen derzeit zwei auf freiem Fuß, während den Angehörigen bzw. Freunden von drei der betreffenden Personen (Herr K., Herr G. sowie ein 21-Jähriger mit Namen "Xavier") deren aktueller Aufenthaltsort unbekannt ist. Können Sie Angaben zu deren Verbleib machen?
19. Wie erklärt sich die nach unseren Informationen mehrstündige Dauer des Zugriffs?
20. Nach uns vorliegenden Informationen wurden im Rahmen des Einsatzes die betreffende Wohnung durchsucht und Beweismittel sichergestellt. Wonach genau wurde aufgrund welchen konkreten Verdachts gesucht und welche Gegenstände bzw. Dokumente wurden in welcher Anzahl sichergestellt? Stimmt es, daß beim Einsatz Einrichtungsgegenstände (z.B. eine Schrankwand) erheblich beschädigt bzw. zerstört wurden?
Wir ersuchen um schriftliche Eingangsbestätigung sowie zügige Beantwortung der Fragen und weisen darauf hin, daß wir diese gemäß gängiger Praxis unabhängig von ihrer Beantwortung anonymisiert auf der Internetpräsenz unseres Herausgebers veröffentlichen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Eike Stedefeldt
verantw. Redakteur
Hinweis: Sämtliche Namen wurden geändert und sind der Redaktion bekannt.