Dokumentation
Anfrage an Pink-PR,
die offizielle Presseagentur des Kölner Lesben- und Schwulentag e.V. (Inhaber Neal Kießwetter), vom 18. März 2002
Betreff: Europride 2002: Tourismuskonferenz in LA (USA), Gay & Lesbian Travel EXPO zur ITB/Berlin
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für die Einladung an Ihren ITB-Stand, die wir leider ausschlagen müssen. Wir sind ein nicht-kommerzielles Projekt und konzentrieren uns eher auf Inhaltliches.
Dennoch nehmen wir regelmäßig mit Interesse Ihre Pressemitteilungen zur Kenntnis, fragen uns dabei aber stets besorgt, ob all diese wunderbaren CSDs, Gay und Europrides, Mardi Gras etc. nicht einst etwas ganz anderes waren als "Events" und ob ihre kommerzielle Verwertung nicht vielmehr die Tarnung dafür ist, daß die repressiven Verhältnisse auch für Lesben und Schwule in Deutschland und ganz Homo-Ehe-Europa im Kern unverändert weiterexistieren, nur eben leidlich liberal ausstaffiert.
Haben Sie schon einmal daran gedacht, die CSDs ganz einfach an TUI oder LTU oder deren Mutterkonzerne zu verkaufen? Das machte die Sache doch bei weitem leichter, wäre eindeutiger und ehrlicher und in jedem Falle professioneller, weil Konzerne das Know-how, die größeren Ressourcen und das bessere Standing bei der Regierung haben. Die politisch denkenden Restbestände der einstigen Homo-Bewegung könnten sich unterdessen wieder Inhalten widmen statt sinnentleerten Formen. Dies ist natürlich nur ein Gedanke.
Aber wir haben auch einen konkreten Vorschlag: Was halten Sie davon, zum Beispiel wirtschaftliche Interessen an politische Forderungen zu knüpfen? Möchten Sie nicht einen homosexuellen Tourismus-Boykott gegen ein Land ausrufen, in dem einst Zehntausende Schwule in Lagern inhaftiert, gefoltert, zwangskastriert, als lebende Zielscheiben und medizinische Versuchstiere benutzt und zum großen Teil ermordet wurden; gegen ein Land, dessen Rechtsnachfolger den zugrundeliegenden Paragraphen unverändert in sein Strafgesetzbuch übernahm, so daß unter neuen Verhältnissen die alten Richter ihre alten Opfer, so sie denn überlebt hatten, noch einmal ins Zuchthaus stecken konnten; gegen ein Land, wo Hunderttausende Lebensläufe durch diesen Schandparagraphen geknickt wurden; gegen ein Land, in dem es bis heute Repressionen gegen die schwule Subkultur und Orte schwuler Sexualität gibt und dessen angeblich linke Regierung sich anno 2002 anheischig macht, diese alten Urteile des Rechtsvorgängers zwar aufzuheben, aber die Opfer nicht für ihre Haftzeit und die gestohlenen Lebensjahre entschädigen will und das die nach dem Gesetz der Diktatur in der Demokratie verurteilten Männer nicht einmal formal rehabilitieren, sich nicht bei ihnen entschuldigen, geschweige denn materielle Wiedergutmachung leisten will?
Wir würden es als kleines Zeichen dafür werten, daß sich unter der Decke der zielgruppenspezifischen Profiterwirtschaftung noch menschliche Moral und politischer Anstand verbergen, wenn Sie die Bundesrepublik Deutschland, Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches, auf die schwule Tourismus-Boykottliste setzten. In ein solches Land werden doch sicher auch Sie nicht guten Gewissens homosexuelle Touristen einladen wollen, um ihre Urlaubsgroschen auszugeben?
Ihrer Rückauskunft gepannt entgegensehend, verbleiben wir mit freundlichem Gruß
Eike Stedefeldt
whk-Gruppe Berlin/Gigi-Redaktion